Daß ich von jedweder Nominierung als Kandidat für den Literatur-Nobelpreis Lichtjahre entfernt bin, versetzt mich in die unbeschwerte Lage, dem jährlich zur Frankfurter Buchmesse-Zeit sich wiederholenden Spektakel mit halbem Ohr und halbem Auge beizuwohnen. Der Nobelpreis für Literatur, der seit dem Jahr 1901 verliehen wird, ist so etwas wie der Oscar der Film-, die Emmys der Fernsehszene oder die Grammys der Pop-Musik, die prestigeträchtigste E-Version einer U-Branche, die solche Preisauslobungen als Events zur Steigerung von Glamour und also von Absatz veranstaltet. Dem Nobelpreis muß man sich von zarter Jugend an entgegenschreiben und dabei auch von vornherein die richtige Gattung wählen, nämlich den bitte nicht zu dünnen Roman, und in der Folge einen Stapel solcher Romane anhäufen. Und man muß sich zuvor am besten die renommierten nationalen oder sprachgeographischen Preise erschrieben haben, den Booker-Preis im englischen Sprachraum, den Büchner-Preis im deutschen, den Prix Goncourt für die frankophone Welt, den Premio Strega in Italien oder den Cervantes-Preis für die spanischsprachige Hemisphäre. Denn auch bei Literaturpreisen gilt: Preiswürdig ist jemand, der bereits einen Preis gewonnen hat; den Kleist-Preis bekommt, wer schon etliche andere eingeheimst hat. Denn nicht nur der oder die mit dem Preis Geehrte, auch die verleihenden Institutionen, Akademien und Städte sollen und wollen in glänzendem Licht erscheinen.
Der Literatur-Nobelpreis mit seiner Verleihung durch den schwedischen König mag ein wenig darüber stehen: Er ist neben dem Hans-Christian-Andersen- Preis für Kinder- und Jugendliteratur der einzige weltweit bekannte Preis, der nicht an eine Sprache oder Kultur gebunden ist. Gleichwohl oder vielleicht gerade deshalb fördert er immer wieder unerwartete Preisträger zutage – ich denke an den französischen Autor J.M.G. Le Clézio (2008), auf den selbst in Frankreich niemand getippt hätte –, und es kommt zu fragwürdigen, zumindest hinterfragbaren Entscheidungen. Wir haben im Schweizer Autorenverband »Gruppe Olten« jahrelang brav die Namen von Frisch und Dürrenmatt in die Nominierungslisten der schwedischen Akademie eingetragen, die uns zugeschickt wurden. Geholfen hat es nicht. Die Verleihung des Nobelpreises geschieht nicht nach demokratischen Spielregeln, sie obliegt richtigerweise einem Gremium von mehr oder minder Weisen. Da spielen dann politische Faktoren (Winston Churchill, 1953), geopolitische, kulturgeographische, modische, eurozentrische Faktoren oder ihr Gegenteil eine Rolle. Und natürlich wird hinter den Kulissen eifrig gerungen, gefeilscht und eingeflüstert.
Der Nobelpreis für Heinrich Böll (1972) hing eindeutig auch mit Willy Brandts Ostpolitik zusammen. Weitere deutschsprachige Nobelpreisträger waren in jüngerer Zeit Günter Grass (1999), Elfriede Jelinek (2004) und Herta Müller (2009). Hinter die beiden letztgenannten lassen sich aus meiner Sicht literaturkritische Fragezeichen setzen. Und wenn auch nur die Hälfte von dem zutrifft, was Der Spiegel seinerzeit an Hintergrundinformationen über die Vorgeschichte der Preisverleihung an Herta Müller zusammengetragen hat, dann muß in diversen Netzwerken, in unterschiedlichen Funktionen und verschiedenen Positionen und auf allen möglichen Ebenen eine wahrhafte Kamarilla am Werk gewesen sein, um am Schluß ihrer Kandidatin den Preis zu sichern. »Wir haben es geschafft!«, soll da am Schluß einer gejubelt haben. In anderen Worten: Auch beim Literatur-Nobelpreis dürfte der schöne humane Schein das knallharte Business mit dem Mäntelchen des Schöngeistigen überdecken.
Nun hat die schwedische Akademie, indem sie den diesjährigen Nobelpreis dem achtzigjährigen schwedischen Lyriker Tomas Tranströmer verliehen hat, alle überrascht, die Amos Oz, Bob Dylan oder wen immer vorne gesehen hatten. Positiv überrascht, wie ich finde. Sie hat damit einen Kontrapunkt zum Redeschwall der Charlotte Roche & Co. und das Getöse um sie gesetzt. Tranströmer steht für Entschleunigung, Stille, Verknappung. Sein schmales Werk baut in bester Tradition der poetischen Moderne aus Welt, ihrer subjektiven Erfahrung und Sprache ein eigens Universum. Im Hanser Verlag liegen, von Hanns Grössel ins Deutsche übersetzt, neben drei sehr dünnen Bändchen seine gesammelten Gedichte aus dem Jahr 1997 vor: gerade mal 260 Seiten. Seine letzte, dort erschienene Publikation von 2005 umfaßt nicht mehr als fünf Gedichte und eine Handvoll Haikus.