Birgit Breuel, die nach Detlev Karsten Rohwedders Ermordung Ostern 1990 selbst Treuhandpräsidentin wurde, nahm in ihr öffentliches Tagebuch »Treuhand intern« als dessen Vermächtnis ein Interview auf, das ihr Vorgänger drei Monate vor seinem Tod der Welt gab: Er möchte, so erklärte Rohwedder dort, dass »die Menschen in der früheren DDR möglichst rasch aus ihrer materiellen Inferiorität herausgeführt werden«.
Das wollte auch der DDR-Staatssekretär Günther Krause, der – das sollten ihm die Ostdeutschen nie vergessen – gemeinsam mit Wolfgang Schäuble am 29. August 1990 den Einigungsvertrag unterschrieb. »Ich freue mich«, verkündete er kurz zuvor im Fernsehen, »schon darauf, nach dem 1. Juli mit meinen Kindern jeden Abend eine Büchse Ananas essen zu können. Die wird dann nämlich ganz billig sein.«
Doch die Welt bohrte damals tiefer, sie fragte den Treuhand-Präsidenten, ob es im Osten noch eine andere Inferiorität als die materielle gebe: »Sind die ›Hirne‹, die Denkwerkzeuge beschädigt? Gibt es geistige Deformationen?« Rohwedder bejahte: »40 Jahre lang eine ganze Generation oder anderthalb durch Kindergärten, Grundschulen, weiterführende Schulen, Universitäten und dann durch ein Berufsleben hindurch in einem kommunistischen System gelebt zu haben, dann sind Dimensionen des normalen Denkens verloren gegangen. Das Wort Deformation bedeutet, dass die Menschen nur verkrüppelt sind in der Weite ihrer Lebenserfahrung. Alles war gefiltert und musste durch das Nadelöhr des Marxismus-Leninismus.«
Günther Krause ging nicht durch das Nadelöhr. Er hat lebenslang normal gedacht. Krause wurde in Bonn ein normaler Bundesverkehrsminister – in der Qualität ununterscheidbar vom Gegenwärtigen. Er verscherbelte die ostdeutschen Autobahnraststätten an eine private Hotelkette in Holland. Er schuf sich für 1,9 Milliarden eine eigene Ostseeautobahn, die ihn fast vor seine Haustür führte, er leistete sich die Umzugsaffäre und die Putzfrauenaffäre und leistete uns allen den Offenbarungseid wegen einer millionenschweren Insolvenz.
Dann aber muss er seine allabendliche Büchse Ananas samt dem Dosenblech verschlungen haben: Er ließ sich vom Deppenfernsehen RTL in dessen Dschungelcamp (»Hol mich hier raus!«) einladen. Nach dem ersten Tag an seinem Zielort gab er auf und wurde krank. Die Diagnose stellte der Spiegel: »Heike Krause-Augustin steht seit der Privatinsolvenz ihres Mannes vor einigen Jahren für die Familiengeschäfte ein – ist nun aber womöglich selbst zahlungsunfähig. Augustin-Krause soll gezwungen werden, einen Offenbarungseid zu leisten. Die Ehefrau des CDU-Politikers hatte den Kaufvertrag über 500.000 Euro für ein großes Haus auf der Mecklenburgischen Seenplatte unterschrieben, das Geld hat die Verkäuferin nie erhalten. Nun stellt sich heraus, dass Krause-Augustin im Jahr 2013, als ihr Mann in die Privatinsolvenz ging, außerdem auf Pump eine luxuriöse Villa an der spanischen Mittelmeerküste erworben hat.«
Bleibt zu hoffen, dass alle anderen Ostdeutschen deformiert und verkrüppelt geblieben sind und die Dimensionen des normalen Denkens nie erreichen werden.