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Politisches Theater der Maori  (Bronwyn Tweddle)

1991 schrieb die Maori-Künstlerin Roma Potiki, Maori-Theater sei »tino rangatiratanga in action«. Das heißt, Theater setze Engagement für die Selbstbestimmung der Maori in die Tat um.

Vor der Ankunft der Europäer in Neuseeland gab es in der traditionellen Maori-Kultur kein Theater, wie wir es kennen. Es gab aber verwandte Darstellungsformen: »waiata« (Lieder), »haka« (Tänze), »patere« (Sprechgesang) und »whaikõrero« (Redekunst). Manche Stämme hatten ein »whare tapere« (Haus der Unterhaltung), aber solche Darstellung (neudeutsch »Performance« war Teil des alltäglichen Lebens, kein besonderes Ereignis. In den 1970er Jahren, zeitgleich mit der Professionalisierung des neuseeländischen Theaters, entdeckten die Maori Theater als Forum für politische Überzeugungsarbeit. Wie Potiki erklärt, waren die meisten Maori-Dramatiker damals Politaktivisten.

Als mehrere Maori-Stämme im Jahre 1840 mit der britischen Kolonialmacht den Vertrag von Waitangi unterzeichneten, glaubten sie, eine gleichberechtigte Partnerschaft einzugehen. Doch nachdem die Pakeha (Nicht-Maori) durch forcierte Einwanderung zu einer Bevölkerungsmehrheit geworden waren, kam es zur systematischen Enteignung der Maori, zur Unterdrückung ihrer Sprache und Kultur.

Die Maori-Theaterbewegung wurde ein wichtiger Teil des Kampfes, ihre Kultur und Sprache wieder geltend zu machen. Anfänge dieser Wiedergeburt findet man in den 1930er Jahren, als Prinzessin Te Puea Herangi formelle Strukturen für »kapa haka«, eine Verschmelzung von Liedern und Tanzformen, einführte, um dem Aussterben der mündlichen Traditionen der Maori entgegenzuwirken. »Kapa haka«-Wettbewerbe sind heutzutage ein wesentlicher Teil der neuseeländischen Kultur.

Noch in den 1950er und 1960er Jahren nahmen die Maori – in Neuseeland leben etwa 500.000 von ihnen – kaum am Theaterleben teil. Erst die Inszenierung von »Porgy and Bess« durch die New Zealand Opera Company mit Maori-Besetzung im Jahre 1965 weckte ihr Interesse am Theater.

In den 1970er Jahren gewann Theater dann schon große Bedeutung für die Protestbewegung, mit der die Maori zunehmend ihre Stimmen gegen Ungerechtigkeiten erhoben. Das Maori-Theater wurde in eigener Regie geführt und daher von eigenen Entwicklungsprozessen und kulturellen Werten geprägt. Die Theatertruppen spielten im Freien, in »marae« (Versammlungsgebäuden) und in Schulen im ganzen Land Agitpropstücke, die gegen Landenteignung, ungleiche Rechts- und Sozialsysteme und den Verlust kultureller Identität und Sprache protestierten. Das Theater agierte Seite an Seite mit politischen Aktionen wie dem Land March 1975, als Tausende Maori und Pakeha gemeinsam in die Hauptstadt Wellington marschierten, um ihre Klagen gegen die Landenteignung vorzubringen. Das führte schließlich zur Einsetzung des Waitangi Tribunal, eines Untersuchungsausschusses, der auch heute noch Maori-Ansprüche auf Rückgabe und Entschädigung bearbeitet.

In den 1980er Jahren entwickelten sich die Maori im neuseeländischen Theater zu einer bedeutenden Kraft. 1983 wurde das Depot-Theater gegründet, um neuseeländische Stücke zu fördern. 1994 erhielt es mit »Taki Rua« den Namen eines traditionellen Webemusters, das »zwei gehen zusammen« bedeutet, was die bikulturelle Arbeitsweise dieses Theaters hervorhebt. Ab 1995 folgten Theaterinszenierungen auch im Taki Rua Te Reo Maori, der Sprache der Maori. Stücke wie Apirana Taylors »Kohanga« (1986) unterstützten die politische Kohanga-Reo- und Kura-Kaupapa-Bewegung, die dafür eintrat, die Maori-Sprache wiederzubeleben sowie Kindergärten und Grundschulen aufzubauen, in denen Maori-Sprache und Maori-Weltsicht gelehrt werden. Ende der 1980er wurde »Theatre Marae« etabliert: eine Form, in der Maori-Begegnungsrituale in das Bühnengeschehen einbezogen werden.

Ab den 1990er Jahren drangen Maori-Themen auch ins Theater der Weißen vor, mit Theatre Marae als Höhepunkt des International Festival of the Arts im Jahre 1990 in Wellington und mit der Inszenierung von John Broughtons »Mi-chael James Manaia« (1991), einem Stück über einen Maori-Veteran des Vietnamkrieges im Downstage Theatre Wellington. Seitdem respektieren Theaterindustrie und Gesellschaft Maori »kaupapa« (Programme und Arbeitsweisen).

Die Rolle des Theaters als künstlerische Unterstützung des Politaktivismus hat dazu beigetragen, daß Maori und Nicht-Maori kulturell zusammenarbeiten können.

Bronwyn Tweddle, Australierin, lebt seit 2001 als Regisseurin, Dramaturgin und Dozentin in Wellington.