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Blick nach Nicaragua  (Christian Klemm)

Daniel Ortega wurde bereits vor Monaten zum Spitzenkandidaten der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) für die Präsidentenwahlen Anfang November in Nicaragua gekürt. »Wieder einmal!« sagen seine Kritiker – unter ihnen nicht wenige Linke im In- und Ausland – und winken gelangweilt ab. Bereits 1996, 2001 und 2006 war er Kandidat seiner Partei. »Wer sonst?« fragen andere und verweisen auf Ortegas Erfolge seit seinem Amtsantritt im Januar 2007.

Und die können sich sehen lassen. Bildung ist – wie schon zu Zeiten der Sandinistischen Revolution in den 1980er Jahren – unentgeltlich. Damals konnten mehr als 20 Prozent der Bevölkerung weder lesen noch schreiben, jetzt sind es weniger als vier Prozent. Damit ist Nicaragua nach UN-Kriterien frei von Analphabetismus. Ebenso kann das Gesundheitssystem wieder unentgeltlich genutzt werden. Das Kassieren am Krankenhausausgang gehört der neoliberalen Vergangenheit an, die nach der Konterrevolution ab 1990 in Nicaragua begann und die Errungenschaften der Revolution hinwegfegte.

Diese Fortschritte im Bildungs- und im Gesundheitssektor scheinen nur noch einen Teil der Linken in der Bundesrepublik zu überzeugen. Für viele ist Daniel Ortega inzwischen ein Autokrat, ein gerissener Politiker, der wie Pattex an der Macht klebt. Sie werfen ihm zum einen das Bündnis mit der erzkonservativen katholischen Kirche vor, besonders das totale Abtreibungsverbot, das selbst einen Schwangerschaftsabbruch aus medizinischen Gründen unter Strafe stellt, stößt auf Ablehnung. Zum anderen prangern viele Linke seine Zusammenarbeit mit Nicaraguas Ex-Präsidenten Arnoldo Aleman von der Liberal-Konstitutionalistischen Partei (PLC) an. Aleman hatte kräftig in den Staatssäckel gelangt und Millionensummen veruntreut. Dafür wurde er verurteilt, seine Haftstrafe aber inzwischen wieder aufgehoben.

In Umfragen liegt Ortega deutlich vorne, demnach soll er mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten. Auch wenn er noch unter die 50-Prozent-Marke abrutschen sollte, würde er die Wahl schon im ersten Gang für sich entscheiden: In Nicaragua wird derjenige ohne Stichwahl zum Präsidenten gewählt, der mehr als 35 Prozent der Stimmen erhält und mehr als fünf Prozentpunkte vor dem Zweitplazierten liegt. Ortegas Vorteil ist, daß die liberale Opposition in zwei Lager gespalten ist: Aleman als Spitzenkandidat der PLC führt das eine an, das andere der Unternehmer Fabio Gadea von der Nicaraguanischen Einheit der Hoffnung (UNE). Die beiden dürften Ortega nicht sonderlich gefährlich werden: Gadea werden rund 14 Prozent der Stimmen prognostiziert, Aleman ist weit abgeschlagen und liegt bei rund sechs Prozent.

Weniger die politischen Gegner sind für Ortega also ein Problem als die nicaraguanische Verfassung. Sie schließt eine direkte Wiederwahl eines Präsidenten eigentlich aus. Doch der Wahlrat hat den entsprechenden Artikel geändert. Der Präsident stecke dahinter, meint die Opposition, und schwadroniert von einer Ortega-Diktatur in Nicaragua.

Ortega ist noch immer derjenige, der Politik vorwiegend für die »kleinen Leute« macht. Er hat seine Basis bei den verarmten Landarbeitern. Im Rahmen des »Null Hunger«-Programms werden Vieh, Futter und Werkzeuge an sie verteilt, damit sich die Bauern eine eigene Existenzgrundlage aufbauen können.

Bei jungen Leuten aber scheint der Sandinist nicht landen zu können. Nicht nur er, kein Politiker kriegt dort ein Bein an die Erde. Junge Nicaraguaner sind politikverdrossen, von dem Enthusiasmus der 1980er Jahre ist kaum noch etwas zu spüren. Damals waren es gerade die 18- bis 30-Jährigen, die die Somoza-Diktatur zum Teufel jagten und versuchten, ein freies Nicaragua aufzubauen. Die Politik ist bei vielen Nicaraguanern als ein korrupter Haufen diskreditiert. Von allen Politikern wird angenommen, daß sie nur in die eigene Tasche wirtschaften.

Deswegen ist es für die FSLN so wichtig, an einer glaubhaften linken Alternative zu arbeiten. Großen Reden über den US-Imperialismus müßte sie auch große Taten folgen lassen. An Vorschlägen fehlt es nicht: Ortega könnte ein außenpolitisches Signal setzen und aus der nordamerikanischen Freihandelszone ALCA austreten, die es möglich macht, daß Konzerne aus den USA Nicaragua mit Agrarprodukten überschwemmen. Einheimische Bauern können mit diesen Produktionsriesen in der Regel nicht konkurrieren und müssen die Landwirtschaft aufgeben. Innenpolitisch käme es darauf an, die Stromversorgung zu verstaatlichen und den öffentlichen Beschäftigungssektor auszubauen. Traut sich Ortega nicht? Dann riskiert er, Rückhalt in der Bevölkerung zu verlieren und auch das schon Gewonnene zu verspielen.