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Titel220

Meine Wut auf die Friedensheuchler  (Rainer Butenschön)

»Die USA wollen, dass sich der Iran einfach wie eine normale Nation verhält.« Mich überrascht ein Nachrichtensprecher mit diesem Zitat am frühen Morgen des 11. Januar, als er im Autoradio eine Erklärung von US-Außenminister Mike Pompeo referiert. Ich merke, wie ich am Steuer unruhig werde und ob dieser erst mal harmlos anmutenden Meldung eine Mischung aus Ohnmacht und Wut in mir hochkriecht: Oh, dieser Heuchler, denke ich. Dieser schamlose Friedensverräter!

 

Es ist ja erst wenige Tage her, dass die US-Regierung auf Pompeos Drängen die Welt an den Abgrund eines neuen mörderischen Krieges bombte. Zwar hatte Bild am 9. Januar schnell Entwarnung gegeben und den US-Präsidenten als Friedensstifter bejubelt: »Kein Krieg! Danke Mr. President.« Doch diese Schlagzeile verdrehte die Tatsachen.

 

Ich fürchte, dass die »Stange Dynamit« (Joe Biden), die Donald Trump am 3. Januar in das Pulverfass des Mittleren Osten warf, doch noch explodieren wird. Wer kennt die Länge der Lunte, die Donald Trump und Pompeo gewählt haben?

 

Und ich frage mich: Was ist eigentlich »normal«? Ist es normal, dass die deutsche Bundesregierung, die laut Verfassung an Recht und Gesetz und damit an das in Deutschland unmittelbar geltende Völkerrecht gebunden ist, ein solches Attentat nicht als Verbrechen verurteilt? Ist es normal, dass die westeuropäischen Regierungen und die EU-Kommission vor der US-Regierung mit erbärmlichen Appeasement-Erklärungen kuschen und dass allein ausgerechnet der Sprecher des britischen Premiers es wagt, die Völkerrechtswidrigkeit des Drohnenangriffs auf den iranischen General Soleimani und seine zehn ebenfalls getöteten Begleiter klar zu benennen? Ist es normal, wenn die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 14. Januar zutreffend titelt: »Deutschland will Druck auf den Iran erhöhen«, vom Druck auf die USA aber jede Spur fehlt?

 

Was mag wohl im Verständnis der US-Regierung eine »normale Nation« sein, frage ich mich im Auto und sinniere: Wäre Pompeo zufrieden, wenn der Iran so werden würde wie die USA?

 

So normal wie diese Superpower, die nach Aussage ihres früheren Präsidenten Jimmy Carter in den 242 Jahren ihrer staatlichen Existenz nur 16 Jahre keinen Krieg führte? Ein Gemeinwesen, das nach dem Urteil von Noam Chomsky, einem der klügsten Denker des »anderen« Amerika, längst zum imperialen »Schurkenstaat« mutiert ist. Eine Macht, gewalttätig nach innen und außen, die dieser Tage vom deutschen Staatsminister im Außenamt, Michael Roth (SPD), pauschal gegen jede Kritik als »liberale Demokratie« in Schutz genommen wird. Ein Staat, dessen Bürger ihr Land voller nationaler Inbrunst als »God‘s Own Country« besingen. Ein Land, das Trumps Amtsvorgänger Barack Obama zur »unverzichtbaren Nation« überhöht, »die«, so hat er freimütig am 11. Februar 2016 betont, »gelegentlich den Arm von Ländern umdrehen« müsse, »die nicht das tun, was wir von ihnen wollen«.

 

Pompeo aber behauptet, der Schurke sei die Islamische Republik Iran: General Soleimani habe schreckliche Anschläge auf US-Soldaten vorbereitet, verkündete Donald Trump nach dem Mord. Schutzbehauptungen, die US-Verteidigungsminister Mark Esper nach der Tat als Lügen demaskierte.

 

Was also müsste der Iran tun, um von den USA nicht länger zur »Achse des Bösen« gezählt zu werden, auf der die USA das Land seit dem 11. September 2001 verorten? Zu jenen »Bösen«, denen die »Guten«, die USA und ihre Vasallen, mit Vernichtung drohen.

 

»Hier steht, wie wir sieben Länder in fünf Jahren zu Fall bringen werden. Angefangen mit dem Irak, dann Syrien, Libanon, Libyen, Somalia, Sudan und schließlich Iran«, hat bereits Ende 2001 ein US-General im Pentagon dem früheren NATO-Oberbefehlshaber Wesley Clark eine entsprechende Anordnung des Kriegsverbrechers Donald Rumsfeld gezeigt, der damals US-Verteidigungsminister war (siehe Ossietzky 20/2013).

