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Titel2009

Wie Südafrika mit der Geschichte umgeht  (Ulrich van der Heyden)

Nachdem Südafrika die Apartheid überwunden hatte, blieb der multiethnischen Gesellschaft die Aufgabe, sich kritisch mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, um die Zukunft meistern zu können. In einer international beispiellosen Weise wurden die schwersten Verbrechen vor der Wahrheits- und Versöhnungskommission verhandelt. Die Verbrecher mußten sich selbst stellen und um Vergebung bitten. Das hat dem Land den inneren Frieden bewahrt.

Doch heute spricht in Südafrika kaum noch jemand von dem juristisch ausgehandelten Versöhnungsprozeß, jedenfalls auf Seiten der Weißen. Bei den Apartheid-Opfern, fast ausschließlich Schwarzen, ist das etwas anders. Viele warten noch immer auf die zugesagten finanziellen Entschädigungen, auch wenn Geld wohl nie ein Äquivalent für Folter und Mord sein kann.

Nicht alle Weißen waren Mörder und Folterer, aber sie alle profitierten von der Apartheid. Jedes Regime bringt seine mehr oder minder überzeugt handelnden Mitläufer hervor, die in der Regel die Mehrheit der Bevölkerung bilden. So war es auch in Südafrika. Heute aber trifft man dort kaum einen Weißen, der die Apartheid etwa noch positiv wertet. Wollte man ihren Worten glauben, dann wären sie alle schon vor der Freilassung Nelson Mandelas aus dem Gefängnis zu Beginn der 1990er Jahre und dem anschließenden Wahlsieg des African National Congress (ANC) Gegner der Apartheid gewesen. Wendehälse – das Wort kommt auch am Kap in Gebrauch. Damit sind aber nicht nur die einfachen Bürger der europäischstämmigen Bevölkerung gemeint, die entweder in der Hoffnung auf persönliche oder berufliche Vorteile oder aus ethischen Gründen ihre Auffassungen nach außen hin in den letzten zwei Jahrzehnten geändert haben, dem sie bemerkt hatten, daß nahezu die ganze Welt gegen die Apartheid war; Wendehälse finden sich vielmehr auch unter den Exponenten des Rassisten-Regimes.

Fast alle namhaften Historiker Südafrikas, die in der Vergangenheit nur die Geschichte des weißen Mannes im Kampf gegen die »schwarzen Wilden« als lohnendes Thema betrachtet hatten, haben sich seit der »südafrikanischen Wende« auch in ihrer Themenwahl gewendet. Nunmehr ist für sie auch die »schwarze Geschichte« opportun. Den historisch interessierten Besucher Südafrikas erstaunt es, welche Einzelheiten der Geschichte des afrikanischen Widerstandes mit einem Mal in Büchern oder in Fachzeitschriften in großer Anzahl behandelt werden; Einzelheiten, die in vormaligen Zeiten lediglich von Marxisten und einigen ausländischen Historikern aufgegriffen worden waren.

Das heißt aber nicht, daß die »alten Themen« der südafrikanischen Geschichtswissenschaft, namentlich der sogenannte Burenkrieg, verschwunden wären. Die einschlägigen Monographien, die zum hundertsten Jahrestag dieses Krieges (1899 bis 1902) erschienen sind, kann man im Dutzend zählen. Keine Schlacht, kein Gefecht, kein Scharmützel, kein Ort von damaliger strategischer Bedeutung, dem nicht ein Buch oder eine Broschüre gewidmet wurde. Neues ist darin kaum zu finden.

