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Titel2011

Ein linkes Projekt, bitte!  (Eckart Spoo)

Berlusconi wackelt, Sarkozy verliert die Mehrheit im französischen Senat, Merkels Koalitionspartner FDP wird zur Splitterpartei, die deutschen Jungwähler gehen mit den Piraten auf Abenteuerreisen – möglichst weit weg von den etablierten Politikern, denen sie nichts Gescheites zutrauen.

Schon in den Wochen des arabischen Frühlings, denen wochenlange Demonstrationen in Madrid, London und vielen anderen europäischen Städten folgten, zuletzt auch in Tel Aviv, forderten junge Arbeiter, Schüler, Studenten millionenfach klare Perspektiven für sich und die ganze Gesellschaft. Welche Arbeit gibt es für sie? Wovon werden sie leben können?

Die etablierten Politiker haben keine Antworten, nur nichtssagende Parolen wie auf den Wahlplakaten, die vom Wählen abschrecken. Es könnte die Stunde der linken Parteien und der Gewerkschaften sein, aber plausible Vorschläge sind auch von dort kaum zu vernehmen – und das liegt nicht nur an den Monopolmedien, die alles daran setzen, Sympathien für demokratische Alternativen zum selbstzerstörerischen Kapitalismus gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Die wirtschafts- und sozialpolitische Schlüsselfrage ist: Wie schaffen wir es, daß alle Jungen eine gute Allgemeinbildung, eine sinnvolle Berufsausbildung und schließlich einen Arbeitsplatz bekommen, an dem sie sich nützlich machen und genug Geld für ein gutes Leben verdienen können? Aber die notwendige Debatte darüber findet in den Medien ebenso wenig statt wie in den Parlamenten. Dem Kongreß der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft lagen zwar viele Anträge vor, endlich den Kampf um Arbeitszeitverkürzung wiederaufzunehmen, den die Gewerkschaftsführungen zu Schröders Zeiten aufgegeben hatten, aber Vorsitzender Bsirske wimmelte ab: Die Zeiten seien ungüstig – als würden von selbst bessere Zeiten kommen.

Es ist ja eigentlich nicht schwer zu verstehen: Der technische Fortschritt macht es möglich, das, was wir brauchen und kaufen wollen, in immer kürzerer Zeit, mit immer geringerem Arbeitsaufwand zu produzieren. Die zu leistende Erwerbsarbeit muß also verteilt werden. Das tonangebende große Kapital hat kein Interesse, die Arbeit – und irgend etwas anderes – gerecht zu verteilen. Es hat vielmehr Interesse daran, die millionenfache Arbeitslosigkeit aufrechtzuerhalten, die ihm als Einschüchterungs- und Herrschaftsmittel dient.

Kürzlich habe ich mich in Nürnberg mit Arbeitern der Druckerei Prinovis getroffen, eines Tochterunternehmens des Bertelsmann-Konzerns. Konzernchef Ostrowski verkündete in diesem Jahr: »Nie zuvor waren unsere Geschäfte so profitabel.« Die Süddeutsche Zeitung titelte: »Bertelsmann läßt Gewinn sprudeln.« Die Prinovis-Arbeiter tragen zu diesem Gewinn bei, den der Konzern großenteils dazu verwendet, weiter zu expandieren und neuerdings vor allem in China und Indien immer größere Marktanteile zu erobern. Die Geschäftsleitung forderte die Arbeiter auf, ein »Bündnis« zu schließen. Sie sollten, damit der Konzerngewinn noch höher sprudelt, wöchentlich drei Stunden auf Lohn verzichten, desgleichen auf Lohnerhöhungen, tarifliche Jahresleistung und Urlaubsgeld. Als Gegenleistung wurde ihnen versprochen, daß sie vorläufig ihre Arbeitsplätze behalten dürften. Ein Erpressungsversuch – pardon: Bündnisangebot – folgte dem anderen. Viele unterschrieben. Andere streikten, wurden entlassen. Immer spielte die Geschäftsführung Teile der Belegschaft gegen andere aus. Besonders schäbig die Zumutung an die Betriebsräte, den Nachwuchs unterhalb der geltenden Tarife arbeiten zu lassen – Alte gegen Junge. Mit dem Ziel, das ganze Tarifsystem zu zerstören.

Die Vier-Tage-Woche mit dem Sieben-Stunden-Tag ist die Antwort auf die wirtschafts- und sozialpolitische Schlüsselfrage. Mit ihr endet das Auseinanderdividieren. Gerade deswegen sind die Unternehmer dagegen. Gerade deswegen müssen die Beschäftigten erkennen, daß die 28-Stunden-Woche erkämpft werden muß.

Wenn die Gewerkschaften sich nicht auf ein solches Projekt verständigen, werden sie weiter an Respekt und an Mitgliedern verlieren – ähnlich wie die gezähmte Berliner Linkspartei an Wählern verliert. Wenn es in diesen Organisationen an Bereitschaft von links fehlt, Machtverhältnisse zu ändern und dafür vor allem die Jugend zu mobilisieren, wird der Druck von rechts oben weiter wachsen. Und der Mensch wird weiter an Wert verlieren.