 

Die USA haben blutig ernst gemacht. Nicht im genannten Zeitplan, nicht in der genannten Reihenfolge. Afghanistan ist sofort hinzugekommen, wird inzwischen im 19. Jahr bombardiert. Doch alle auf der Rumsfeld-Liste genannten Länder werden oder wurden seit 2001 mit dem »Krieg gegen den Terror« überzogen und/oder durch Sanktionen und Embargos zerrüttet, zerstört und destabilisiert. Seitdem ziehen die USA eine riesige Blutspur durch den Mittleren Osten, seitdem ist die Welt, wie der deutsche Bundespräsident sagt, »aus den Fugen«.

 

Pompeo aber behauptet, der Iran sei der Schurke. Er habe »Tod und Zerstörung im Nahen Osten angeheizt«. Und der deutsche Außenminister Heiko Maas sekundiert am 12. Januar, der Iran müsse »aufhören, in dieser Region zu zündeln«.

 

(Nebenbei erzählt: Ein wenig Freude spendet mir der Exil-Iraner und Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels, Navid Kermani, mit einer Sottise: Er denkt in einem Interview vom 11. Januar über die Ignoranz der deutschen Öffentlichkeit gegenüber den globalen Abhängigkeiten nach und sagt: »Der Bedeutungsverlust des Außenministeriums lässt sich gut beobachten, das war früher faktisch das zweitwichtigste Amt im Staat. Und heute ist es Heiko Maas.«)

 

Später lese ich am heimischen Computer, Pompeo habe bei seiner Pressekonferenz Heiterkeit unter den versammelten Journalisten ausgelöst mit seinem Spruch, der Iran möge einfach so werden wie Norwegen.

 

Das heißt, wie Norwegen soll der Iran Mitglied der NATO und neues Manöver- und Aufmarschgebiet für den kommenden US-Krieg gegen Russland werden? Das verbietet allerdings die Verfassung der Islamischen Republik, die ausländische Militärbasen auf iranischem Territorium nicht erlaubt.

 

Auch frage ich mich, wie zurückhaltend wohl die Norweger reagieren würden, wenn einer ihrer wichtigsten Militärs, der mit Wissen des US-Präsidenten auf diplomatischer Friedensmission im Ausland unterwegs ist, einem Mordbefehl dieses US-Präsidenten zum Opfer fiele.

 

Nehmen wir mal an – ich werde ja noch tagträumen dürfen – der frühere norwegische Ministerpräsident und heutige NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, auch wenn der bislang als Friedensengel nicht aufgefallen ist, würde sich nach Warschau begeben, und er würde dort Opfer einer US-Drohne werden, bevor er seine diplomatische Friedensnote zum Abbau der gefährlichen Spannungen mit Russland hätte überbringen können. So ist es Soleimani in Bagdad ergangen, der nach Aussage des irakischen Premiers Vorschläge für einen Spannungsabbau im Verhältnis des Iran zu Saudi-Arabien hatte überbringen wollen.

 

Ich bin mir sehr sicher, auch im oben konstruierten Fall würden die Aktienkurse der Rüstungskonzerne so freudig in die Höhe schießen wie nach dem Bagdader Attentat. »Die beutegierige Canaille hat von eh und je auf Krieg spekuliert«, das wusste schon Carl von Ossietzky. Aber ich bin mir sehr unsicher, ob die Norweger weiter so freundlich wie die Iraner zu den Deutschen bleiben würden, wenn sie erführen, dass die Drohne ihr Ziel nur dank der Relaisstation auf dem US-Stützpunkt Ramstein in der Pfalz hat treffen können.

 

Und, vorletzte Frage: Wie würden wohl die Norweger reagieren, wenn ihnen der US-Präsident ökonomisch so an die Gurgel ginge wie den Iranern? Und wenn die Europäer dabei zusähen und ihre Hilfsversprechen einfach nicht einlösten? Wenn die reiche skandinavische Nation ihr Gas und Öl aus Nordsee und Eismeer nicht mehr international verkaufen dürfte. Wenn sie vom globalen Handel abgeschnitten würde. Wenn die norwegischen Fischer ihre Aurora-Lachse heimlich außer Landes schmuggeln und als schottischen Fisch deklarieren müssten? Wenn ihr milliardenschwerer Staatsfonds vom internationalen Finanzsystem ausgeschlossen würde?

 

Pompeo selbst rühmt, seine Regierung habe es mit ihrer (völkerrechtswidrigen) Sanktionspolitik inzwischen erreicht, dass dem Iran Milliardeneinnahmen nicht mehr zur Verfügung stehen, dass Irans Erlöse aus dem Verkauf von Öl um 80 Prozent gesunken seien und er auf ungefähr 90 Prozent seiner Deviseneinnahmen nicht mehr zugreifen könne – mit der Folge, dass die Inflation im Land auf Kosten der Kaufkraft vor allem der kleinen Leute explodiert und in den Kliniken iranische Dialysepatienten und Krebskranke ihre Medikamente nicht mehr erhalten.

 

Ist es denen beim Sterben ein Trost, wenn der US-Präsident twittert, er liebe die Iraner?