Wie kriegführende Regierungen die Weltöffentlichkeit mit Hilfe von Public-Relations-Agenturen manipulieren, ist zwar kein Geheimnis mehr, aber noch viel zu wenig bekannt. Es begann im Biafrakrieg 1967, der nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 500.000 und zwei Millionen Todesopfer forderte. Das kriegführende Nigeria hatte die britische Agentur Burson-Marsteller Associates engagiert, und für die abtrünnige Provinzregierung in Biafra arbeiteten die US-amerikanische Agentur Ruder Finn und die Genfer Agentur Markpress.
Erfolgreich im Sinne der biafranischen Bürgerkriegsregierung war die Beeinflussung der westlichen Öffentlichkeit aus mehreren Gründen. Mittels »agenda setting« verbreiteten die Agenturen gezielt Begriffe, die die biafranische Argumentation in eine europäische umwandelten (zum Beispiel christlich, Hungerblockade, Genozid, Bombenterror), und um die europäische Öffentlichkeit zu gewinnen, brauchte man auch Biafra-Solidaritätskomitees. In den USA gab es beispielsweise die von einer PR-Agentur gegründete »Biafran Students Association«, die gegen Honorar vor dem UNO-Hauptquartier politische Demonstrationen für die Unabhängigkeit Biafras organisierte. In Deutschland tat sich die Hamburger »Aktion Biafra-Hilfe« hervor, aus der später die »Gesellschaft für bedrohte Völker« (GfbV) hervorging. Gerade sie war es, die im Zusammenhang mit dem Biafra-Krieg Signalwörter wie Völkermord, Massenvernichtung, Massengräber, Rassenwahn, Liquidierung, Vertreibung, Konzentrationslager und Auschwitz einsetzte und Vergleiche zwischen den unterlegenen Biafranern und den Juden unter der faschistischen NS-Herrschaft formulierte. So ergab eine PR-Manipulation von oben gepaart mit scheinbar spontaner Empörung von unten in sich geschlossene Kommunikationssysteme, deren Verstärkerwirkung sich kaum jemand entziehen konnte, und es gelang, die Kriegsberichterstattung im Sinne der Regierung von Biafra zu beeinflussen und zu verändern. Vom dortigen Öl und den Interessen des Shell-Konzerns war nicht die Rede.
Nach dem gleichen Muster waren zahlreiche US-amerikanische PR-Agenturen in den verschiedenen ex-jugoslawischen Kriegen von Anfang der neunziger Jahre an aktiv. Zwei der Agenturen, die schon im Biafra-Krieg tätig gewesen waren, nämlich Burson-Marsteller und Ruder Finn, präsentierten sich als erfolgreiche Kommunikationsspezialisten für Kriegsparteien. So führte Ruder Finn von 1991 bis 1997 umfangreiche PR-Kampagnen für die Regierungen von Kroatien, Bosnien-Herzegowina und für die kosovo-albanischen Separatisten, Burson-Marsteller wurde von Sarajewo beauftragt.
Eine systematische Untersuchung der Rolle US-amerikanischer PR-Agenturen zwischen 1991 und 2002 führte zu folgenden Ergebnissen: In diesem Zeitraum waren 31 US-amerikanische PR-Agenturen und 9 PR-Einzelagenten für die diversen Kriegs- und Konfliktparteien auf dem Balkan tätig. Die wichtigsten waren: Washington World Group, Ruder Finn, Jefferson Waterman International und Burson-Marsteller. Zwischen diesen Agenturen und der US-amerikanischen Politik und dem US-amerikanischen Militär gab und gibt es zahlreiche und hochrangige Personalverflechtungen, eine Art militärisch-industrieller-kommunikativer Komplex.
Die von den Kriegsparteien engagierten PR-Agenturen arbeiteten im wesentlichen mit folgenden Elementen, die sie formal und inhaltlich miteinander kombinierten: politische Propaganda, Lobby-Arbeit, Krisenkommunikation, Informationsmanagement, Management und Organisation einzelner Kampagnen, politische Kommunikationsberatung und -arbeit und Beobachtung von Gegnern und Öffentlichkeit. PR-Agenturen, die für nicht-serbische Klienten arbeiteten, gaben unter anderem folgende Ziele ihrer Arbeit an: die Anerkennung der Unabhängigkeit Kroatiens und Sloweniens durch die USA, die Wahrnehmung Sloweniens und Kroatiens als fortschrittliche Staaten westeuropäischen Zuschnitts, die Darstellung der Serben als Unterdrücker und Aggressoren, die Gleichsetzung der Serben mit den Nazis, die Formulierung des politischen Programms der Kosovo-Albaner, die Darstellung der Kroaten, der bosnischen Muslime und der Kosovo-Albaner als unschuldige Opfer, die Anwerbung von Nichtregierungsorganisationen, Wissenschaftlern und think tanks für die Verwirklichung der eigenen Ziele, die Förderung von US-Investitionen in den jugoslawischen Nachfolgestaaten und Abspaltungen von Serbien.
