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Titel2011

Der listige Vater  (Marja Winken)

Eine »Sternstunde des deutschen Parlaments« wollen sie erlebt haben, die Sprecher der deutschen Christdemokratie, und die Oberen der SPD und der Grünen mochten ihnen nicht widersprechen. Offenbar war allen gar nicht aufgefallen, daß Joseph Ratzinger sie gleich zu Beginn seiner Ansprache vor dem Bundestag leise, aber doch unmißverständlich korrigierte: Als »Bischof von Rom« und damit Chef der katholischen Kirche trete er hier auf. Eingeladen war er, so die bundestagsoffizielle Version, als vatikanisches Staatsoberhaupt. Das war eine Notlüge, eine leicht zu verzeihende, wird Joseph Ratzinger gedacht haben. Er versetzte Parlamentarier und lückenfüllende Gäste in andächtiges Schweigen durch den Vortrag einiger seiner theologisch-ideengeschichtlichen Gedankenübungen älteren Datums.

Gewiß hatte er einkalkulieren können, daß seine ZuhörerInnen nicht imstande gewesen waren, sich vorweg mit der einschlägigen Literatur auseinanderzusetzen. So saßen sie nun da, die deutschen Politiker, wie im akademischen »Oberseminar«, kommentierte Thomas Schmid in der Welt; »Papst Benedikt« habe den Bundestag »überlistet«, freute sich der Chefintellektuelle des Hauses Springer.

Seminaristisch war der Ton des Theologieprofessors, »interaktiv« aber, wie es im Seminar zugehen soll, verlief da nichts, der vielgerühmte »Diskurs« fand nicht statt, war gar nicht vorgesehen. Ex cathedra, wenngleich nicht in abkanzelndem Stil, sprach Ratzinger über Rechtsgrundlagen staatlicher Politik, über »Natur« und »Vernunft« als »Rechtsquellen«, über die »Gefahren des Positivismus« und wies lobend auch auf »die Widerstandskämpfer gegen das Naziregime« hin; sie hätten erkannt, daß »geltendes Recht in Wirklichkeit Unrecht sein« könne. Da hat Ratzinger Recht. Aber wie kam es, daß die Obrigkeiten eben der Kirche, die Ratzinger heute führt, mit dem Führer des NS-Unrechtsstaates ein »positivistisches« Konkordat schlossen? Daß die deutschen katholischen Bischöfe das Volk zur Gefolgschaft für den hitlerdeutschen Krieg animierten, durchaus unter Berufung auf »Gott«, aber auch auf »Natur« und »Vernunft« als »Rechtsquellen«? Diese Frage ließ der Vortragende aus.

Anerkennend erwähnte Ratzinger den »Weg der abendländischen Rechtskultur bis hin zur Erklärung der Menschenrechte«. Aber hatte sich die Kirche nicht jahrhundertelang mit all ihrer Macht bemüht, eben diesen Weg zu versperren? Auch davon war in diesem »Oberseminar« keine Rede.

An Vergeßlichkeit leidet Joseph Ratzinger nicht, solche Auslassungen der »Wirklichkeit« verbiegen Geschichte zu aktuellen kirchenpolitischen Zwecken. Nicht nur den Bundestag möchte er überlisten, der »heilige Vater«, wie ihn der Parlamentspräsident in Berlin begrüßte.