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Sozialabbau 2011, Folge 15  (Franziska Walt und Tilo Gräser)

20. September: Die »Riester-Rente« lohnt sich nur für die wenigsten und kann die mit ihr verbundenen Versprechungen nicht halten, belegt erneut eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die künftigen Renten seien deutlich geschrumpft, seit dieses staatlich geförderte Modell der privaten Altersvorsorge vor zehn Jahren eingeführt wurde.

– Die Bundesrepublik stellt sich laut AFP weiterhin gegen ein EU-Programm zur Versorgung von Bedürftigen mit Lebensmitteln und gehört damit zu einer Minderheit von Staaten, die das Programm in Gefahr bringen. Nach einer Klage Deutschlands entschied der Europäische Gerichtshof im April, daß die Hilfen nicht den Regeln für EU-Hilfen entsprechen. In den kommenden beiden Jahren dürfen demnach nicht mehr jährlich 480 Millionen Euro, sondern nur noch rund 113 Millionen Euro für das Programm eingesetzt werden. Ab 2014 ist die Zukunft der Hilfen unsicher.

21. September: Im brandenburgischen Königs Wusterhausen können Arme in dem Sozialladen »Obolus« einkaufen. Darüber berichtet die Märkische Allgemeine: »Für viele von ihnen ist es der einzige Ort in der Region, an dem sie das Gefühl eines richtigen Einkaufsbummels erleben können.« In dem Landkreis seien derzeit 4.600 Menschen auf »Hartz IV« angewiesen. Selbst wer bei Billig-Ketten einkaufe, habe Probleme, sich damit zu ernähren und regelmäßig neu einzukleiden. »Neues Spielzeug fürs Kind ist oft nicht drin. Im Sozialladen kosten die Waren dagegen nur zwischen 50 Cent und fünf Euro. Und abgesehen von Elektroartikeln gibt es dort fast alles.« Die Waren stammen aus Spenden, meist aus zweiter Hand. Die Nachfrage sei groß. Alle Beschäftigten arbeiten auf »Ein-Euro-Job«-Basis.

– Die Bundesregierung hat sich mit der wachsenden Altersarmut abgefunden. So bewerten Kritiker den »Regierungsdialog Rente«. Die vorgeschlagene »Zuschußrente« täusche nur eine Lösung vor, die dem Problem nicht gerecht werde. Dabei gibt es eine Lösung, die die Bundesregierung aber ignoriert: »Beschäftigung, und hier meine ich keine im Niedriglohnsektor, ist der beste Schutz vor Altersarmut. Unbefristete und angemessen bezahlte Arbeit verbessert die wirtschaftliche Situation der Beschäftigten nicht nur während des Erwerbslebens, sondern verhindert auch Versicherungslücken und führt zu höheren Rentenansprüchen. Regelmäßige und auskömmliche Einkünfte aus einer Beschäftigung ermöglichen zudem auch eine private Vorsorge fürs Alter. Hauptprobleme sind, … daß zum einen nicht genügend Arbeitsplätze vorhanden sind und zum anderen atypische Beschäftigungsformen zunehmen.« Das hat Wolfgang Kohl, Geschäftsführer der Rentenversicherung Mitteldeutschland, der Mitteldeutschen Zeitung verraten.

– In Schleswig-Holstein wächst jedes siebte Kind in Armut auf, kritisiert der Landesverband des Kinderschutzbundes laut NDR. In den Großstädten Flensburg, Kiel, Neumünster und Lübeck seien es sogar deutlich mehr. In Kiel lebe jedes dritte Kind von »Hartz IV«. Das sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket sei zum großen Teil gescheitert. »Nachhilfeunterricht oder eine Klassenfahrt – das ist für viele Jungen und Mädchen immer noch nicht drin. Viele Kinder können nicht einmal ihren eigenen Geburtstag feiern«, sagte Ingo Loeding vom Kinderschutzbund Schleswig-Holstein. »Auch bei der Ernährung gibt es Probleme.«

23. September: In Emden sollen Sozialhilfeempfängerinnen kostenlos Verhütungsmittel bekommen. Die Stadt stellt der Organisation Pro Familia in einem auf drei Jahre befristeten Projekt jährlich 7.500 Euro zur Verfügung, schreibt die Ostfriesen-Zeitung. Eigentlich müssen »Hartz IV«-Bezieherinnen die Pille aus den 15,55 Euro bezahlen, die monatlich für »Gesundheitskosten« vorgesehen sind. Die Pille schlage monatlich mit zehn bis 15 Euro zu Buche; eine Spirale, die bis zu fünf Jahre lang wirkt, koste zwischen 150 und 350 Euro.