Wie die erfolgreiche Arbeit dieser PR-Agenturen im einzelnen ablief, läßt sich gut an den Selbstaussagen von James Harff, führender Manager bei Ruder Finn, entnehmen, also der Agentur, die gleich für drei antiserbische Kriegsparteien aus Ex-Jugoslawien gearbeitet hat: »Es ist nicht unsere Aufgabe, Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Wir haben dafür nicht die nötigen Mittel. (…) Unsere Arbeit besteht darin, Informationen auszustreuen und so schnell wie möglich in Umlauf zu bringen, damit die Anschauungen, die mit unserer Sache im Einklang stehen, als erste öffentlichen Ausdruck finden. Schnelligkeit ist hier die Hauptsache. Wenn eine Information für uns gut ist, machen wir es uns zur Aufgabe, sie umgehend in der öffentlichen Meinung zu verankern. Denn uns ist klar, daß nur zählt, was einmal behauptet wurde. Dementis sind dagegen völlig unwirksam.«
Als seinen größten PR-Erfolg bezeichnete James Harff den Umstand, daß es ihm im Bosnienkrieg gelungen sei, »die Juden auf unsere Seite zu ziehen«. Und in der Tat veröffentlichten drei der größten jüdischen Organisationen in den USA im August 1992 eine ganzseitige Protestanzeige in der New York Times, in der die Serben mit den Nazis und die Bosnier mit den Juden gleichgesetzt wurden. Danach, so Harff weiter, geschah folgendes: »Die Presse wandelte umgehend ihren Sprachgebrauch und verwendete ab sofort emotional stark aufgeladene Begriffe wie ethnische Säuberung, Konzentrationslager und so weiter, bei denen man an Nazi-Deutschland, Gaskammern und Auschwitz denkt. Die emotionale Aufladung war so stark, daß niemand mehr eine gegenteilige Meinung vertreten konnte oder andernfalls Gefahr lief, des Revisionismus beschuldigt zu werden. Da haben wir voll ins Schwarze getroffen.«
In dieser Anzeige des American Jewish Committee (AJC), des American Jewish Congress (AJC) und der Anti-Defamation League (ADL) hieß es unter anderem: »Den blutigen Namen von Auschwitz, Treblinka und anderen Nazi-Todeslagern scheinen die Namen von Omarska und Brcko hinzuzufügen zu sein. (…) Ist es möglich, daß fünfzig Jahre nach dem Holocaust die Nationen der Welt, unsere eingeschlossen, passiv dastehen und nichts tun und vorgeben, hilflos zu sein? (…) Es sei hier betont, daß wir jeden notwendigen Schritt tun werden, inklusive den der Gewalt, um diesem Wahnsinn und dem Blutvergießen ein Ende zu setzen.«
Im Mechanismus gerade dieses Anzeigentextes, »aus Muslimen Juden zu machen«, sehen die beiden israelischen Sozialwissenschaftler Daniel Levy und Natan Sznaider in ihrer Studie »Erinnerungen im globalen Zeitalter: Der Holocaust« den entscheidenden Dreh- und Angelpunkt zu einer Globalisierung der Holocaust-Metapher. Zum einen wurde so der Holocaust zu einem universalen Container für Erinnerungen an unterschiedliche Opfer, zum anderen trug die Übertragung des Holocaust auf den Konflikt in Bosnien entscheidend dazu bei, daß das wirkliche Geschehen dort kaum noch wahrgenommen wurde.
Und wie im Bürgerkrieg in Biafra so stimmten auch im Bosnienkrieg eine PR-Agentur und eine Nichtregierungsorganisation, nämlich wiederum Ruder Finn und die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), inhaltlich und zeitlich überein. Hatte der GfbV-Vorsitzende Tilman Zülch schon im Biafra-Krieg formuliert, daß sich die Biafraner »in einer ähnlichen Situation befinden wie Polen und Juden 1944 im Warschauer Ghetto«, so eröffnete er 1993 sein Buch über den Bosnienkrieg mit folgendem Satz: »Hunderttausende Europäer, bosnische Muslime, laufen wie die Juden in den 30er Jahren um ihr Leben.«
Vor diesem argumentativen Hintergrund veranstaltete die GfbV damals, am 14. November 1993, eine Kundgebung »Rettet Bosnien« am Glockenturm des ehemaligen KZ Buchenwald mit rund 2.500 Teilnehmern aus Bosnien, die sie mit Bussen vom Balkan nach Deutschland gebracht hatte. Auf dieser Großdemonstration sprachen mehrere Redner davon, daß »Bosnien-Herzegowina in ein Konzentrationslager verwandelt worden« sei, und empörten sich über den »schlimmsten Massenmord seit den vierziger Jahren«.
So mißbrauchte die GfbV damals antifaschistische Erinnerungsarbeit. Die Gedenkstätte Buchenwald fühlte sich falsch informiert, verwahrte sich scharf gegen eine politische Instrumentalisierung und argumentierte zu Recht, sie sei keine wohlfeile Plattform zur Steigerung öffentlicher Aufmerksamkeit.
