Der britische Künstler Damien Hirst hat das Gesicht des heutigen Kapitalismus modelliert: ein Totenschädel aus Platin, bis auf die Zähne ganz und gar mit Diamanten besetzt. Über die barocken Bilder eines memento mori, auf denen Totenköpfe mit einer schlichten Ähre bekränzt waren, geht das weit hinaus. Manche halten es für inhaltsleeren Kitsch, andere für einen bloßen Abklatsch der Verhältnisse. Aber es gibt auch Kunstkenner, die Hirsts Plastik kritisch verstehen.
Jedenfalls zeigt sie die Vergeblichkeit des Bemühens, dem Tod durch teures, beständiges Material ein Schnippchen zu schlagen. Und sie kann, kritisch betrachtet, die These Erich Fromms bestätigen, daß die Anhäufung toter Dinge wie auch abstrakter Werte um ihrer selbst willen eine nekrophile, lebensfeindliche Haltung verrät.
Hirst hat sein spekulatives Kunstwerk dadurch in die Realität des Marktes überführt, daß er sich an dem Konsortium selbst beteiligte, das es für mehr als 50 Millionen Euro erwarb. Diese Geldanlage war so gezielt wie schon die allererste in ein Produkt von ihm: 1991 hatte der Werbemagnat Charles Saatchi 50.000 Pfund für einen von Damien Hirst in Formaldehyd eingelegten Tigerhai bezahlt. 2005 verkaufte er ihn für acht Millionen Dollar an einen Hedge-Fonds-Manager; das ergab eine jährliche Rendite von 41 Prozent.
»Jetzt adelt kein geringeres Haus als das New Yorker Metropolitan Museum den Hai als Leihgabe«, schrieb Rose-Maria Gropp im Feuilleton der FAZ. Man beachte die Umkehrung der Verhältnisse: Früher wurden Museen dadurch geadelt, daß sie einen Rembrandt, Vermeer oder Beckmann besaßen, heute adeln sie als heilige Hallen das, was ihnen zu eben diesem Zweck geliehen wird, damit sein Marktwert steige.
Konservierte Tierkadaver wurden zu Hirsts Markenzeichen. Die Originalität und der Schockeffekt gingen nicht weit über die der in medizinischen Sammlungen in Gläsern eingelegten Reptilien oder mißgebildeten Föten hinaus. Die schiere Größe der Objekte, ihre auf die Wirkung des Erhabenen zielende Präsentation und der Ort der Zurschaustellung, das Museum, machten die Sensation aus.
Den Mechanismus des Blow up beherrschte Hirst auch, als er aus einer anatomischen Spielzeugfigur eine mehrere Meter hohe Plastik entwickelte. Der vom Hersteller der Figur angestrengte Plagiatsprozeß endete mit einem Vergleich.
Damien Hirst wurde so zum typischen Exponenten der zeitgenössischen internationalen Kunstmarktkunst, deren Kennzeichen Riesenformate, markenförmige Wiedererkennbarkeit und einfache Botschaften sind. Piroschka Dossi beschreibt in ihrem 2007 erschienenen Buch »Hype! Kunst und Geld«, wie der kometenhafte Aufstieg von Künstlern wie Hirst parallel lief zum Wachstum spekulativer Märkte und sozialer Ungleichheit. Überschüssiges Kapital und neuer Reichtum suchten phantastische Anlagesphären und fanden sie in der Kunst. Nebenbei konnte man dabei durch Abschreibung Steuern sparen oder Schwarzgeld unterbringen.
Die Preise für marktgängige Bilder und Plastiken explodierten und überholten sogar in einzelnen Fällen die für anerkannte Meisterwerke früherer Zeiten. Das war möglich, weil die neuen Millionäre und Milliardäre Objekte ihrer Begierden suchten und fanden, die Prestige und den Anschein eines individuellen Geschmacks versprachen, obwohl ihnen ihre Kunstberater die immergleichen Spitzenstars andienten. »Kunst ist Kapital«, hieß es schon 1990 auf einer Postkarte der »Wirtschaftsförderung Frankfurt«, damit es auch der letzte begreife: Geld ist alles, und alles kann mit und zu Geld gemacht werden.
Damien Hirst hat dafür die einprägsamste Metapher gefunden, genauer: in der Kunstgeschichte vorgefunden und auf seine Art vergrößert und vergröbert: ein Jungbulle mit vergoldeten Hufen und einer Scheibe aus massivem Gold zwischen den goldenen Hörnern, die wie ein imaginärer Spiegel wirkt. Zu vermuten ist, daß kaum einer in diesen Spiegel blicken wird. Das hybride Mischwesen aus Natur und Kultur trägt den Titel »Das goldene Kalb«. Um es herum tanzten alle Bieter auf der größten Auktion aller Zeiten, die Sotheby’s in London exklusiv für Hirst veranstaltete: 223 neue Werke aus seiner Kunstmanufaktur, die 180 Angestellte hat. Erlös: 140 Millionen Euro, von denen der Künstler ein paar für karitative Zwecke abzweigen will.
Die Tatsache, daß er die Bilder selbst, unter Umgehung seiner bisherigen Galerien, auf die Auktion gab, um den ganzen Gewinn einzustreichen, verführte Rose-Maria Gropp dazu, in der FAZ von »Subversion« und »Demokratisierung« des Kunstmarktes zu sprechen. Den »unerhörten Coup«, »platziert am Rand einer globalen Wirtschaftskrise«, durfte sie auf einer Dreiviertelseite beschreiben. Die Kunst ist es eben, den Haien die Zähne zu vergolden – nicht, sie ihnen zu ziehen.
»Die Kunst kennt keine Finanzkrise«, titelte Die Welt bewundernd, als ob ihre Redakteure nichts davon wüßten, daß der mit der Auktion fast zeitgleiche Zusammenbruch bedeutender Banken die Flucht in den vermuteten Sachwert Kunst noch befeuert haben wird. Aber auch dieser kann sich als trügerisch erweisen, wie sich 1990 zeigte, als die Spekulationsblase auf den Kunstmärkten plötzlich an Luft verlor. Über die in London verkauften großformatigen »Spin Paintings« von Hirst, die dadurch entstehen, daß auf einer rotierenden Scheibe Farbe verteilt wird, schrieb die Süddeutsche trocken: »Das ist die Sorte Kunsthandwerk, die gescheiterte Hippiekünstler an Urlaubsstränden verkaufen.«