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Titel2008

Brave Hunde, gefräßige Heuschrecken  (Volker Bräutigam)

Tiergeschichten finden immer ein dankbares Publikum: Spezielle Suchhunde des deutschen Zolls haben an den Grenzübergängen zur Schweiz binnen einer Woche Banknoten im Wert von fünf Millionen Euro erschnüffelt, die illegal ins Nicht-EU-Ausland gebracht werden sollten. »Guck mal, Papi, der Hund da im Fernseh´n! Toll!«

Das war Stoff für Tagesschau und heute. Gemeinsam mit den kommerziellen Sendern vermittelten die öffentlich-rechtlichen Massenmedien mit Bildern von Geldscheinen in Hundeschnauzen die beruhigende Botschaft: Der Staat wacht, Schiebung lohnt sich nicht, auch der Kapitalverkehr wird kontrolliert. Es gibt noch Gerechtigkeit!

Fernsehgeschichtchen fürs Gemüt – und gegen den Verstand.

Kein Moderator sagte: Fünf Millionen Euro sind ein Klacks. Der Zoll hat ein paar dummdreiste Amateure erwischt. Kleindealer. Die großen, gewaltigen Transfers finden jenseits finanzpolizeilicher Reichweite statt, auf schnelleren Wegen als mittels Koffertransport. Oft sogar ganz legal ...

Gemeint sind die zur globalen Schiebung geknüpften Netzwerke, in denen die gegenwärtige Finanzmarktkrise angebahnt wurde und nun exekutiert wird. Dabei werden nicht nur Unsummen »verbrannt«, sondern – angefüttert mit Steuermilliarden – neue Privatvermögen aufgehäuft. Wenn es Verlierer gibt, dann gibt es, logisch, auch Gewinner. Krisengewinnler. Über die schweigen die Medien.

Von der Krise des Weltfinanzsystems wurde kein verständiger Mensch überrascht, schon gar nicht Merkel, Steinbrück oder Glos. Seit mehr als drei Jahren ist sie vorhergesagt, und ihre Entwicklungsstadien sind bestens dokumentiert. Unsere führenden Staatsschauspieler heucheln Betroffenheit beim Zählen und Zahlen der Milliardenverluste. Sie sollten lieber echte Trauer über die ungezählten Mordopfer der Krise spüren.

Bisher sterben Tag für Tag fast 21.000 Menschen an Hunger (UNO-Mindestschätzung). Demnächst werden es täglich 25.000 sein. Die Finanzmarktkrise und auch die Maßnahmen, die sie angeblich beheben sollen. steigern nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO die tägliche Totenrate, weil das wenige Geld der Armen entwertet und die Saatgut- und Lebensmittelpreise spekulationsbedingt hochgetrieben werden. 1040 Menschen werden Stunde um Stunde verhungern, 17 pro Minute. Alle vier Sekunden stirbt ein Mensch, weil er nichts mehr zu essen hatte. Das ist Massenmord.

Mit einer zusätzlichen Schuldenaufnahme von mindestens 700 Milliarden US-Dollar will Washington die US-Geldhäuser stützen. Berlin half der IKB-Bank mit neun Milliarden Euro aus der Pleite, streckt acht Milliarden als Überbrückungskredit an die Hypo Real Estate vor und bürgt für diese Privatbank mit weiteren 26,6 Milliarden. Für solche Zwecke ist stets genug Geld da. Und der politische und kriminelle Wille, es für sie zu verschleudern. Mit neun Milliarden Euro ließe sich die Zahl der Hungertoten fast halbieren. Mit 24 Milliarden Euro wäre der Hunger auf der Welt dauerhaft zu besiegen. Doch dieses Geld kommt trotz vieler hehrer Politikerversprechen seit acht Jahren einfach nicht zusammen. Folglich sind in dieser Zeit mindestens 60 Millionen Menschen verhungert. Besonders in jenen afrikanischen Regionen, die von den westlichen Konzernen bereits ausgeplündert sind und in denen es keine Märkte (mehr) für neoliberales Wirtschaften gibt.

Ein Euro täglich könnte eine Kleinfamilie in der »Vierten Welt« vor dem Verhungern bewahren. Zwei Euro täglich aber zahlt die EU pro Kuh an Subventionen. So bleiben unsere großen Agrarfabrikanten schön reich und die hungernden Kleinstbauern der »Vierten Welt« schön bemitleidenswert.

»Unsere« Sender und Zeitungen vermeiden derart vergleichende Information. Und ängstlich unterdrücken sie jedes Wort über Minimalforderungen: Banken und Versicherungen sozialisieren! Geldverkehr regulieren! Lebensmittelspekulation verbieten! Börsen dichtmachen!

Man nehme ein Drittel des Privatvermögens der deutschen Milliardäre, der Albrechts, Porsches, Schwarz, Baumbachs, Boehringers, Schickedanz , Springers und so weiter (derzeit 148 Familien), und schon wäre der Welthunger zu besiegen. Selbstverständlich wäre das »Enteignung« zu nennen. Rentenkürzungen, Hartz IV und Ein-Euro-Jobs hingegen heißen »Reform«. Damit sie der deutsche Michel nur ja nicht in den falschen Hals kriegt.

Mit einer Drittel-Reduzierung der globalen Finanzpotenz der Milliardäre und Multi-Millionäre, der Gates, Rockefellers und Soros, wäre auch die Finanzkrise zu bewältigen. Stattdessen dirigiert deren Syndikat, getarnt als World Economic Forum, von Genf aus das Geldgeschehen. Die Regierungen in Washington oder Berlin sind kaum mehr als Befehlsempfänger, die ihr Tun als Politik fürs Gemeinwohl tarnen.

Kanzlerin Merkel lobte angesichts der Finanzkrise ihre Große Koalition und »unser« Banken- und Sparkassensystem. Schuld am weltweiten Geldfiasko seien die Regierungen der USA und Großbritanniens – als ob Merkel nicht selbst die Geldelite von Regulierungen und staatlicher Aufsicht befreit, also Beihilfe geleistet hätte zum Zocken im Globalkasino. Merkels Regierung hat den US-Hedgefonds den Zugang nach Deutschland geöffnet, diese »Heuschrecken« sogar von Steuerpflichten befreit, Gewinne aus Unternehmensverkäufen steuerfrei gestellt, den multinationalen Aktiengesellschaften den Großteil der Gewerbekapitalertragssteuern erlassen und die Wiedereinführung der Vermögenssteuer verhindert. Die Kanzlerin wollte sogar alle Zollschranken zwischen Europa und den USA beseitigen. Schon vergessen? Hätte sie ihre »Transatlantische Freihandelszone« durchgesetzt, dann wäre Deutschland jetzt Vollmitglied in der US-Pleiten-GmbH&Co KG. Das erwähnen die öffentlich-rechtlichen und die Konzernmedien nicht. Vielmehr bescheinigen sie Merkel hohe Beliebtheitsgrade in der systematisch desinformierten Wählerschaft.