Banker ohne Bonus. Kleinanleger-Tagebuch (Erhard Weinholz)
2013
Ich habe geerbt, 27.400 Euro, gestern lag der Erbschein bei mir im Briefkasten. In meinem ganzen Leben habe ich bisher gerade mal 4000 Euro zusammengekratzt. Und nun: Siebenundzwanzigtausendnochwas. Kauf’ ich mir endlich mal ein Auto? Leider bin ich schon dreimal bei der Prüfung durchgerauscht, weil ich zu Panikreaktionen neige. Weltreise mit der »Queen Victoria«? Mir wird immer so schnell schlecht auf Schiffen. Also anlegen. Vielleicht bei den Vereinigten Großbanken, den VGB, die Filiale ist hier gleich um die Ecke.
Fand auf dem Trödelmarkt eine Mappe mit altem Finanzkram, Bundesanleihen, Pfandbriefen und so weiter: Vier, fünf, einmal sogar sechseinhalb Prozent Zinsen! Aber Herr Borkrath, mein Kundenberater bei den VGB, hat nur den Kopf geschüttelt: »Die Zeiten sind vorbei.« Seine Ratschläge für risikoscheue Anleger wie mich: breit streuen, konservativ anlegen, langfristig denken. Als erstes hat er mir eine portoblanconische Staatsanleihe in Zechinen empfohlen: drei Jahre Laufzeit, dreieinhalb Prozent Zinsen, und die Zechine sei stabil. Portoblanco, ein Land mit vielen Möglichkeiten! So Herr Borkrath.
Im Internet nachgeforscht: Vor allem Büffel züchten sie dort. Habe mir in einem Importladen eine Büchse Büffelbouletten in Tomatensauce gekauft. Schmeckt irgendwie sonderbar. Aber die Zechine ist tatsächlich stabil, immer 1:47. Nur vor ein paar Jahren war der Kurs mal kurze Zeit ganz weit unten. Nehme ich also für 3000 und für die gleiche Summe VGB-Aktien, das Stück zu 1,70 Euro. Die haben in den letzten Jahren 95 Prozent verloren – da kann es ja nur besser werden.
Werbung bei uns an der Straßenbahnhaltestelle: Fünf Jahre Null Prozent Zinsen! Mhm, nicht eben verlockend. Merke dann aber: Es ist Werbung für einen Ratenkredit.
Meine VGB-Filiale ist seit letzter Woche dicht. Wir freuen uns, Sie in unserer Filiale Hauptstraße 78 begrüßen zu können. Das ist leider nicht gleich um die Ecke. Aber nun habe ich das Depot bei ihnen schon. Erstaunlich im Übrigen, worüber sich Menschen alles freuen können.
Immer noch mehr als 21.000 Euro: Geld anlegen ist Schwerarbeit. Aber Herr Nowak, mein neuer Kundenberater, lässt mich nicht verkommen: 6000 Euro Stufenzinsanleihe, ultrasicher, wie er sagt, und im Durchschnitt mit immerhin 0,8 Prozent verzinst, 3000 für eine fünfjährige Proxima-Aktienanleihe mit 3,8 Prozent sogar und den Rest für drei Fonds: VGB-Weltfonds Rendite Extraplus, VGB Wachstum spezial – da hat er mir auch eine Grafik gezeigt: aufwärts immer, abwärts nimmer – und dann für noch so ein Ding, den Namen habe ich jetzt vergessen.
Staatsstreich in Portoblanco, der Reporter vor Ort mit routinierter Besorgnismiene: »Wieder einmal rollen Panzer durch das Regierungsviertel [man hört es rasseln], wieder Schießereien am Präsidentenpalais [es fallen, wie auf Bestellung, drei Schüsse], wann kommt dieses Land endlich zur Ruhe?« Statt Fliegergeneral Baldorico ist nun Admiral Ricobaldo Staatspräsident. Doch die Zechine steht laut Internet treu und brav bei 1:47. Las dort auch: In Portoblanco erfolgt der Präsidentenwechsel grundsätzlich per Staatsstreich, da Wahlen für die verarmte Inselrepublik zu teuer seien. Was soll man sagen: andere Länder, andere Sitten.
2014
Die VGB-Aktie ist kräftig gestiegen, na bitte. Wenn sie bei zwei Euro liegt, werde ich sie verkaufen – zwanzig Prozent in ein paar Monaten, so macht Geldverdienen Spaß.
Mein gutes altes Norddeutsches Tageblatt hat zwar ein lesenswertes Feuilleton, aber der Wirtschaftsteil taugt nicht viel. Erwäge, auf die Frankfurter Abend-Zeitung umzusteigen. Oder abonniere ich im Internet gleich den Börsenguru intern – Tipps und Tricks für Sie persönlich? Erst mal abwarten, vielleicht brauche ich den ja gar nicht.
Die VGB-Aktie ist wieder auf 1,70 gefallen. Hätte ich doch bei 1,90 verkauft, ich Idiot. Na gut, nächstes Mal.
