Ich muss ein Geständnis loswerden. Mir wurde ein auf unglaubliche Weise von Spott und Hohn durchsetztes Papier zugespielt. Die folgenden Zeilen schockierten mich so, dass ich sie umgehend wieder loswerden möchte. Ich stelle sie mit einigem Widerwillen einer durch die relativ überschaubare Verbreitung dieser Zeitschrift begrenzten Öffentlichkeit zur Verfügung. Von einigen darin enthaltenen überspitzten Schlussfolgerungen muss ich mich dabei unbedingt distanzieren.
»Ach du grüne Neune! Der angeblich auf die Pik Neun altdeutschen Kartenblatts bezogene, fast schon vergessene Ausruf des Erschreckens hat ad hoc auf gut Sächsisch einen brandaktuellen Bezug. Ganz biologiefremd und parteifern kommt Grünes ins alarmierte Gespräch. Das Grüne findet sich nicht nur in den auf Wappen und Bannern verewigten Landesfarben der Sachsen, sondern ist manifest in dem Grünen Gewölbe des Dresdner Residenzschlosses. Ein Kabinett der Superlative kulinarischen Kunstgenusses lockt ständig eine Schar hingerissener Bewunderer und hergelaufener Neider an.
Der Glanz der dort gehorteten Juwelen soll der (Aus-)Sage der momentan Regierenden nach die Identität des ganzen einheimischen Volksstammes widerspiegeln. Tückisches Diebsvolk schlug bei einem feigen Raubzug in völlig unvorhergesehener Stromabschaltung mit böser Axt zu. Eine als bruchsicher geltende Vitrine war zu Klump getrümmert. Entwendet wurden unermesslich wertvoll schmuckverzierte Orden und Ehrenzeichen, welche einst die Brust der hier herrschenden Wettiner zierten. Notfalls ehrenhalber auch mal die der ihnen dienenden Domestiken. Selbiges gilt nun als identischer Ausdruck sächsischen Lebensgefühls.
Da ist guter Rat so teuer wie einleuchtende Aufklärung und neue Sicherheitstechnik. Man sieht sich geprellt um eine Selbstbestätigung. Hier bewährte sich immerdar die Kunststadt Dresden in ihrer ehrenhalber auf Hochglanz materialisierten Edelsteinversion. Selbst in den diktatorisch entstellten finsteren Notzeiten der Vergangenheit gab es immer das feudal verklärte Leuchten in den erst notdürftig improvisierten Räumen des Albertinums. Nie durfte eine einzige kostbare Perle fehlen. Zeitgenössische Malerei konnte daneben lediglich ein Schattendasein fristen. Trister Realität und menschlicher Anteilnahme verpflichtet, blieb sie nur blasser Abglanz gegenwärtigen Daseins.
Und nun versagte die Bewachung so blamabel, dass der selige August stark befremdet wäre. Und seine Nachfahren bereits Strafmaßnahmen erwägen dürften. Erklärungsbedarf wuchert über die Zeilen der Gazetten. Telegene Kanäle und digitale Medien wägen Vermutungen gegen Verurteilungen ab. Ein unersättlicher Markt greift schon mit langen Fingern zu. Stets muss er neuen Nachschub aus staatlich leider veruntreutem Warenbestand von Kostbarkeiten erlangen. Zeit ist Geld. Erfolg ist Pflicht. Polizeiliche Ermittlungen laufen auf Hochtouren – aber streng geheim. Finderlohn in Halbmillionenhöhe weckt laienhafte Detektivkräfte. Das Grüne Gewölbe bebt in seinen feudalen Grundfesten. Erwartungsfieber endlicher Aufklärung des Tathergangs adelt den Vorgang zu dem, was alle über alles lieben: zum Krimi. Da sind Privat- und Staatsanwälte die Stars.
So wird aus dem Volk der Dichter und Denker das der Ermittler und Verschenker. Jedes Mittel ist recht dafür, einstige Herrlichkeit zu lobpreisen – selbst auf Kosten aller eigenen Portokassen. Enteignungen nach Kriegsinferno und Totalniederlage, für null und nichtig erklärt, sind rückgängig zu machen. Verachtenswerte Gewaltherrschaft? Gekrönte Häupter leisteten da keinen Vorschub. Sie waren stets mit dem Nachschub fürs eigene Wohl ausgelastet. Den sächsischen Wettinern gelang Einiges an Fischzügen im Goldstrom des Volksvermögens. Das war den preußischen Hohenzollern Anlass zum Übertrumpfen: Sie waren schließlich die kaiserlichen Hoheiten. Was alles an ›Preußischem Kulturbesitz‹ noch ihnen in Berlin gehört, darf der Jetzt-Staat nur als abrufbare Leihgabe betrachten. Da ist jederzeit ein Gewinn abzuschöpfen. Da kirchliche Würdenträger bereits die Potsdamer Garnisonkirchen-Replik mittragen, ist man hier auf die bewährten Vasallen der Jurisprudenz als Verbündete angewiesen.
Na, da geht schon eine Bataille juristischer Kniffe und Püffe los. Seriös argumentierende Historiker müssen um ihren guten Ruf fürchten, denn sie sollen mit einem Sündenregister verleumderischer Behauptungen straffällig geworden sein. Welche Lust, die Koryphäen solider Wissenschaft auf die Anklagebank zu zerren und sie als Vorbestrafte in die dann glorreich umzuschreibende Geschichte zu entlassen. Gutachter werden gegen angebliche Schlechtmacher in Stellung gebracht, um sie zur Strecke zu bringen. Nicht umsonst ist das hohenzollernsche Selbstwertgefühl ins Unermessliche gestiegen, seitdem das bauliche Symbol der deutschen demokratischen Diktatur der Wiedererrichtung der kaiserlichen Herrlichkeit des Residenzschlosses in Berlin weichen musste. Das Verbrechen des Abrisses einer Ruine gilt seitdem rechtsstaatlich nur mit Vernichtung des total und perfekt funktionierenden Nachfolgebaus zu sühnen.«
So lesen Sie selbst: Nur ein leider allzu leicht zu Majestätsbeleidigungen hinzureißender Hundsfott kann den überragenden Rang der schützenswerten Edel-einrichtungen des Grünen Gewölbes und der nun zum Humboldtforum demokratisierten Zwingburg in Zweifel ziehen. Was einst in Wichs und Gala dahergekommene feine Leute an sich brachten, darf ihnen nicht weggenommen werden. Eigentum verpflichtet bekanntlich einzig dazu, es den Eigentümern zu sichern.