Doch die Gleichsetzung von Morden in Bosnien mit dem Holocaust erwies sich als sehr wirksam. So übernahm der links-liberale Publizist Freimut Duve, damals OSZE-Beauftragter für die Freiheit der Medien, den Srebrenica- Auschwitz-Vergleich, als er zwei Jahre später unter expliziter Bezugnahme auf die Eisenbahnrampe in Auschwitz, von der aus ankommende Gefangene direkt in die Gaskammer getrieben wurden, auf der ersten Seite der Zeit titelte: »An der Rampe von Srebrenica«. 2002 hieß es sodann im Klappentext eines Suhrkamp-Buches: »In Srebrenica wurde der schlimmste Massenmord in Europa seit 1945 verübt.« Und in den folgenden Jahren verfestigte sich diese Vorstellung.
Es war schon besonders perfide, gerade das Balkanvolk, das am meisten unter den Nazis gelitten hat, die Serben, mit den Nazis gleichzusetzen.
Antiserbische Hetze hatte in Deutschland schon vor dem Ersten Weltkrieg begonnen und sich während des Krieges verschärft. In Illustrierten tauchten Witze auf, in denen Serben als unterentwickelt, unzivilisiert, dreckig und gewalttätig dargestellt wurden. Selbst Egon Erwin Kisch, der 1930 einen Artikel über seine Zeit als österreichischer Soldat im Krieg gegen Serbien im Sommer 1914 schrieb und darin viele Kriegsereignisse schilderte, vergaß darüber die zahlreichen Massaker der österreichisch-ungarischen Armee an der serbischen Bevölkerung in den Dörfern entlang der Drina, obwohl er sich nachweislich in genau diesen Dörfern aufgehalten hatte. An solche selektiven Wahrnehmungen und anti-serbische Vorurteile konnten die deutschen Faschisten im Zweiten Weltkrieg anknüpfen. Als das Dritte Reich 1941 seinen Angriffskrieg gegen Jugoslawien begann, sprach die NS-Propaganda-Illustrierte Signal von einer deutschen »Befreiung« Kroatiens und ließ ihrem Serbien-Haß freien Lauf. Signal sah in den Serben nur »Verschwörer«, »Banditen« und »Terroristen«. Der »serbische Volkscharakter« sei eine »Mischung aus Verstocktheit (…) Vetternwirtschaft und Korruption«.
Zur »Befreiung« Kroatiens unter faschistischer Herrschaft gehörte die Ermordnung hundertrausender Serben durch die kroatische Ustascha in den Jahren 1941 bis 1945. Für die deutsche Wehrmacht und ihre Hilfstruppen, darunter die albanische SS-Division Skanderbeg, war Serbien der Hauptfeind auf dem Balkan. In den 1990er Jahren klärte die Ausstellung »Verbrechen der Wehrmacht« darüber auf, aber als 1999 US-Präsident Clinton und seine Außenministerin Albright und der deutsche Kanzler Schröder und sein Außenminister Fischer die NATO in den Bombenkrieg gegen Serbien führten, waren die Medien, allen voran Bild und die Springer-Zeitungen, wieder voller Hetze gegen »die Serben«, und Präsident Milosevic wurde in fettesten Schlagzeilen als »Der Schlächter« tituliert. Verteidigungsminister Scharping stattete vor Kriegsbeginn mit Bundeswehrsoldaten einen Besuch in Auschwitz ab, um die Vorstellung zu vermitteln, es ginge jetzt darum, auf dem Balkan ein neues Auschwitz zu verhindern. PR-Agenturen trugen – wie inzwischen auch in den Kriegen gegen den Irak und die afghanischen Taliban – dazu bei, die Weltöffentlichkeit zu manipulieren. Über den tatsächlichen Verlauf des sogenannten Kosovo-Krieges (schon diese Bezeichnung führt irre, denn ganz Serbien wurde bombardiert) und über die tatsächlichen Opfer, Schäden, Folgen sind die Konsumenten deutscher Monopolmedien bis heute, zehn Jahre danach, noch immer desinformiert.
Aber es gab Zeiten in Deutschland, in denen »die Serben« ganz anders wahrgenommen wurden. 1848 schrieb Jacob Grimm: »Die Serben, die das übrige Europa vielleicht für arm gehalten hatte, erfreuen es durch ihre reiche Poesie.« Friedrich Engels 1863: »Sonst treibe ich stark Serbisch, die von Vuk Stef. Karadzic gesammelten Lieder.« Schon Goethe hatte mit Karadzic (1787–1864) eine tiefe Freundschaft verbunden. Heute, angesichts propagandistischer Kriegsvorbereitungen gegen den Iran, könnte es vielleicht nützen, an den von Goethe bewunderten persischen Dichter Hafis zu erinnern. Der Feindbild-Produktion könnte es entgegenwirken.
Jörg Becker ist Hochschullehrer für Politikwissenschaft an den Universitäten Marburg und Innsbruck und Geschäftsführer des Instituts für Kommunikations- und Technologieforschung in Solingen.