24. September: Mitarbeiter eines Münchner Jobcenters klagen in einem offenen Brief über ihre Arbeitsbedingungen und warnen vor den Folgen für die »Hartz IV«-Empfänger, schreibt die Süddeutsche Zeitung online. Sie seien nicht mehr in der Lage, die Anliegen der Langzeitarbeitslosen »rechtzeitig und richtig« bearbeiten zu können, heißt es in einem Hilferuf an die Geschäftsführung des Jobcenters, die Stadtspitze und die Rathausfraktionen. Den Arbeitslosen drohe ein Wohnungsverlust durch verspätete Mietzahlungen, was den sozialen Frieden in München gefährde. Schon im April hatten die Mitarbeiter desselben Jobcenters ihre Vorgesetzten darauf aufmerksam gemacht, daß 126 »Hartz IV«-Haushalte pro Mitarbeiter eindeutig zu viel seien, schreibt die Süddeutsche.

28. September: Die Oberbürgermeisterin von Halle/Saale, Dagmar Szabados, blockiert ein vom Stadtrat beschlossenes Projekt, bei dem zukünftig Kinder aus »Hartz IV«-Familien unentgeltlich ein Mittagessen erhalten sollen, wie das Online-Portal halleforum.de berichtet. Neben einem Bundeszuschuß war vorgesehen, daß die Stadt einen Euro pro Essen übernimmt. Für rund 7.000 Kinder unter zwölf Jahren würde das die Stadt 1,5 Millionen Euro im Jahr kosten. »Dieser Antrag ist angesichts der Haushaltssituation zwingend abzulehnen, so wünschenswert das sein mag. Wir sind in einer Haushaltssituation, wo wir uns das nicht leisten können«, erklärte Oberbürgermeisterin Szabados laut halleforum.de.

29. September: Nach zehn Jahren Arbeitslosigkeit hat Joachim Bloetz aus Eckernförde endlich wieder Arbeit gefunden – und kann sie nicht erreichen. Für die Busfahrt zum 40 Kilometer entfernten Arbeitsplatz reicht sein Geld nicht, schreibt die Eckernförder Zeitung online. Das Jobcenter Eckernförde sei nicht bereit, die Fahrtkosten zu übernehmen, so Bloetz. Der beim Jobcenter beantragte Zuschuß für ein Auto stehe trotz Zusage noch aus. »Ich ernähre mich seit Wochen von Äpfeln und Wasser, mit dem neuen Job hätte ich wieder ein richtiges Leben«, sagt Bloetz, der sich fragt, warum ihm das Jobcenter Steine in den Weg legt. Der neue Arbeitgeber zeige Verständnis für seine Situation, das Arbeitsamt war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen, so das Blatt. Eine einfache Busfahrt zu seinem neuen Arbeitsplatz würde Bloetz 6,30 Euro kosten und rund zweieinhalb Stunden dauern.

30. September: Die durchschnittlichen Bruttolöhne im Osten sind immer noch 17 Prozent niedriger als im Westen, teilt die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung mit. Während sich 21 Jahre nach der deutschen Vereinigung die durchschnittlichen Tariflöhne in Ostdeutschland mit 96 Prozent stark an die im Westen angenähert hätten, gebe es einen großen Einkommensrückstand bei ostdeutschen Beschäftigten, die nicht nach Tarif bezahlt werden. »Das ist eine Folge der deutlich geringeren Tarifbindung«, so Dr. Reinhard Bispinck, Tarifexperte des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung. Die tariflich bezahlten Ostdeutschen müssen auch länger arbeiten und bekommen weniger Urlaub.

1. Oktober: »Mini-Minijobs« heißt der neue Trend bei Langzeitarbeitslosen, berichtet Spiegel online. Seit 2007 sei die Zahl der »Hartz IV«-Bezieher, die einen Minijob für maximal 400 Euro ausüben, um 105.000 gestiegen. Davon gehörten mehr als 94.000 zur Kategorie der 160-Euro-Jobs. Das ist die Grenze, bis zu der das Zusatzeinkommen keinen Einfluß auf die Höhe der Sozialleistung hat. Wer mehr dazuverdient, dem wird die »Hartz IV«-Leistung entsprechend gekürzt.

5. Oktober: Der Anteil der gesetzlichen Renten unter dem Existenzminimum steigt laut n-tv deutlich an. Jeder fünfte Rentner und jede dritte Rentnerin bleibt unter dem Sozialhilfeniveau.

6. Oktober: Wenn jemand »Hartz IV«-Leistungen erhält und sein sogenanntes Schonvermögen bei seinem Tod vererbt, müssen die Erben daraus die Sozialleistungen zurückzahlen, wenn diese mehr als 1.700 Euro betragen. Das hat das Sozialgericht Berlin laut dpa entschieden. Es urteilte über einen Fall, in dem ein Jobcenter von einer Frau verlangte, daß sie die »Hartz IV«-Leistungen für ihren verstorbenen Vater zurückerstattet. Der Mann hatte insgesamt rund 12.000 Euro vom Job-Center erhalten. Sein Vermögen von etwa 22.000 Euro war als sogenanntes Schonvermögen nicht angerechnet worden. Nach Abzug der Kosten unter anderem für die Beerdigung verblieben der Tochter etwa 20.000 Euro. Erben seien grundsätzlich verpflichtet, die Sozialleistungen aus der Erbmasse zurückzuerstatten, befand das Gericht (Aktenzeichen: S 149 As 21300/08). Das Schonvermögen komme nur dem Betroffenen selbst zugute und nicht den Erben.