»Dortmund ist unsere Stadt« – unter dieser Losung versuchen militante Neonazis seit Jahren, Dortmund zu ihrer westdeutschen Hochburg auszubauen. Die Großstadt im östlichen Ruhrgebiet soll zur No-Go-Area für alle werden, die nicht ins faschistische Weltbild passen. Dazu ermutigt werden die Neonazis durch die Ignoranz, Duldung und Verharmlosung ihrer Aktivitäten seitens der Dortmunder Polizei, namentlich des Polizeipräsidenten Hans Schulze.
Nach der Ausbreitung auf Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und andere ostdeutsche Gebiete zielen die Neofaschisten jetzt auf die Eroberung des Ruhrgebiets. Ähnlich wie in Ostdeutschland leiden hier besonders viele Menschen unter den Folgen der neoliberalen Regierungspolitik. Angesichts von Werksschließungen, Massenentlassungen, Arbeits- und Perspektivlosigkeit präsentieren sich die Neofaschisten als Vertreter der sozial Schwachen. Als einfaches Lösungskonzept bieten sie Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Aber anders als in den ostdeutschen Bundesländern hat sich die NPD in Nordrhein-Westfalen bislang nicht fest etablieren können. Diese Schwäche erklärt sich aus dem doppelten Druck, den einerseits rechtspopulistische Organisationen und andererseits die aktionsorientierten sogenannten »autonomen Nationalisten« ausüben. Während die rechtspopulistische Anti-Islam-Bürgerbewegung Pro-NRW ihr Zentrum in Köln hat, sammeln sich in Dortmund die »autonomen Nationalisten«. Sie können auf eine jahrzehntelange neonazistische Tradition zurückgreifen – von der »Borussenfront«, die in den 80er Jahren im Umkreis von Fußballfans agierte, über die Anfang der 90er Jahre verbotene Freiheitliche Arbeiterpartei (FAP), die »Freien Kameradschaften« und eine rechtsextreme Musikszene. Anführer der Dortmunder Nazis ist seit langem der mehrfach vorbestrafte ehemalige FAP-Kader Siegfried »SS-Siggi« Borchardt. Seit 2004 hetzen drei Abgeordnete der Deutschen Volksunion (DVU) im Dortmunder Stadtrat, derweil haben die »autonomen Nationalisten« den Kampf um die Straße aufgenommen.
Bei der bislang größten Neonazidemonstration in Dortmund, am 6. September 2008, marschierten anläßlich des 4. »nationalen Antikriegstags« rund 1300 »Kameraden« aus dem ganzen Bundesgebiet durch die Stadt. Die Verherrlicher der Waffen-SS skandierten heuchlerisch »Nie wieder Krieg«, um dann hinzuzufügen: »… nach unserem Sieg«. 16 Polizisten wurden verletzt, als Neonazis mehrfach versuchten, Polizeiketten zu durchbrechen. Auf der Rückreise von der Demo griffen Neonazis an einer Autobahnraststätte eine Gruppe Kurden an und verletzten sie mit einer Gasschußwaffe.
Im Vorfeld des Aufmarsches hatten sich in Dortmund rechtsextreme Drohungen und Gewalttaten gehäuft. Innerhalb von zwei Wochen wurde das Wahlkreisbüro der Dortmunder Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (Die Linke), die eine antifaschistische Gegendemonstration angemeldet hatte, zweimal mit Stahlkugeln beschossen; glücklicherweise trafen die Schüsse durchs Fenster niemanden. Am Tag vor der Demonstration ging eine Mail im Abgeordnetenbüro ein: »Du linke Kommunistenschlampe solltest dir besser schon mal einen Bestatter suchen. … Die nächste Kugel ist für dich!« Unterzeichnet war die Haßmail vom »Nationalen Widerstand«. An das Wohnhaus eines weiteren Politikers der Partei Die Linke wurden antisemitische Zeichen gesprüht. In den Tagen vor der Demonstration kam es zu körperlichen Übergriffen militanter Neonazis gegen Antifaschisten. Nur durch die Flucht in eine Kneipe konnten sich Mitglieder des »Bündnis gegen Rechts«, die Flugblätter verteilt hatten, vor den Schlägern retten. Vergeblich forderten die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten und das Dortmunder »Bündnis gegen rechts« ein Verbot des Aufmarsches.
