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Titel202013

Erfahrungen des Scheiterns  (Frank Hörnigk)

Azdak als gerechter Richter ist nur in Zeiten der Unordnung zu denken: eine Märchenfigur also in Brechts Spiel »Der kaukasische Kreidekreis«. Das sollte nie vergessen werden, wenn von den Erfahrungen des Scheiterns die Rede ist in der Realität – bei Brecht wie bei Heinrich Fink – so auch in dessen schon nach wenigen Monaten in zweiter Auflage jetzt vorliegenden Erinnerungsband über die Begleitumstände der »Wende« an der Berliner Humboldt-Universität auf dem Weg in die Ordnungs- und Rechtsverhältnisse des vereinten Deutschland nach 1990. Eine Erinnerung nicht im Zorn, sondern weit mehr aus der Haltung angenommener Chronistenpflicht zu Papier gebracht, gebrochen am Ende – unter dem »stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse«– durch den Sarkasmus eines zugleich darin mit aufgehobenen Gestus romantischer Ironie. Denn den Zeiten des Aufbruchs aus den alten Verhältnissen zuvor verordneter Unmündigkeit war bald schon – unter neuem Vorzeichen – die Erfahrung eines Aufbruchs in eine weitere Illusion gefolgt, endend in dem Erschrecken, daß der gerade erst als Wirklichkeit angenommene Traum einer basisdemokratisch verfaßten, darin tatsächlich »freien Universität« nach dem »Beitritt« eines ganzen Staates in den »Geltungsbereich des Grundgesetzes« eines anderen, sich auch in dem »Beitritt« aller seiner Institutionen in die neuen Herrschaftsverhältnisse ausdrücken würde. Von diesem Übergang und seinen Begleitumständen vor allem handelt das Buch.

Erzählt wird die Geschichte in der Form episodisch aufgerufener Fallstudien (Vorabdrucke erschienen in Ossietzky ab Heft 2/11), die gleichwohl in fataler Weise systemübergreifende Zusammenhänge eröffnen: so etwa in Erinnerung an den 1990 zum Professor berufenen und 1993 wieder »abgewickelten« Philosophen Rudolf Bahro oder den Juristen Hermann Klenner, der schon 1958 unter fadenscheinig erhobenen Einwänden ebenfalls durch die Universität von seinen Verpflichtungen als Hochschullehrer »entbunden« worden war – in beiden Fällen durch eine vergleichbare Praxis außengesteuerter politischer Einflußnahme auf die Freiheit der Wissenschaften.

Die erste frei gewählte Leitung der Universität unter dem Rektorat Heinrich Finks hatte in enger Verbindung mit den studentischen Vertretungen begonnen, ihren Selbstauftrag nach gemeinsamer Erneuerung der Universität »von Grund auf« aus eigener Kraft umzusetzen und darin Zukunft zu gewinnen. Es blieb ein Versuch! Denn statt notwendiger Hilfe in kritischer Solidarität demonstrierte die Wissenschaftsverwaltung des Landes, unterstützt von den dominierenden Me-dien, offen ihr Mißtrauen und betrieb so eine Politik gezielter ideologischer Verdächtigungen. Die dazu aufgeführten Beispiele des Bandes sind ebenso trostlos wie beschämend.

Aus dem »kurzen Sommer der Anarchie« gegen die alte Ordnung blieb am Ende dieses Weges letztlich nur die langsame Ankunft in der konservativen Gegenwart einer westdeutschen Hochschullandschaft übrig. Das allerdings war nicht das, was die vereinten Reformkräfte der Universität ursprünglich in Angriff genommen hatten – und im übrigen mit solidarischer Unterstützung nicht weniger Wissenschaftler aus dem Westen künftig als gemeinsame Aufgabe sahen: die Chance zum strukturellen Umbau der alten Ordinarienuniversität nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten.

Resümierend bleibt zu sagen: Der exemplarische Fall der Humboldt-Universität belegt mit der Zurückweisung ihres Anspruchs auf Selbsterneuerung unter dem denunziatorischen Vorwand, einen solchen Prozeß mit den noch vorhandenen »DDR-Altlasten« nicht glaubhaft und vor allem außerhalb jetzt geltender verfassungsrechtlicher Grundlagen durchsetzen zu wollen, nichts weniger als die nachträgliche Delegitimierung der sozialen Bewegungen des Herbstes 1989 insgesamt. Dazu gehört nicht zuletzt auch die Geschichte und Form der Amtsenthebung von Heinrich Fink. Und so waren es schließlich nicht vor allem die internen Gremien- und Personalentscheidungen dieser Universität für sich genommen, die als besondere politische Provokationen Aufsehen erregten, sondern die von diesen Vorgängen ausgehenden potentiellen öffentlichen Wirkungen weit über die Universität hinaus, auf die demokratische Verfaßtheit der Gesellschaft als Ganzes bezogen, die als Rechtsansprüche in der Folge machtpolitisch nachhaltig zurückgewiesen wurden.

Zugleich sollte aber bei all dem nicht übersehen werden: Zwanzig Jahre danach ist aus der Erfahrung eines solcherart gegen das Engagement vieler durchgesetzten bildungspolitischen Transformationsprozesses heute gleichwohl eine Universität entstanden, die im internationalen Vergleich hohe Reputation besitzt, zu den ausgewählten Exzellenzen im Ranking aller deutscher Universitäten gehört und zudem eine beispiellose Anziehungskraft auf Studierende und auch Wissenschaftler aus aller Welt besitzt.

Heinrich Finks Erinnerungen bleiben dennoch – und ausdrücklich auch vor diesem Hintergrund – weit mehr als bloße Reminiszenzen eines Nachrufs auf die Vergangenheit eines verlorengegangenen Traumes. Es sind auch nicht nur nachgereichte Appelle an irgendeine Wiedergutmachung oder persönliche Rehabilitierung. Vielmehr artikuliert sich hier eine Kultur der Erinnerung, die erweitert durch das äußerst fundierte Nachwort des ehemaligen Universitätskanzlers unter dem Rektorat Heinrich Finks, Karl Schwarz, sowie dem Vorwort von Daniela Dahn die Blicke vor allem nach vorn richtet auf das Unerledigte einer Geschichte, die ihre Zukunft angesichts der globalen Krisenerfahrungen der Herrschaft des Kapitals in der Gegenwart keineswegs nur hinter sich hat – in Anlehnung an Heiner Müllers »Glücklosen Engel«: »... wartend auf Geschichte in der Versteinerung von Flug Blick Atem. Bis das erneute Rauschen mächtiger Flügelschläge sich in Wellen durch den Stein fortpflanzt und seinen Flug anzeigt.«

Heinrich Fink: »Wie die Humboldt-Universität gewendet wurde«, Verlag Ossietzky, 128 Seiten, 12,50 €. Frank Hörnigk, Literaturwissenschaftler, Berlin