Aki Kaurismäki hat seinen Film »Le Havre« dem unsichtbaren Widerstand im Alltag gewidmet, den Entrechtete für andere Entrechtete leisten. Der Film spielt in Frankreich, wo das Volk vor 200 Jahren durch die Revolution gelernt hat, daß die Menschen ein Recht auf Widerstand gegen die Obrigkeit haben, versteckt oder offen, je nach Stärke der Bewegung, je nach Situation. Er lebt durch die Gesichter, die bei Kaurismäki nie normiert sind, immer gezeichnet, immer außergewöhnlich und doch typisch. Man sieht den Menschen ihr Leben an, ihre Armut, die Dürftigkeit ihrer Ernährung, die wenige frische Luft, das fehlende Licht, den Alkohol und die Zigaretten. Und da diese Menschen in der Regel eine andere Sprache als die elaborierte der Ober- und Mittelschichten sprechen, nämlich eine Sprache mit wenig Andeutungen, da sie mit wenig Erklärungen auskommen, »nicht viel Gerede machen«, wie der Volksmund sagt, so lebt der Film auch von seiner Handlung. Gleichzeitig ist er ein Märchen: ein Märchen der Solidarität, ein Bild, wie unsere Gesellschaft aussehen könnte, wenn sie sich nicht spalten ließe in weiße und schwarze Proletarier, »arbeitswillige« und »arbeitsscheue« Mitbürger, solche, die sich der Obrigkeit andienen, und solche, die sich »in front of« stellen.
Die Handlung in Kürze: Ein kleiner schwarzer Junge entkommt einer »Festsetzung« von Immigranten, die in einem Lastwagencontainer versteckt sind. Nun wird er mit großem Polizeiaufgebot gesucht. Doch er will nur zu seiner Mutter, hat keine Waffen dabei und ist hungrig. Die Übermacht der Staatsapparate, ihre Menschenfeindlichkeit, ihre Institutionen, ihre Handlungen werden an Originalschauplätzen vorgeführt. Der Junge läuft dem Schuhputzer-Chlochard zu, der selbst jemandem zugelaufen ist, einer einsamen Frau, die ihn »versorgt, weil er sonst wie ein Kind wäre«. Er hilft auf mutige und eindrucksvolle Weise, das ganze Viertel beteiligt sich. Die Hilfsaktion ist unspektakulär, einfach und gewitzt. Niemand teilt die Auffassung, daß ein Kind einzuknasten und mittels Polizeiüberfallskommandos gefangen zu nehmen sei. Einen Verräter gibt es auch, einen zurückgezogenen Mann, der mit Fernrohr in seiner Wohnung sitzt und Leute ausspioniert, doch das Viertel ist stärker.
Der Film ist eine Ode an die kleinen Leute in den kleinen Gassen, sie leben zurückgezogen wie die Maulwürfe, aber haben auch wie sie ein unterirdisches Netz der Hilfeleistung.
Kaurismäki, der für Erniedrigte und Beleidigte Partei nimmt, macht damit großartiges Kino. Daß sein Film jetzt großen Erfolg feiert, zeigt die wahre Sehnsucht der Menschen, die sich nicht auf Geld und die Finanzmärkte richtet, sondern auf andere Werte.