Bestürzt nahmen manche Medien zur Kenntnis, dass Ungarn Truppen zur Abwehr der Flüchtlinge einsetzen will. Dies ist jedoch durchaus auch Norm in der Bundeswehrplanung. Erinnern wir uns: Das Wahljahr 1998 wurde zwar nicht von außenpolitischem Streit geprägt; Außenpolitik wurde gar bewusst ausgeklammert aus dem Wahlkampf. Wer sich aber für die Äußerungen der Militärpolitiker interessierte, erfuhr dies: Da berichtete die Allgäuer Zeitung vom 15. Mai 1998 über den Wahlkampfauftritt von CDU-Bundeswehrminister Volker Rühe vor Bundeswehrangehörigen in Marktoberdorf, wo er die Schaffung eines neuen völkischen Kleinstaates Kosovo – zunächst auf dem Territorium Serbiens – ankündigt, an der sich die Bundeswehr mit Waffengewalt beteiligen will, auch um Flüchtlinge fernzuhalten: »Wenn wir«, so Rühe, »im Kosovo nicht richtig reagieren, haben wir noch mehr Flüchtlinge im Land.« Deshalb werde eine Studie erstellt, die ebenso militärische Gesichtspunkte berücksichtige. Das war die Vorbereitung eines Angriffskrieges zur Abwendung von »Flüchtlingsströmen«.
In Information für die Truppe wurde der »Wandel der NATO von einer Verteidigungsallianz aus Zeiten des Kalten Krieges hin zur Ordnungs- und Stabilitätsinstitution in und für das Europa des 21. Jahrhunderts, ein Europa mit absehbaren Instabilitäten an seiner Peripherie« (IfdT, März 1999) immer wieder propagiert. Das Feindbild der Bundeswehr: »Proliferation, politischer Fundamentalismus und Terrorismus stellen eine Bedrohung für alle dar. Darüber hinaus wirken sich Verknappung von Ressourcen und Migrations- und Flüchtlingsbewegungen auch auf die europäischer Sicherheitslage aus.« In der Ausgabe zu »50 Jahre NATO« wirbt IfdT unverhohlen für die Selbstmandatierung der NATO unter dem Vorwand, »humanitäre Katastrophen« zu bekämpfen. OSZE und UNO werden beiseitegeschoben, da ihre Beschlüsse eine »unzulässige Einschränkung des Handlungsrahmens der Atlantischen Allianz« erbringen könnten. Unter der Überschrift »Eine globale Rolle für die NATO?« wird dem »Krisenmanagement jenseits der Bündnisgrenzen« das Wort geredet.
Bundeswehraktivitäten haben auch den reaktionären Vertriebenenverbänden in einer anderen zentralen Frage Auftrieb gegeben. Der Krieg gegen Jugoslawien und die Forderung nach Rückführung der Flüchtlinge brachten sie auf die Idee, die in Potsdam 1945 von den Alliierten beschlossenen Umsiedlungen der Deutschen aus ehemaligen deutschen Gebieten erneut zu thematisieren und eine Rückgängigmachung der »Vertreibung« der Deutschen zu verlangen. Und der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) schalt die Linken, sich der Erörterung der »Vertreibungsverbrechen« bisher verweigert zu haben (Frankfurter Rundschau, 29.5.1999). Sie müssten nun, »da der Kosovo-Krieg das alte Unrecht von 1945 wieder aufscheinen lasse, den Mut zu klarer Sprache aufbringen«.
Während es gute »Deutschstämmige« gab, begegneten wir auch den »Wilden«. Der Begriff der Zivilisation, die es gegen Wilde zu verteidigen gilt, er war wieder da. Und die Wilden, die kleinen bösen Krieger auch, die laut Truppenpraxis/Wehrausbildung mit allen Mitteln zu bekämpfen sind. Der Fundamentalismusbegriff wurde in den Bundeswehrpublikationen oft vollkommen rassistisch angewendet. Der künftige Feind erschien als Monster, der kein Völkerrecht und keine Landkriegsordnung einhalten wird, weshalb ein Freibrief gegen ihn, ein Freibrief zu Kriegsverbrechen gegen den Kriegsverbrecher nahegelegt wird. Der Bundeswehr wurde mit Truppenpraxis/Wehrausbildung, Heft 2 und 3/96, eingetrichtert, dass »Zivilisationskriege die vorherrschende Konfliktform des nächsten Jahrhunderts sein« werden. Und »Deutschland wird um eine Beteiligung an diesen Kriegen gebeten werden«.
Noch immer ist eine Kaserne – in Lebach an der Saar – nach dem »Zivilisationskrieger« General Graf Haeseler benannt. Er hat im Jahre 1893 seinen Truppen zugerufen: »Es ist notwendig, dass unsere Zivilisation ihren Tempel auf Bergen von Leichen, auf einem Ozean von Tränen und auf dem Röcheln von unzähligen Sterbenden errichtet.«