Orkan über Portoblanco, Streik der Staatsbeamten, Schießereien im Senat, Bestechungsskandal um Madame Ricobaldo weitet sich aus; es kann in diesem Lande anscheinend passieren, was will, die Zechine steht immer bei 1:47. Oder behaupten die das nur, und in Wirklichkeit steht sie ganz woanders? Den Burschen trau’ ich alles zu.
Meine Fonds haben sich bis vor kurzem gut gehalten, aber seit ein paar Tagen rutschen auch sie ab. Vielleicht verkaufen, ehe es zu spät ist? Herr Nowak mahnt: Fonds der Art sind nichts für Spekulanten. Langfristig denken, Herr W.! Die Proxima-Anleihe wird, so sagt er mir, aus irgendwelchen Gründen wohl schon nächstes Quartal fällig, Ertrag: 64 Euro netto. Kann ich mir mal ein schönes Abendessen gönnen.
Das ständige Auf und Ab beim VGB-Kurs geht mir auf die Nerven. Habe beschlossen, mich drei Monate nicht darum zu kümmern. Und wenn ich dann wieder danach schaue, ist sicherlich alles gut.
Habe nur zwei Monate durchgehalten. Zur Strafe liegt der Kurs jetzt bei 1,42 Euro. Firmen-News: »Neue Pleite bei Vereinigten Großbanken. Mit Libyen-Projekt Milliarden in den Sand gesetzt«. In ihrer Bad Bank verwalten sie faule Kredite im Umfang von 64 Milliarden. Ja, heute müssen es immer Milliarden sein. Als wären 64 Millionen nicht auch schon genug.
Was mache ich denn nun mit diesen 3000 Euro von der Aktienanleihe? Gestern fiel mir ein: Reimar, mein Westcousin, war doch auch mal Banker, in London sogar. Längeres Ferngespräch, leider ohne greifbares Ergebnis: Er kann mir nur sagen, was ich nicht nehmen soll. Zum Beispiel VGB-Aktien. Fragte ihn auch, ob es schimpflich sei, bei einer Bad Bank zu arbeiten. R. darauf: Nicht schimpflicher als bei anderen Banken.
2015
Habe im Internet den Hobby-Börsianer entdeckt. Sehr unterhaltsam. Zum Beispiel: Betrunkener Affe gibt Börsentipps. Überflügelt dabei die meisten Experten. Ein Rentnerehepaar aus Hamburg-Borstendorf wurde so Millionär. Im nüchternen Zustand dagegen behält er seine Weisheiten für sich. Ein kluges Tier, dieser Affe.
Prognose auf der VGB-Website: »... sollte auch diese Linie durchbrochen werden, ist mit Bodenbildung erst bei 34 Cent zu rechnen.« Dabei hat die Aktie mal 34 Euro gekostet. Leute, was stellt ihr bloß mit meinen schönen, mühsam ererbten Pimperlingen an!
Kam vor drei Tagen etwas bedudelt von einer Feier, und mir fielen der Affe und die 3000 Euro ein. Habe also auf der Börsenseite der Frankfurter AZ blindlings drei Werte angekreuzt. Zwei haben seitdem arg verloren, der dritte etwas gewonnen. Wahrscheinlich war ich nicht betrunken genug.
Meinen Fonds geht es immer schlechter. Herr Nowak rät: Eisern halten. Tacitus in seiner »Germania«: Die Stämme dieses Landes halten an einer Sache auch dann fest, wenn sie völlig aussichtslos geworden ist. Sie bezeichnen diese Eigenart als Treue.
Vorgestern früh im Fernsehen: Der Reporter mit der Besorgnismiene vor dem noch vom letzten Staatsstreich rauchgeschwärzten portoblanconischen Präsidentenpalais: »Also hat der neue Präsident dem Land einen ehrgeizigen Modernisierungskurs verordnet. Finanzieren will er ihn mit der Notenpresse. Die Reaktionen der Finanzwelt sind absehbar.« Dann wieder Werbung. Heute kam ein Schreiben der VGB: Vorzeitige Rückzahlung der Zechinen-Anleihe. Gleich den PC angeworfen: Der Kurs geht steil nach unten. Aber vielleicht erholt er sich ja noch mal.
Eben gegoogelt: Einen Ortsteil Hamburg-Borstendorf gibt es gar nicht. Immerhin habe ich jetzt eine Idee für die 3000 Euro: Die setze ich ein, wenn die Kurse tief im Keller sind. Dann müsste ich doch endlich mal groß rauskommen.
Aktueller Zechinenkurs: 1:94. Morgen ist Rückzahlung. Noch ein Schreiben von den VGB: »... sind wir Ihnen bei der Wiederanlage des Geldes gern behilflich.« Na, danke schön. Reimar neulich: Wichtigste Gewinnquelle der Kundenbanken sei die Dummheit der Anleger.
War zwei Wochen an der See. Meeresrauschen, Möwenschreie, kein Gedanke mehr an Goethes »Du musst steigen oder sinken ...« Gestern zurück, schaute spaßeshalber nach dem Zechinenkurs: 1:47! Ich frage mich: Wie machen die das bloß?