Gewidmet den Citoyens von Paris, die im Frühling 1871 für einige Wochen die wahre Demokratie verwirklichten.
Sie sangen das Lied von der Kirschblütenzeit
Und vergaßen, wie schnell die vergeht.
Sie machten sich für die Freiheit bereit:
Der Citoyen und auch der Prolet.
Die Kirschen sind grün und dann blutig rot,
Und die Freiheit gewinnen ist schwer.
Sie träumten von ihr, und sie träumten von Brot
Und vergaßen darob das Gewehr.
Und sie tanzten unter dem Kirschenbaum.
Und der Himmel war blau und war klar.
Dem Brot und der Freiheit, denen galt ihr Traum.
Und sie erkannten nicht die Gefahr.
Sie vergaßen, dass der Bourgeois
Nie vergibt und niemals vergisst.
Und so geschah es, dass Paris bald sah,
Wie das Blut auf den Boulevards fließt.
Der Traum begann in der Mitte des März,
Und er währte bis in den Mai.
Da traf die Reaktion ihn ins Herz,
Und die Kirschblütenzeit war vorbei.
Zehntausende lagen in ihrem Blut –
Die Frau und ihr Kind und ihr Mann.
Doch sie fanden, dieser Frühling war gut,
Und sie glaubten im Tod noch daran.
Das ist Geschichte und war nur ein Traum.
Vorbei längst, die Jahre sind weit.
Doch manchmal träumt unterm Kirschblütenbaum
Ein Mensch von der Kirschblütenzeit.
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Liebe Kollegin Kusche!
So begannen Werner Schwabs Briefe an mich. Intensiv begleitete Schwab das redaktionelle Geschehen der Zweiwochenschrift Ossietzky, auch wenn er in den letzten Jahren aufgrund seiner Parkinson-Krankheit Einschränkungen in Kauf nehmen musste. Weit mehr als hundert Beiträge schrieb der Journalist seit der Gründung der Zweiwochenschrift für das Blatt: prägnant, faktenreich, glasklar in der Argumentation. Werner Schwab wurde 1929 in Köln geboren. Er studierte in Aix-en-Provence und volontierte bei der Schwäbischen Zeitung. Nach einem Abstecher zu den Nürnberger Nachrichten kehrte er zur Schwäbischen Zeitung zurück. 30 Jahre arbeitete er dort, bis zu seinem Ruhestand 1994, leitete das Politik-Ressort und war Betriebsratsvorsitzender. Am 9. September starb mein Kollege, dessen Beiträge mir im Heft fehlen werden. Eine seiner letzten Arbeiten, die Schwab an die Ossietzky-Redaktion schickte, war das Gedicht »Kirschblütenzeit«.
Katrin Kusche
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