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Titel219

Mysteriöser Kistenfund – Rettung für Abu-Jamal?  (Sabine Kebir)

Seit 37 Jahren sitzt Mumia Abu-Jamal in Gefängnissen von Pennsylvania, 29 Jahre davon hat er in einem Todestrakt verbracht. Vorgeworfen wird ihm ein Polizistenmord, den er jedoch bestreitet und der nie eindeutig bewiesen werden konnte. Obwohl zweimal terminiert, wurde die Todesstrafe letztlich nicht vollstreckt. Es gab zu viele Hinweise, dass es während des Prozesses und der Berufungsverfahren Manipulationen gegeben hat, die größtenteils von der Polizeigewerkschaft gesteuert waren. Das legt nahe, dass Abu-Jamal, der am Beginn einer erfolgreichen Radiojournalistenkarriere stand, aus politischen und rassistischen Gründen im wahrsten Sinne des Wortes mundtot gemacht werden sollte. Das ist nicht gelungen, denn er hat seine politisch-analytische Arbeit in der Haft fortgesetzt. Dass mittlerweile die Chancen gestiegen sind, den charismatischen afroamerikanischen Intellektuellen aus der Haft zu befreien, ist einer breiten, international vernetzten antirassistischen Bewegung zu verdanken.

 

Das Jahr 2018 endete mit einer Sensation. Seit dem 27. Dezember ist es amtlich: Revisionskontrollrichter Leon Tucker gab Mumia Abu-Jamals Antrag auf die Zulassung eines – juristisch über viele Jahre nicht möglichen – Berufungsverfahrens statt. Ein neues Gesetz eröffnet die Möglichkeit für erneute Berufungen in Fällen, in denen ein Mitglied des Berufungsgerichts an früheren Verfahren im selben Fall beteiligt war. Genau das traf für die Causa Abu-Jamal zu. Richter Tucker bestätigte, dass die unter Mitwirkung Ronald Castilles erfolgte Ablehnung von Berufungsverfahren in den 1990er Jahren nicht rechtens war. Ronald Castille, der zuvor im Hauptprozess gegen Abu-Jamal als Chefankläger fungierte, hatte später als Oberster Richter vom Obersten Gericht Pennsylvanias unter anderem auch Berufungsanträge von Abu-Jamal abgelehnt. Er habe als damals befangen zu gelten, Des Weiteren monierte Tucker, dass die Staatsanwaltschaft von Philadelphia sich bis jetzt immer wieder unfähig oder unwillig gezeigt habe, von ihm geforderte Akten zum Fall Abu-Jamal zur Verfügung zu stellen. Angeblich waren viele Akten verloren gegangen.

 

Und nun das: Am 3. Januar teilte die Bezirksstaatsanwaltschaft von Philadelphia Richter Tucker mit, dass man – auf der Suche nach verwendbarem Mobiliar! – einen schwer zugänglichen Raum durchforscht habe und dort auf sechs Kisten gestoßen sei, auf denen in unterschiedlichen Varianten der Name Mumia Abu-Jamals stehe.

 

Es mutet schon seltsam an, dass Kisten mit Akten zu Abu-Jamals Fall in einem »inaccessible room« geschmort haben sollen und ausgerechnet eine Woche nach Tuckers Richterspruch entdeckt werden. Zunächst möchte man schlicht annehmen, dass es der hartnäckigen Unterstützerbewegung Abu-Jamals gelungen sei, die harte Nuss, als die sich die Bezirksstaatsanwaltschaft von Philadelphia über Jahrzehnte erwiesen hatte, zu knacken. Aber Vorsicht! Außer der Nachricht, dass die Kisten Materialien aus der Zeit vor dem Jahr 2000 enthalten sollen, ist Genaueres über ihren Inhalt noch nicht bekannt. Auch ist nicht ausgeschlossen, dass sie manipuliertes und allzu lückenhaftes Material enthalten. Aber allein ihr »Fund« kann den Behördenleiter der Bezirksanwaltschaft, Larry Krasner, hoffentlich davon abbringen, von seinem Recht Gebrauch zu machen, gegen Richter Tuckers Entscheidung Berufung einzulegen, was er bis zum 27. Januar tun kann. Das würde ein späteres Berufungsverfahren Abu-Jamals zwar noch nicht ausschließen, aber in weite Ferne verschieben – was seine Gegner, insbesondere in der nach wie vor mächtigen Polizeigewerkschaft, inständig hoffen dürften.

 

Es war Annette Schiffmann vom Bundesweiten Netzwerk gegen die Todesstrafe, die die aufrüttelnden Neuigkeiten auf der diesjährigen 24. Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen Welt bekannt geben konnte. Wie in jedem Jahr hatte Mumia Abu-Jamal selbst eine in der Haftanstalt Mahanoy in Frackville/Pennsylvania aufgenommene Audio-Grußbotschaft an die Konferenz gerichtet. Wie immer ging er mit keinem Wort auf seinen eigenen Fall ein, sondern gab ein aktuelles politisches Statement ab: Er begrüßte die Gelbwestenbewegung in Frankreich, zeigte sich skeptisch gegenüber dem Brexit, der das Vereinigte Königreich in ein wirtschaftliches Desaster bringen könne, und warnte vor weltweiter Gefahr des Faschismus. Sie vergrößere sich rasant, weil sich die Weltwirtschaft »im freien Fall« befinde, was die Arbeiterklasse und die untere Mittelschichten extrem verunsichere und Fremdenfeindschaft und Rassismus nähre. An Brechts berühmte Definition anknüpfend, erinnerte Abu-Jamal daran, dass der Faschismus keine eigenständige Formation sei, sondern eines der politischen Werkzeuge des Kapitalismus – was auch und gerade für seine aktuelle neoliberale Ausformung gelte.

 

Damit Mumia Abu-Jamal nicht den Rest seines Lebens in Haft bleibt und die Chance einer Berufung möglichst bald nutzen kann – appellieren Sie bitte an den Bezirksanwalt Larry Krasner, keine Berufung gegen Richter Tuckers Urteil einzulegen (E-Mail: DA_Central@phila.gov).