erstellt mit easyCMS
Titel2011

Thomas Mann für Ossietzky  (Dieter Götze)

Der Auszeichnung Carl von Ossietzkys mit dem Friedensnobelpreis vor 75 Jahren gingen vielfältige Bemühungen voraus, dem kämpferischen Publizisten, den die Nazis in der Nacht vom 27. zum 28. Februar 1933 verhaftet hatten und seither in Konzentrationslagern grausam quälten, zu dieser Ehrung zu verhelfen. Einer der Prominentesten, die sich für Ossietzky einsetzten, war Thomas Mann, Nobelpreisträger für Literatur 1929. Er verfaßte im Herbst 1935 ein Schreiben an das Friedenspreis-Kommitee in Oslo, in dem er sich nachdrücklich für die Preisverleihung an Ossietzky aussprach und damit auch die Hoffnung auf eine Freilassung Florestans aus »Pizarros Kasematten« verband – auf Beethovens »Fidelio« anspielend.

Der Brief hatte allerdings eine komplizierte Vorgeschichte. In seinem Tagebuch vermerkte Thomas Mann noch am 28. Mai 1933, daß er mit Ossietzky und Erich Mühsam, die zu den prominentesten Gefangenen der Nazis gehörten, »wenig zu tun habe, was nicht hindert, daß mir übel wird, wenn ich von ihrem Schicksal höre«. Am 13. Februar 1934 schrieb er unter ausdrücklichem Bezug auf Ossietzky ins Tagebuch: »Erschütternde Erzählung von dem vernichteten Zustande aus dem Konzentrationslager Entlassener«; aber Ossietzky war noch lange nicht entlassen. Schließlich gab Thomas Mann dem Drängen von Freunden nach – dazu zählten nicht zuletzt seine Tochter Erika und sein Bruder Heinrich Mann – und verfaßte jene zwei Seiten, die zu einem eindrucksvollen Zeugnis des antifaschistischen Widerstandskampfes vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges wurden.

Allerdings erschien der Brief zunächst noch vertraulich in numerierter Auflage für Freunde unter dem Titel »Den Friedens-Nobelpreis in das Konzentrationslager! Carl von Ossietzky, Kandidat 1936« (einen Durchschlag erhielt unter anderen René Schickele). Einer breiteren Öffentlichkeit wurde er erst im Juli 1937 durch die schwedische Zeitung Göteborgs Handels- och Sjöfarts-Tidning bekannt. Danach folgte die erste Buchveröffentlichung in der Publikation von Felix Burger und Kurt Singer »Carl von Ossietzky« des Züricher Europa-Verlages.

Ausgangspunkt des Briefes nach Oslo war für Thomas Mann die Frage, ob 1936 der tschechoslowakische Präsident Thomas Masaryk oder Ossietzky der bessere Kandidat war. Mann, der im November 1936 die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft erwarb, entschied sich – bei aller Achtung vor Masaryk – für Ossietzky, weil diese Wahl »eine große, freie und starke sittliche Tat von unvergleichlicher Leuchtkraft« wäre. In sarkastischer Zuspitzung meinte er, daß die Preisvergabe an den Eingekerkerten sogar im Sinne der Nazis wäre, die ja nach ihrer Machtergreifung immer und überall demagogisch als glühende Friedensfreunde auftraten: »Welche menschlichen, geistigen, politischen Unterschiede auch bestehen mögen zwischen dem deutschen Reichskanzler (Hitler) und dem für den Friedenspreis vorgeschlagenen Schriftsteller: in dem entscheidenden Punkt, der Abscheu vor dem Kriege, sind beide Männer durchaus eines Sinnes.« Deshalb konnte die Ehrung Ossietzkys – so Thomas Mann – auch kein Affront für die deutsche Regierung sein, da Ossietzky zudem weder Kommunist noch Jude war ...

Thomas Manns Brief an das Friedenspreis-Komitee markierte einen Höhepunkt in der Pro-Ossietzky-Kampagne der Jahre 1934–36, an der sich Menschen aus vielen Ländern – unter ihnen der junge Willy Brandt – beteiligten. Ludwig Marcuse, ebenfalls emigrierter Antifaschist und Autor, schrieb Jahre später rückblickend den Satz: »Dieses Gutachten ist vielleicht das beste Stück streitbarer Journalistik in unserem Exil gewesen.«