Mit einem Großaufgebot schützte die Polizei die Nazis und half ihnen geradezu, temporäre »national befreite Zonen« in Dortmund zu errichten. Drei Stadtviertel, durch die der braune Aufzug führte, wurden an diesem Tag für Antifaschisten zur polizeilich abgesicherten No-Go-Area erklärt. Die von älteren Antifaschistinnen und Antifaschisten gebildete »Aktion 65Plus« hatte dazu aufgerufen, Stolpersteine und andere Mahnmale für die während des Nazi-Regimes ermordeten Juden entlang des Naziaufmarsches vor den Stiefeln der Faschisten zu schützen. Die Polizei verbot diese Mahnwachen. Ein Gericht erlaubte sie wieder, dann wurden sie kurz vor der Demonstration erneut verboten. Gewaltsam hinderte die Polizei die Demonstranten der »Aktion 65Plus« daran, zu den antifaschistischen Erinnerungsstätten zu gelangen. Ihnen drohen jetzt Strafen wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz.
Seit Jahren leugnen Dortmunds Polizei und Stadtverwaltung beharrlich, daß es ein Naziproblem gibt – und schauen dem braunen Treiben zu. Zwar richtete die Stadtverwaltung Ende letzten Jahres eine Stelle für »Toleranz, Vielfalt und Demokratie« ein. Doch auch auf der antifaschistischen Kundgebung während des Naziaufmarsches behauptete Oberbürgermeister Gerhard Langemeyer (SPD) auf der Bühne wiederholt, daß Rechtsextreme in Dortmund keine Chance hätten. Aber die Liste von faschistischen Provokationen, Aufmärschen, Überfällen bewaffneter Schlägertrupps auf alternative oder von Migranten besuchte Lokale, Anschlägen auf Parteibüros der Linkspartei oder der Grünen, rassistischen Pöbeleien und Drohungen gegen Antifaschisten wird wöchentlich länger.
Zeigen sich der Oberbürgermeister und die Stadtverwaltung gegenüber der ständig wachsenden gewalttätigen Naziszene vor allem ignorant, um das Image Dortmunds nicht in Verruf geraten zu lassen, so muß das Verhalten der Polizei in den letzten Jahren die Neonazis geradezu ermutigen. Beispiel: 1. Mai 2007. Provokativ marschierten am Tag der Arbeit Faschisten auf, Tausende Antifaschisten stellten sich ihnen entgegen. Doch die Polizei bahnte den Faschisten nicht nur knüppelschwingend den Weg, sondern chauffierte ganze Gruppen von ihnen in städtischen Bussen zu ihrem Kundgebungsort. Zuvor hatte die Polizei entlang der Aufmarschstrecke antifaschistische Plakate der Gewerkschaften abgehängt und den Aufmarschplatz von vergossener Jauche gereinigt. So wurde alles getan, damit sich die braunen Gäste in Dortmund wohl fühlten und bereits wenige Monate später zum 3. »nationalen Antikriegstag« wiederkamen.
Während Antifaschistinnen und Antifaschisten mit Prozessen und Strafen überzogen werden, leugnet die Dortmunder Polizei bei Straftaten von Neonazis beharrlich rechtsextreme Hintergründe. Überfälle auf Antifaschisten werden als unpolitische Prügelei unter Jugendlichen verharmlost, Anschläge auf linke Treffpunkte als einfache Sachbeschädigung deklariert, wenn nicht direkt neben dem Einschuß ein faschistischer Aufkleber hängt.
Jetzt läuft eine Unterschriftenkampagne: »Polizeipräsident Hans Schulze hat durch sein Fehlverhalten dazu beigetragen, daß sich in Dortmund eine stetig wachsende und extrem gewaltbereite Neonazi-Szene etablieren konnte.« Gefordert wird der Rücktritt des seit 1993 amtierenden Polizeipräsidenten. Der braune Terror würde dadurch nicht beendet. Aber Schulzes Abgang wäre ein Zeichen, daß die Faschisten in Dortmund nicht länger auf stillschweigende Protektion von staatlicher Seite setzen können.
Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Büro von Ulla Jelpke.