Kaum ist Fukushima aus den Schlagzeilen verschwunden und der Atomausstieg beschlossen, wird weiter in die Atomforschung investiert. Die Bundesmittel dafür werden nicht gesenkt, sondern erhöht. Zur Begründung sagte Bundesforschungsministerin Annette Schavan in einem Interview der Neuen Osnabrücker Zeitung, Deutschland müsse auch in Zukunft kompetent und »international sprech- und urteilsfähig« sein.
Die Gelder fließen hauptsächlich der Helmholtz-Gesellschaft zu. Zwei ihrer 17 Zentren, das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und das Forschungszentrum Jülich, beschäftigen sich mit der Theorie der Kernfusion. Als Ziel wird ein kommerziell nutzbarer Fusionsreaktor angegeben. Das KIT arbeitet außerdem an dem risikoreichen Schnellen Brüter, der neben Energie auch waffenfähiges Plutonium erzeugt.
Theoretische Ergebnisse der Fusionsforschung werden in der Greifswalder Niederlassung des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik angewandt. Dort baut man seit 2005 mit einem Budget von rund 423 Millionen Euro am experimentellen Fusionsreaktor Wendelstein 7 X. Diese Technologie werde für die Energieversorgung der kommenden Jahrzehnte sicher keine Rolle spielen, räumt Schavan ein, es handele es sich um ein großes Abenteuer.
Da wollen die USA nicht beiseite stehen. Im Juli 2011 gab das Max-Planck-Institut bekannt, daß sich drei US-Institute, darunter die beiden Atomwaffenschmieden Los Alamos und Oak Ridge, mit 7,5 Millionen Dollar an Wendelstein 7-X beteiligen werden. Mit dem Versuchsreaktor soll der Nachweis erbracht werden, daß es möglich ist, den Brennstoff, ein Wasserstoff-Plasma, in starken Magnetfeldern wärmeisolierend einzuschließen und auf Temperaturen über 100 Millionen Grad aufzuheizen.
Das nächste große Forschungsvorhaben des Helmholtz-Zentrums Berlin ist die Entwicklung besonders starker Magnetfelder. In ihnen sollen Materialien unter Neutronenbeschuß untersucht werden. Für diesen Zweck soll selbst auf den nicht mehr ganz dichten, ungeschützten und veralteten Atomreaktor in Berlin zurückgegriffen werden, der mitten in einem Wohngebiet im Grunewald steht.
Über den immer noch geltenden Euratom-Vertrag ist die Bundesrepublik auch an dem auf 16 Milliarden Euro geschätzten Bau des Kernfusionsreaktors ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor) in Cadarache in einem Erdbeben-Risikogebiet in Frankreich beteiligt.
Seit den 1950er Jahren weisen Kritiker darauf hin, daß sich die Fusionsforschung für zivile Zwecke nicht eignet, wohl aber für militärische. Die Grundlagen für den Bau eines Fusionsreaktors sind die gleichen wie für die Herstellung einer Wasserstoffbombe. In beiden Fällen werden jeweils zwei Atomkerne zu einem verschmolzen. Im Fusionsreaktor einer fernen Zukunft soll dieser Prozeß kontrolliert ablaufen, in der Wasserstoffbombe ist er unkontrolliert.
Mit Fusionsreaktoren soll eine Technik erprobt werden, aus reichlich vorhandenem Lithium Tritium zu erbrüten. Tritium ist ein entscheidender Bestandteil nuklearer Waffen. Zwei bis drei Gramm gasförmigen Tritiums genügen, um die Sprengwirkung von Kernwaffen um den Faktor zwei zu erhöhen. Vor allem für Neutronenbomben wird Tritium benötigt.
Eine öffentliche Diskussion über die Atomforschung ist dringend nötig.