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Titel202013

Brutaler Polizeieinsatz »völlig korrekt«?  (Rolf Gössner)

Am frühen Morgen des 23. Juni 2013 schlug die Bremer Polizei kräftig zu. Der Tatort einer Festnahme und minutenlangen Prügelorgie: die Bremer Diskothek »Gleis 9«. Das Opfer der polizeilichen Gewaltattacke: der 28jährige Daniel A., der als gewalttätig gilt, polizeibekannt ist und sich gegen seine Festnahme wehrt. Die Szene ist bestens per Video dokumentiert – dank einer Überwachungskamera im Eingangsbereich der Disco. Ein Zusammenschnitt fand später den Weg in die Medien sowie ins Internet und sorgte bundesweit für Aufsehen und Empörung. Erst daraufhin kam es zu Ermittlungen gegen die Polizei – und zwar durch eine spezielle Abteilung, die unter rot-grüner Regierung aus dem Polizeiapparat heraus verlagert und dem Innensenator unterstellt wurde, um größere Unabhängigkeit zu gewährleisten.

Was ist nun auf dem Video zu sehen? Drei Polizisten greifen Daniel A. an die Kehle und drücken ihn an die Wand, schlagen auf ihn ein, drei weitere Beamte drängen Disco-Besucher weg, da zückt ein siebter Beamter seinen Schlagstock, tritt zunächst nach Daniel A., dann sucht er zwischen seinen Kollegen eine Lücke – und schlägt ohne offensichtlichen Anlaß mehrfach mit seinem Tonfa-Schlagstock zu. Weitere Kollegen traktieren ihr unbewaffnetes Opfer parallel mit Faustschlägen in Gesicht und Magen. Während sie Daniel A. zu Boden drücken, prügelt der Polizist mit dem Knüppel auf den Rücken des wehrlosen Mannes und stößt seinen Tonfa-Stock immer wieder mit Wucht auf dessen Gelenke und Nacken. Nach dieser Gewaltszene wird der gefesselte Daniel A. in Polizeigewahrsam genommen, wo er über drei Stunden festgehalten wird. Nach eigenen Angaben erleidet er »höllische Schmerzen« und läßt nach seiner Entlassung die Verletzungen in einer Klinik ärztlich behandeln: Prellungen des Kopfes, des Gesichts, des Rückens und des rechten Rippenbogens.

Das Beweisvideo ist verschwunden: Der Disco-Betreiber erklärt, er habe die Videoaufnahmen des Vorfalls bereits am Tag nach dem Polizeieinsatz an die Polizei übergeben lassen, nachdem Beamte, die an dem Einsatz beteiligt waren, ihn dazu aufgefordert hatten. Das Video ist angeblich nie bei der Polizei angekommen und bis heute verschwunden, obwohl der Bote der Disco beteuert, es in einen Briefkasten der Polizei geworfen zu haben. Jetzt heißt es offiziell, es habe sich dabei um einen »toten« Briefkasten gehandelt, der seit Jahren zugeschraubt sei. Polizei und Staatsanwaltschaft gehen deshalb davon aus, daß der Videoüberbringer gelogen habe. Daß die Bremer Polizei noch immer tote Briefkästen unterhält, ist schon ziemlich merkwürdig, daß sie aber einem eklatanten Widerspruch offensichtlich nicht weiter nachgegangen ist, noch viel mehr: Wie kann man in einen zugeschraubten Briefkasten ein Video einwerfen, ohne von der angeblichen Verschraubung etwas zu bemerken?

Nach dem Polizeieinsatz gegen Daniel A. im »Gleis 9« kam es zu polizeilichen Hausdurchsuchungen in der Disco und der Wohnung ihres Geschäftsführers. Dabei beschlagnahmte die Polizei gezielt die Überwachungsanlage mitsamt Kamera und Datenspeicher, angeblich wegen des Verdachts auf »Datenschutzverstöße« – in der Disco sollen illegal Tonaufnahmen gemacht worden sein. Hausdurchsuchungen wegen angeblicher Datenschutzverstöße? Oder doch eher die Suche nach belastendem Beweismaterial in eigener Sache?

