Ach, immer wieder Wirtschaftskrisen! Die bringen die Marktwirtschaft ins Stolpern. Spekulation mit bizarren Renditezielen saugt das Geld aus der Produktion. Ludwig Erhards schöne Verheißung eines Wohlstand für alle endet in Stillstand, Rückschlag und Jobvernichtung.
In ihrem neuen Buch »Freiheit statt Kapitalismus« zeigt Sahra Wagenknecht einen Ausweg, der an Ideen des irischen Nobelpreisträgers Bernard Shaw aus den 1920er Jahren erinnert. Statt proletarischer Revolution à la Marx, gefolgt von staatlicher Planwirtschaft, wünscht sie den sanften Wandel gewaltfrei, demokratisch. Erhard reloaded, heißt ihr Fazit. Profitsystem wie bürokratischer Sozialismus, beide gescheitert? Okay, once more with feeling, so kommt man noch ans Ziel.
Wagenknecht regt eine Steuer von fünf bis zehn Prozent auf jene Vermögen an, die eine Million Euro übersteigen. Betriebsvermögen sei ganz allmählich umzuwandeln, und zwar in unveräußerliche Belegschaftsanteile. Nur bei Großunternehmen ab 100 Millionen Euro Eigenkapital wünscht sie sich ein Viertel der Anteile in die öffentliche Hand von Kommunen oder Land. Ihr geht es nicht nur darum, den erreichten Wohlstand bloß neu zu verteilen; der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Doch so erst, schreibt sie, entstehe eine gerechte Gesellschaft, sei wahre Demokratie möglich, dank eines kreativen Sozialismus, der übrigens den echten Unternehmer fördert, ihn großzügig finanziert, statt ihn wie heute üblich in die Kreditklemme zu bringen, ihn aufzukaufen oder sonstwie zu ruinieren.
Warum aber scheint uns das – Marktwirtschaft ohne Kapitalismus – so fern zu sein wie zu Zeiten Bernard Shaws oder auch des tschechischen Reformers Ota Sik? Weil Geld die Welt regiert, wie der Volksmund weiß; die wirklich Reichen es also gut verstehen, all jene glänzend zu bezahlen, die ihnen helfen, reich zu bleiben und immer noch reicher zu werden.
In seinem erhellenden Buch »Die blinden Flecken der Ökonomie« kommt Bernd Senf exakt auf den Punkt, nachdem er der Reihe nach sämtliche Wirtschaftstheorien untersucht hat. Die seien selbst in der Krise, meint er und findet vier solcher blinden Stellen auch bei Marx. Meist sind die Irrtümer der Großen aus dem Zeitgeist zu erklären. Doch es gibt noch andere Fehlerquellen. Eine der wichtigsten berührt Senf auf Seite 238 seines erstaunlichen Werks.
»Auch der Kauf immer neuer und immer teurerer Waffensysteme ... oder andere staatliche Großprojekte dienen – wenn sie auch sonst keinen Sinn haben – der Befriedigung des Geldkapitals. Ohne diese Aufträge ziehen sich die Kapitalgeber nicht einfach nur frustriert zurück, sondern üben durch ihre Interessenvertreter massiven Druck auf Politik und Gesellschaft aus, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen und den Geldstau abzubauen.«
»In anderen Zusammenhängen«, heißt es weiter, »wo ein Abbau von Triebstau unter Druck erzwungen und die eigene Befriedigung durchgesetzt wird, spricht man von sexueller Nötigung. Und die wird mit Recht gesellschaftlich geächtet. Die finanzielle Nötigung von Staat und Gesellschaft durch das geldgestaute Kapital findet demgegenüber breite Anerkennung. Mit hohem Respekt und großer Behutsamkeit wird ... immer wieder darauf geachtet, die internationalen Finanzmärkte bloß nicht zu verprellen oder gar in Mißstimmung zu versetzen.«
Denn allzu leicht fließt das Geld, wie durch ein rätselhaftes Leck, aus dem Kreislauf der Realwirtschaft in die hochprofitable Finanzspekulation ab. »Würde es sich um einen Heizungskreislauf handeln und der zu beheizende Raum würde auf zunächst unerklärliche Art abkühlen«, schreibt Senf, »dann würde man normalerweise einen Klempner bestellen, um die Ursache der Störung herauszufinden.« Und der würde dann die Störung prompt beheben. »Es sei denn, das Leck befindet sich an einer Stelle, deren Berührung tabu ist, an der man sich die Finger verbrennt oder einem gar noch Schlimmeres droht.«
Es gibt halt auch in der Wirtschaftswissenschaft, meint der Autor, ein sicheres Gespür dafür, was zur Ausgrenzung und dem Ende der Karriere führt. Der berühmte John Maynard Keynes etwa sei ganz nahe »am Kern des Problems gewesen, nämlich der fatalen Verknüpfung von Geld und Zins – am Zinstabu«, so daß er fast die richtigen Konsequenzen gezogen hätte, doch er beließ es bei vorsichtigen Andeutungen.
Das Zinssystem nämlich, also die Eigendynamik der Profitmacherei, braucht ein exponentielles Wachstum, das jedes Maß sprengt, wie man es am Beispiel des »Josephs-Pfennigs« sieht: Hätte der biblische Joseph zu Christi Geburt einen Pfennig zu fünf Prozent festverzinslich und unversteuert angelegt, so wäre daraus – hätte es nie eine Inflation oder Währungsreform gegeben – ein Betrag mit so vielen Nullen geworden, daß die Zahl dem Vergleichswert von 134 Milliarden Goldkugeln vom Gewicht unserer Erde entspräche. So viel Profit hätte die Kapitalanlage dem Joseph bis 1990 erbracht!
Zwei lesenswerte Bücher.
Bernd Senf: »Die blinden Flecken der Ökonomie«, Gauke Verlag, 303 S., 24 €; Sahra Wagenknecht: »Freiheit statt Kapitalismus«, Eichborn Verlag, 364 Seiten, 19,95 €