Niemand kann mir nachsagen, dass ich ein begeisterter Fußball-Fan sei. Tatsächlich habe ich noch nie ein Fußballstadion während eines Spiels von innen gesehen, und noch nie habe ich das als Mangel empfunden. Bis neulich, als mir das wunderbare Foto aus dem Stadion in Mönchengladbach während des Spiels gegen den FC Bayern am 7. Dezember zugeschickt wurde. Die Fans verfolgten das Spiel unter drei großen, über mehrere Blöcke ausgespannten Bannern mit der Aufschrift: »Antifaschismus ist und bleibt gemeinnützig!« Und: »Finger weg von VVN!« Super, dachte ich – und dass ich bei so einer einmaligen Aktion zur Verteidigung des Antifaschismus – der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) soll die Gemeinnützigkeit entzogen werden (s. Ossietzky 24/2019) – gern dabei gewesen wäre.
Einmalige Aktion? Von wegen. Gestern erhielt ich eine Pressemitteilung, die mich erneut begeisterte. Sie kam von einer Initiative »!Nie wieder – Erinnerungstag im deutschen Fußball«, die am 27. Januar 2004 in der Versöhnungskirche auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau gegründet wurde. Es handele sich, so las ich, um »ein Bündnis aus Einzelpersonen, Fangruppen und Fanprojekten, Vereinen, Verbänden und Institutionen aus dem Fußball«, das sich für eine würdige Gedenkkultur und für ein Stadion ohne Diskriminierung engagiere. Aktueller Anlass für die Pressemitteilung sei der bevorstehende internationale Gedenktag für die Opfer des deutschen Faschismus am 27. Januar. Angekündigt wurden verschiedene Aktivitäten an den Spieltagen rund um dieses Datum, bundesweit in den Stadien und außerhalb davon. So wurden beispielsweise Texte erarbeitet und mit der Deutschen Fußball Liga (DFL) abgestimmt, die den Vereinen zur Verfügung gestellt werden, um sie als »Stadiondurchsage« zu verlesen beziehungsweise in ihren Stadionmagazinen zu veröffentlichen. Die Aktivitäten im Stadion sollen von einer Fülle von Aktionen im und um das Stadion herum begleitet werden. »Vom Selbstverständnis einer ›Graswurzelbewegung‹ geprägt, planen und organisieren die Bündnispartner ihre ›Einmischungen‹ autonom«, heißt es in der Pressemitteilung.
Der Text, der als Stadiondurchsage verlesen werden soll, erinnert zunächst an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee vor 75 Jahren. »In Demut, Respekt und Mitgefühl gedenken wir aller Opfer, der Überlebenden und ihrer Familien.« Auch Menschen aus der »Fußballfamilie« seien verfolgt und ermordet worden. »Statt sie zu schützen, schlossen die Vereine ihre jüdischen und kommunistischen Mitglieder aus. Die Schuld der Preisgabe wird unvergessen bleiben.« In besonderer Verantwortung stehe der deutsche Fußball gegenüber den Sinti und Roma, die zu Hunderttausenden zu Opfern der Vernichtungspolitik der Nazis wurden. »Es war der langjährige DFB-Präsident Felix Linnemann, der vor 1945 als SS-Standartenführer und Kripochef von Hannover unmittelbar an ihrer brutalen Verfolgung beteiligt war.«
Verpflichtet fühlen sich die Fußball-Fans der Initiative der europäischen Friedensvision des Walther Bensemann. Der aus einer jüdischen Familie stammende Fußballpionier, Mitbegründer des Deutschen Fußballbunds (1900) und der Fußballzeitschrift Kicker (1920), trug wesentlich dazu bei, dass der vorher in Deutschland verpönte Fußball zu einem Volkssport wurde. »Mit seinem sozialen Engagement, mit seinem mutigen Anschreiben gegen den völkischen Nationalismus, mit seiner Forderung nach ›Vereinigten Staaten von Europa‹ weist er uns den Weg. Er wusste, der Fußball kann das«, so die geplante Stadiondurchsage.
Die Erinnerung an den Völkermord an den Sinti und Roma bildet einen Schwerpunkt der diesjährigen Aktivitäten. Angesichts des wieder zunehmenden Antiziganismus in Deutschland und bei unseren europäischen Nachbarn sei es »das Gebot der Stunde, sich zusammen mit den Sinti- und Roma-Freund*innen gegen dieses Übel entschieden zur Wehr zu setzen«. So lädt das Fanprojekt München zusammen mit der Versöhnungskirche Dachau, der Flüchtlingsinitiative »Bellevue de Monaco« und der Initiative »!Nie wieder« zu einem Gespräch mit dem Sinto Oswald Marschall ein (30.1. um 19 Uhr, München, Bellevue de Monaco, Müllerstraße 2-6). Dem erfolgreichen Amateurboxer verweigerte der Deutsche Boxverband 1976, trotz seiner Spitzenleistungen, die Teilnahme an den Olympischen Spielen. Danach gab der damals 22-Jährige seine Karriere auf, wurde Boxtrainer und widmete sich der Förderung von Jugendlichen aus der Minderheit und der Mehrheitsgesellschaft durch Sport. Gleichzeitig engagierte er sich in der Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma. Heute ist er Politischer Referent des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma.
Auch anderswo werden »Erinnerungstage im deutschen Fußball« begangen. In Mainz zum Beispiel sind verschiedene Aktionen im Rahmen der »Mainzer Erinnerungswochen« (19.1.–11.2.) der Geschichte der Sinti und Roma gewidmet. Im Fanhaus (Weisenauer Straße 15) zeigt eine Ausstellung mit dem Titel »Abseits im eigenen Land« die Geschichte von Sinti-und-Roma-Sportlern und die Widrigkeiten, mit denen sie zu kämpfen hatten. Oswald Marschall spricht dort am 29. Januar im Haus des Erinnerns, Flachsmarktstraße 36. Und für den 1. Februar ist eine Stadionaktion vor dem Heimspiel der Mainzer gegen Bayern München in der OPEL-Arena geplant. Nach Angaben der Allgemeinen Zeitung wird Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, eine Ansprache halten. Das ganze Programm der Mainzer Erinnerungswochen mit weiteren interessanten Veranstaltungen (darunter Lesung und Konzert mit Esther Bejarano und der Microphone Mafia) ist im Internet unter https://www.allgemeine-zeitung.de/fm/819/Erinnerungswochen 2020.pdf abrufbar.
Ob ich also demnächst doch mal ins Fußballstadion gehe? Mal sehen ... Jedenfalls werde ich mir am 1. Februar die Sportschau ansehen. Und vorher Oswald Marschall zuhören.