Nach den Hausdurchsuchungen passierte längere Zeit nichts mehr. Erst als ein weiteres Beweisvideo mit einem Zusammenschnitt des Materials an die Medien gelangte, die daraufhin über den polizeilichen Gewalteinsatz informierten, kam es am 10. Juli zu einer Selbstanzeige der Polizei. Die Staatsanwaltschaft leitete ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Körperverletzung im Amt ein. Die Videoaufnahmen belegen eindrucksvoll, daß der Polizeieinsatz brutal und völlig unverhältnismäßig gewesen sein muß. Dennoch werden postwendend auch gegen das Polizeiopfer Ermittlungen eingeleitet – wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Ein altbekanntes Reaktionsmuster.

Der besonders gewalttätige Polizeibeamte, der die am Boden liegende wehrlose Person mit Stiefeln und Schlagstock traktiert hatte, ist nach Bekanntwerden des Vorfalls nicht etwa sofort suspendiert worden, wie das bei schwerem Verdacht üblich ist, sondern die Polizeiführung versetzte ihn lediglich vorläufig in den Innendienst – zu seinem eigenen Schutz, wie es hieß, nachdem Bild sein Konterfei abgedruckt hatte. Außerdem wird gegen ihn nur wegen des Verdachts der »Körperverletzung im Amt« ermittelt – erstaunlich, hatte er doch einen Tonfa-Schlagstock (MES »Mehrzweckeinsatzstock«) als Hieb- und Stichwaffe gegen den Festgenommenen eingesetzt. Folgerichtig müßten die Ermittlungen gegen ihn auf gefährliche Körperverletzung im Amt ausgedehnt werden, so daß ihm eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten bis zu mehreren Jahren drohen würde.

Genauso unerklärlich ist, weshalb bislang offenbar keine Ermittlungen gegen die anderen an der Festnahme beteiligten Polizeibeamten geführt werden. Denn sie haben nichts gegen ihren prügelnden Kollegen unternommen, sondern Daniel A. unbeirrt festgehalten und so den Angriffen ausgesetzt, anstatt ihn davor zu schützen. Spätestens dadurch ist der ursprünglich wohl rechtmäßige Festnahmeeinsatz in einen unrechtmäßigen und unverhältnismäßigen umgekippt. Es besteht der begründete Verdacht auf Beihilfe zu gefährlicher Körperverletzung im Amt sowie auf unterlassene Hilfeleistung und Strafvereitelung im Amt. Die Polizisten hätten ihren Kollegen an seinen Gewaltattacken hindern und anschließend unverzüglich anzeigen müssen – schließlich sind sie an das Legalitätsprinzip gebunden und haben jede ihnen bekannt werdende strafbare Handlung zu verfolgen. Wenn dies, wie hier, unterlassen wird, besteht Verdacht auf Strafvereitelung im Amt. Zwar sollen die Beamten später angeblich einen internen Bericht geschrieben haben, in dem von gewalttätigen Auseinandersetzungen die Rede ist, aber offizielle polizeiinterne Ermittlungen sind erst viel später nach Presseanfragen eingeleitet worden, so daß sich die Frage stellt: Was wäre, wenn das Beweisvideo nicht an die Medien gelangt und vollständig verschwunden wäre?

Der zuständige Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) gibt sich trotz der klaren Beweislage uneinsichtig: Er spricht angesichts der polizeikritischen Berichte von einer »dreisten Medieninszenierung«, verteidigt und verharmlost den Polizeieinsatz in aller Öffentlichkeit – schließlich, so Mäurer, werde doch nur gegen einen einzelnen Beamten ermittelt und die Polizeiaktion an sich sei »völlig korrekt« verlaufen. Wenn sich der Innensenator als Dienstherr so demonstrativ und reflexartig vor seine verdächtigen Polizeibeamten stellt, wie das in solchen Fällen leider häufig passiert, ohne auch nur ein Wort der Selbstkritik und des Bedauerns zu verlieren, dann läßt sich kaum noch an eine unabhängige Aufarbeitung des Vorfalls denken – zumal ausgerechnet diesem Polizeisenator die Abteilung »interne Ermittlungen« direkt untersteht, auf deren »größere Unabhängigkeit« er so stolz ist. Das paßt nicht zusammen, zeugt vielmehr von einer allzu großen polizeilichen Nähe.

RA Rolf Gössner, Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, ist für die Fraktion Die Linke parteiloses Mitglied der Innendeputation der Bremer Bürgerschaft.