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Titel2015

Rizinusöl fürs Schloss  (Otto Köhler)

Sein »Antrittsgeschenk« (Die Welt) an die Deutschen zitiert »auffällig oft Monika Grütters« und geht »runter wie Öl«, vermerkt die Berliner Zeitung — es kann darum auch als Brechmittel benutzt werden. Neil MacGregor hat ein glänzendes Coffee Table Book verfasst, das jedem Deutschen sein Herz höher schlagen lassen soll, ein schön-gemachtes Werk, rechtzeitig verfertigt, um dem neuen Hegemon Europas zu huldigen: »Deutschland. Erinnerungen einer Nation«, erschienen bei C.H.Beck in München.


Die erwähnte Monika Grütters ist Kulturstaatsministerin Angela Merkels und berief im April den damaligen Chef des British Museums, Neil MacGregor, diesen »exzellenten Kenner Deutschlands«, zum Anführer der drei Gründungsintendanten des unter dem Tarnnamen »Humboldtforum« versteckten Berliner Schlosses der beiden deutschen Kaiser Wilhelm. Zweck dieser Ernennung: Der Erwählte soll »uns sein universales Wissen zur Verfügung stellen, um das ambitionierteste Kulturvorhaben unseres Landes« – das Hohenzollernschloss – »Gestalt werden zu lassen«.


MacGregor hat sich letztes Jahr verdient gemacht durch eine Ausstellung im British Museum »Germany – Memories of a Nation«, die gleich zu Beginn den Volkswagen als Musterbeispiel für »Made in Germany« pries. Rechtzeitig vor neueren Meldungen aus der »berühmten Firma« schloss die Deutschlandexpo im Frühjahr, und McGregor bekam aus Grütters Händen den Deutschen Nationalpreis. Aus dem Katalog der nun nicht mehr zeitgerechten Ausstellung ist ein gleichnamiges Buch bei Beck entstanden. Dessen Autor nach Grütters Willen »ab 2019 das wieder aufgebaute Berliner Schloss mit Leben erfüllen« soll.


Ein Leben wie in diesem neuen Buch? Im Register der deutschen Ausgabe gibt es acht Hinweise auf Wilhelm II., den letzten Schlossherrn. Fünf davon sind – irgendwie, irgendwo – relevant. Erstens: Der habe befohlen, eine Nachbildung der Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches anzufertigen. Zweitens: Wien habe Wilhelms Bitte abgelehnt, die Krone Karls des Großen für eine Ausstellung am Vorabend des Ersten Weltkriegs zur Verfügung zu stellen. Drittens: Wilhelm habe dieser geplanten Ausstellung hohe Bedeutung beigemessen. Viertens: Wilhelm habe mit Bismarck gebrochen, als der ein verschärftes Sozialistengesetz durchsetzen wollte. Und fünftens: Den jungen Kaiser Wilhelm II. habe der Anspruch demokratischer Legitimität »ungeduldig« gemacht, und so sei es zu »Zank und Streit« zwischen ihm und den Reichstagsabgeordneten gekommen, 1918 habe er dann abgedankt. Auf derselben Seite bezeichnet Sachexperte McGregor die Fahne dieses Kaiserreiches – kein Lektor? – als »schwarz-rot-weiß«.


Von einer Verantwortung für, von einer Schuld Wilhelms am Ersten Weltkrieg keine Rede. Nichts über den kaiserlichen Freibrief für Österreich zum Krieg gegen die Serben, der notwendig in den Weltkrieg führte. Und schon gar nichts von Wilhelms »Kriegsrat« von 1912, in dem der »Ausbruch« des Krieges auf den Sommer 1914 festgelegt wurde.


Und der erste Wilhelm, den MacGregor legitimationsheischend im Gewand eines Kaisers des Heiligen Römischen Reiches präsentiert? Dass der im März 1848 als »Kartätschenprinz« vor MacGregors nunmehrigem Schloss Berliner Bürger zusammenschießen ließ? Und dass er darauf verkleidet als »Diener« mit seiner Prinzgemahlin als »Zofe« ins Ausland fliehen musste?


Nichts davon bei dem Mann, der die »Erinnerungskultur« in dem zum Humboldtforum umbenannten kaiserlichen Schloss pflegen soll. Sein Blick auf die deutsche Geschichte verrät alles: Bismarck, der »Einiger Deutschlands«, konnte sich nach dem »Blitzsieg« von 1866 über Österreich endlich auch »um Frankreich kümmern, den historischen Erbfeind« – er schmiedete das deutsche Reich »mit Eisen und Blut«, formte so das »moderne Deutschland«.


Gewiss, MacGregor erwähnt: »Wie in allen Ländern Europas gab es in Deutschland reichlich Statuen siegreicher Könige und Generäle: etwa die 67 Meter hohe Siegessäule im Berliner Tiergarten, die Preußens Siege über Dänemark, Österreich und Frankreich im 19. Jahrhundert feierte – ungetrübter Stolz in Bronze und Stein. Doch 1919 war anders. Deutschland war geschlagen, international überschüttet mit Beschuldigungen, den Krieg begonnen zu haben …«


»Beschuldigungen«. Deutschlands wahrhaftige Unschuld am Krieg hat schon Christopher Clark bewiesen. So schön wie der kann auch der oberste Schlossgründungsintendant die deutsche Geschichte heilen. Gerade mit der Siegessäule: Walter Benjamin, der »in Berlin geborene Jude« (so McGregor in anderem Zusammenhang), meinte in seiner »Berliner Kindheit um 1900«, dass man dieses Jubelmonument dreier Kriege 1919 hätte »abreißen sollen«.


Das geschah leider nicht. Allerdings noch schöner als MacGregor kann man Geschichte nicht klittern. Die Siegessäule beider Wilhelms war nicht 67 hoch, sondern nur 50,66 Meter, und das hatte eine Bewandtnis. Sie stand auch nicht, wo sie heute steht, sondern auf dem damaligen Königsplatz vor dem Reichstag. Der zukunftsfrohe Adolf Hitler verlegte 1938/39 – um Berlin in die europäische Hauptstadt Germania umzubauen – die Siegessäule zum jetzigen Ort in Sichtachse zum ebenfalls ungeheuer siegreichen Brandenburger Tor. Dabei ließ er den drei Trommeln der Säule, die für die drei »Einigungskriege« Bismarcks standen, eine gut 16 Meter hohe vierte Trommel hinzufügen – für seine künftigen Siege. Die blieben aus, doch als Kanzler Schröder den Endsieg über Jugoslawien errungen hatte, ließ der Großbaumeister Wowereit die Siegessäule renovieren. Die Siegesgöttin erstrahlt nun in neuem Gold.


Unsere Kulturstaatsministerin darf sich freuen: Der von ihr ernannte Gründungsoberintendant des von ihr sogenannten Humboldtforums wird Herr eines Schlosses der besonnten Vergangenheit, in dem sich jeder Kaiser Wilhelm, ob Nr. 1 oder Nr. 2, wohlfühlt.

Neil MacGregor: »Deutschland – Erinnerungen einer Nation«, C.H.Beck, 640 Seiten, 39,95 €