1938 schrieb er in der surrealistischen Zeitschrift Minotaure: »Wir brauchen Wände, die wie feuchte Laken ihre Form verändern und sich unseren Seelenängsten anschmiegen.« So reagiert der Architekt und Maler, der Chilene Roberto Matta, auf Le Corbusiers architektonischen Rationalismus. Im Hamburger Bucerius Kunst Forum ist ihm nun, zu seinem 10. Todestag, die Ausstellung »Fiktionen« gewidmet (noch bis zum 6. Januar, Katalog 196 Seiten, 24,80 €). Die großformatigen Bilder leuchten von den dunkel gestrichenen Wänden, die manchmal ihre Form verändert haben und sich im Halbrund um den Betrachter wölben.
Der 1911 geborene Matta kommt 1933 nach Paris und arbeitet bis 1936 bei Le Corbusier. Matta lernt in Madrid Federico Garcia Lorca kennen, der ihn mit Salvatore Dali bekannt macht, der ihn in die Gruppe der Surrealisten einführt. André Breton nimmt sich seiner an. 1936 schreibt Matta das Drehbuch »Die Erde ist ein Mensch« als Hommage auf den von den Faschisten im spanischen Bürgerkrieg ermordeten Lorca. Matta: »Der Körper erhebt sich. Schreie der Bäume in seinen Fersen; Windungen des Fußes, der sich an die Rinde der Stämme schmiegt.« Er macht Zeichnungen dazu, die 1938 in Paris ausgestellt werden. Ein Gemälde von 1962, das ich soeben – nicht in der Hamburger Ausstellung, sondern in der Neuen Nationalgalerie in Berlin – entdeckte: »Mal de terre« (dort als »erdenkrank« übersetzt). Es drückt genau diese Gefühle aus – auch Erdkrumen sind plastisch eingefügt, die spanische Erde: beige-ocker-braun und leuchtend weiß. Menschen, die entfernt an Picassos Figuren erinnern. Matta lernte ihn kennen, als der an seinem Guernica-Bild arbeitete. Es sollte im spanischen Pavillon der Weltausstellung hängen. Matta schilderte in einem Gespräch, wie er als Assistent jeden Tag zu Picasso geschickt wurde, um nachzufragen, wie weit das Bild sei. Matta meinte, das Werk sei nur »beinahe fertig« geworden.
Mattas erste Bilder entstehen 1938. Er lernt viele Maler und Schriftsteller kennen. So auch den Landsmann Pablo Neruda, mit dem er einige Zeit zusammen wohnt. Matta zieht nach New York. Dort findet 1942 die Ausstellung »Artists in Exile« statt, an der er und viele bekannte Künstler beteiligt sind. Eine besondere Freundschaft verbindet ihn mit Marcel Duchamp, und sie beeinflussen sich gegenseitig. Ein Geflecht aus Linien, wie eine Zeichensprache, durchzieht Mattas Bilder, die auch innere Landschaften zeigen. Wie das erste Bild der Ausstellung »Inscape« von 1938/39. »Das Jahr 1944« (1942 entstanden) wirkt abstrakt, doch die Farben überziehen das Gemälde wie ferne Brände und Bomber. Mattas Ausdrucksmittel sind so vielfältig, daß die Bilder oft verwirren. – wie eine Fremdsprache. Daß er sich politisch engagiert, ist eher in seinen Texten zu finden, in denen er die Rolle des Künstlers als Revolutionär beschreibt, der das Bewußtsein des Einzelnen verändern soll. Er malt 1951 »Les Roses sont belles« (nicht in Hamburg), das sich mit dem Prozeß gegen Ethel und Julius Rosenberg auseinandersetzt, die in den USA später als Spione auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet wurden (s. auch »Grass und Rosenberg« S. 837).
1954 kehrt Matta nach Paris zurück, dann nach Rom. Sein Gemälde »La Question – Djamila« (1958) weist auf Folterungen im Algerienkrieg hin. Es wurde durch das Buch »La Question« des Kommunisten Henri Alleg angeregt, der darin seine Erfahrungen mit Elektroschocks und Waterboarding schildert. Im Bild »Être avec« (dabei sein) zeigt Matta 1946 kleine weiße Menschlein auf Foltermaschinen gespannt – das fehlt in Hamburg. Mai 1968 in Paris: Matta beteiligt sich an Studentendemonstrationen – auch mit Plakaten – und spricht in der Sorbonne. Er setzt sich für streikende Arbeiter ein, die eine Fabrik in Châtillon besetzt haben. Und er läßt seine Ausstellung, in der auch die Bildreihe »L´Espace de l´Espèce« zu sehen ist, aus dem Museum in Paris zum Streikort bringen. Das Triptychon von zwei mal sieben Metern aus diesem Komplex wird in Hamburg gezeigt. Maschinen-Menschen oder zur Maschine gemachte Menschen?
Matta reist immer wieder nach Chile. Dort trifft er Fidel Castro. 1968 nimmt er als Delegierter am ersten Kulturkongreß in Havanna teil. Die Wandgemälde der Brigada Ramona Parra, einer chilenischen Künstlergruppe, geben ihm Anregungen, und sie lernen von ihm. Nach Chiles 11. September – 1973 – mit dem, vom CIA geförderten Militärputsch stellt Matta Werke in Bologna als Protest aus, die sich auf Allendes Tod beziehen. 1974 nimmt er an der Biennale in Venedig teil, ihr Thema: »Für eine demokratische und antifaschistische Kultur«. Dort zeigt er seine Bilder für die Brigada Ramona Parra. Er wurde, so Matta, seiner »chilenischen Staatsbürgerschaft enthoben« und wird »wieder kubanisch-algerischer Franzose mit Wohnsitz auf der Erde«.
Die Titel seiner Bilder sind oft poetisch vieldeutig – deshalb in der Ausstellung nicht übersetzt? »Wo der Wahnsinn haust« nennt sich ein Teil der – in die Form eines aufgerissenen Kubus plazierten – fünf Gemälde. Er wollte den Betrachter hineinziehen. In der Hamburger Ausstellung gelingt es durch geschickte Hängung, diesen Eindruck zu vermitteln. Ein mit unendlich vielen weißen Linien, wie eine Geheimschrift, bedecktes Bild wird mit Schwarzlicht magisch bestrahlt. Spektakulär und voller Komik, die beiden Riesenbilder »Les oh! Tomobiles« (1972/73) und »La Commune de Paris et la Revolution francaise« (um 1975). Ein Kampf auf der Straße: Auto an Auto, der Mensch, gefangen in seiner Kapsel, besteht fast nur aus dem gestreckten Gas-Bein. Und die Pariser Commune als fröhlich feiernde Menschen in akrobatischen Verrenkungen, manche wie lachende Gespenster, die merkwürdige Kästchen (was ist darin?) mit Flügeln oder Spitzen in den blauen Himmel werfen. Matta hat 1977 in der »Autoapocalipse« ein Haus bauen lassen aus den Teilen eines Fiats. Ein Kollektiv von Arbeitern half ihm dabei. Dieses Gebilde wurde in vielen Städten Italiens gezeigt. Das letzte Gemälde im Bucerius Kunst Forum von 1999, eine Art Selbstportrait in schwarz, grau, weiß, ist verrätselt. Der Eindruck: düster, erschreckend. Ein Foto zeigt Matta, wie er auf einer Leiter steht und an einem ähnlichen Riesenformat arbeitet. Drei Jahre später stirbt er in Italien, 91jährig, hochgeehrt – aber in Deutschland noch immer zu wenig bekannt.