Ein neues Thema aber ist der sogenannte Border War – ein Begriff, mit dem der völkerrechtswidrige Krieg der Apartheidarmee gegen den Süden Angolas und gegen die zu Hilfe gerufenen kubanischen Soldaten kaum zu erfassen ist. In den zahlreichen Publikationen sind hauptsächlich zwei Diskussionsstränge auszumachen. Zum einen geht es um die angeblich hehren Ziele, für die damals junge weiße Südafrikaner ihr Leben einsetzen mußten – viele verloren es. Inzwischen weiß auch der letzte Schütze, wenn er sich denn von der Apartheid-Ideologie gelöst hat, daß es verbrecherische Ziele waren. Oft wußten die Soldaten gar nicht, wo sie kämpften. Wenn aber bekannt wurde, daß sie sich in Angola aufhielten, wurde ihnen der genaue Standort verschwiegen. Die Generäle in ihren Stäben und an ihren Schreibtischen wußten, was geschah, und sahen es als notwendig im Kampf gegen den Kommunismus an – und das ist der zweite inhaltliche Strang. Nach wie vor versuchen die – zumeist militärischen – Verantwortlichen für die widerrechtliche Besetzung Namibias und für den Krieg gegen Angola ihr damaliges Handeln mit der Abwehr der »roten Gefahr« zu begründen. Zudem versuchen sie sich damit zu entschuldigen, daß sie doch den Segen, ja geradezu die Aufforderung und Rückendeckung der USA gehabt hätten.

Ein bißchen »Gauck«, meint ein aufgeklärter Historiker in Südafrika, würde dem Verschweigen und Vergessen entgegenwirken und der objektiven Aufarbeitung der jüngsten Geschichte sicher nicht schaden. Aber Südafrika geht eben anders damit um. Die Geheimdienste von einst arbeiten weiter, teilweise mit dem gleichen Personal (die Spitzen wurden ausgewechselt) und mit den Akten, die schon zu Apartheidzeiten angelegt wurden. Von ihnen ist nicht zu erwarten, daß sie etwa durch Freigabe relevanter Archivalien zur Aufklärung von Kriegsverbrechen beitragen werden.

Kürzlich fand in Pretoria eine Konferenz statt, die der Aufarbeitung des Border War dienen sollte. Beteiligt waren Vertreter des Apartheidregimes, Angolas, Rußlands und Kubas. Kämpfer der bewaffneten Kräfte des ANC oder der namibischen Befreiungsorganisation waren nicht geladen worden, nahmen jedenfalls nicht mit kompetenten Sprechern teil. Mit alten und neuen Scheuklappen und Schuldzuweisungen ging der alte Streit weiter, wenn auch in zivilisierter Rhetorik. Ein einflußreicher ehemaliger sowjetischer Berater, jetzt russischer Historiker, beendete den Disput, indem er den ehemaligen südafrikanischen Oberbefehlshaber zu einer Flasche Wodka einlud – als wäre alles gesagt gewesen.

»Wendehälse« wurden auch auf dieser Tagung ausgemacht. Unter ihnen war sogar der langjährige Außenminister des Apartheidregimes, Pik Botha. Einst pflegte er seinen Botschaftern mit Entlassung zu drohen, wenn sie über zunehmende Aktivitäten gegen die Apartheid in der ganzen Welt berichteten und um Vorschläge baten, wie sie darauf reagieren sollten. Jetzt outete er sich als Apartheidgegner, der schon immer gegen diese Form der Rassenpolitik gewesen sei. Er hätte sich gut vorstellen können, unter einem schwarzen Präsidenten zu dienen. Ganz unbescheiden ließ er durchblicken, daß man eigentlich ihm die Abschaffung der Apartheid zu verdanken habe. Diese Aussage eines schillernden Wendehalses ist wohl ebenso viel wert wie bei früherer Gelegenheit ein Auftritt des führenden südafrikanischen Historikers van Jaarsveld, der dem Apartheidgedanken, den er sein Leben lang gepflegt, gelehrt und popularisiert hatte, abschwor und sich später über die Schlagzeile amüsierte, für die er gesorgt hatte. Er änderte seine Lehrmeinung nicht. Mit Lippenbekenntnissen, das lehrt das fast 20jährige Bestehen eines demokratischen Südafrika, läßt sich Rassismus nicht aus den Köpfen entfernen.