Ein »schwarzer Sonntag« für die CSU: Die bayerische Staatspartei wurde zur Normalgröße der Union in den Bundesländern erniedrigt. Aber nach dem weiß-blauen »Erdrutsch« blieb den CSU-Prominenten doch ein Tost: Zusammengerechnet sei das »bürgerliche Lager« im Freistaat so stark wie eh und je. Die TV-Kommentatoren griffen am Abend nach der Wahl den reichlich verschlissenen Begriff eifrig auf, nur einige Abgesandte der Grünen und der SPD zeigten sich ein bißchen beleidigt, denn »bürgerlich« seien ihre Parteien schließlich auch, nicht nur der FDP und den Freien Wählern stehe dieses von der CSU zu vergebende Zertifikat zu.
An einem solchen Monitum ist etwas Richtiges, denn wenn es im Parteienspektrum das eine Lager gäbe, dann müßte ja noch ein anderes da sein, das ist aber nicht der Fall. Niemand wird annehmen, die SPD hielte ihre Truppen zum Angriff auf die bürgerliche Gesellschaft bereit, und daß die Grünen als »antibürgerlich« angesehen werden, ist eine bayerisch-folkloristische Spezialität. Allerdings hat die Rede vom »bürgerlichen Lager« möglicherweise ihre taktische Bedeutung für Konkurrenzen um künftige Koalitionen im Bund; auf diese Weise kann das Gefühl bestärkt werden, die FDP sei die ideale Partnerin für die Union.
Die SPD stellte sich nach der Bayernwahl als eine Partei dar, die ihr höchstes Glück nicht etwas in einem eigenen Wahlerfolg, sondern im Stimmenverlust einer anderen »Volkspartei« findet. Daß die CSU eine »vernichtende Niederlage« habe hinnehmen müssen, wie es Vertreter der »nichtbürgerlichen« Parteien gern erzählten, ist schlichtweg Unsinn. Der Blick auf die Wahlkreisergebnisse und insbesondere die Direktmandate zeigt, wie stark die Union nach wie vor in Bayern verankert ist – beim wählenden Teil der wahlberechtigten Bevölkerung. Der freilich ist weiter zusammengeschmolzen. Auch unter weiß-blauem Himmel breitet sich die Wahrnehmung aus, daß Politik nicht von den gewählten Politikern gemacht wird. Auf dem Oktoberfest wurden am Wahlabend die Hochrechnungen und Auszählungen erst gar nicht bekanntgegeben ...
Bemerkenswert ist, daß sich die regionalen Hochburgen der SPD in Bayern, die historisch gefestigt schienen, in Ruinen verwandelt haben, ein Vorgang, an dem die CSU unschuldig ist. In lang andauerndem »Reform«-Eifer hat die Sozialdemokratie den Ast, auf dem sie saß, selber weggesägt. Da wirkt der rote Pullover, den ihr Landesvorsitzender beharrlich trägt, nur noch komisch.
Das Wahlverhalten in Bayern läßt erkennen, wie sehr tradierte politische Strukturen ins Rutschen gekommen sind und von diffusen Neigungen abgelöst werden. Bezeichnend dafür ist der Erfolg der Freien Wähler. Wohin ein solcher Trend führt, ist ungewiß; möglicherweise zieht daraus längerfristig jene Politikrichtung ihren Gewinn, die an demselben Sonntag im Nachbarstaat Österreich triumphierte. Politiker der anderen Parteien und Medien haben sich angewöhnt, Phänomene wie FPÖ und BZÖ »populistisch« zu nennen; sie tun das, um eine unangenehme Realität zu verdecken: In Zeiten zunehmenden sozialen Problemdrucks und brav-bürgerlicher Dienstbarkeit der (auf bayerisch:) »nichtbürgerlichen« Parteien« für die Interessen der Wirtschaftsherren haben rassistische und neufaschistische Politikangebote (wenn sie geschickter präsentiert werden als hierzulande von NPD, DVU und »Republikanern«) eine Gelegenheit, sich Massenkundschaft zu verschaffen. Und ist es erst so weit, werden auch Haiderianer und Verwandte ins bürgerliche Politgeschäft eingelassen.