Kristina Schröder will nicht mehr Familienministerin sein. Um mehr Zeit für ihre Tochter zu gewinnen, so ihre Begründung, begnügt sich die Christdemokratin künftig mit weniger Arbeit als hessische Bundestagsabgeordnete. Die Regierung verliert damit eine ihrer einflußreichsten Propagandistinnen kürzerer Arbeitszeiten.
»Bündnis für die Familie«, »Zeitbrücken zwischen Beruf und Familie«, »familienfreundliche Betriebe«, »familiengerechte flexible Arbeitszeiten« – mit diesen Parolen ist die scheidende Ministerin durch die Republik getourt. Bewaffnet mit professioneller Öffentlichkeitsarbeit, Arm in Arm mit den Unternehmerverbänden hat sie dabei vor allem für eine Forderung geworben: Teilzeit statt Vollzeit!
Während Schwarz-Gelb und Arbeitgeber seit Jahren knallhart das Feld bereiten für Lohnsenkungen durch Verlängerung der Wochenerwerbszeiten, setzt Schröder mit stahlblauem Lächeln die Kehrseite dieses Programms in Szene. »Familienfreundlich« – mit diesem Schlachtruf trommelt sie für flexible und individuell verkürzte Erwerbsarbeitszeiten – voller Lohn- und Rentenverlust für die Betroffenen inklusive.
Ohne gesetzgeberische Anstrengungen auf sich nehmen zu müssen (um die rechtlichen Grundlagen prekärer Arbeit hatte sich zuvor Rot-Grün verdient gemacht) feiert Schröder mit ihrer Teilzeit-Kampagne Erfolge. Ein »Jobwunder« konnte die Merkel-Regierung im Wahlkampf vermelden. Dabei sinkt das Arbeitsvolumen in Deutschland kräftig und stetig, weil die Produktivität genauso stetig wächst. So ist denn dieses »Wunder« der Rekordzahl von Erwerbstätigen auch nicht dem Heiligen Geist geschuldet, ursächlich sind die millionenfach entstandenen Jobs mit Kurz-Arbeitszeiten.
In der Statistik liest sich das so: Seit der Jahrtausendwende ist die Zahl der geringfügig Beschäftigten (Mini-JobberInnen) um 770.000 gewachsen und die in herkömmlicher Teilzeit arbeitenden Menschen explodierte gar um 2,360 Millionen. Gleichzeitig ist die Zahl der Vollzeitbeschäftigten dramatisch um 1,44 Millionen geschrumpft, besser gesagt: Sie wurde geschrumpft. Denn die Aufteilung von Vollzeit- in prekäre Teilzeitstellen ist für Unternehmer lukrativ. Sie gestalten den stummen Zwang der Verhältnisse, den Terror der profitgesteuerten Ökonomie, der vielen Menschen – überwiegend Frauen – keine Alternative läßt, als sich in einen Teilzeitbroterwerb zu fügen, obwohl der verbleibende Lohn ihnen häufig weder zum guten Leben noch für eine Rente jenseits von Altersarmut reicht. So würden denn auch zwei Millionen Teilzeiterwerbstätige gern deutlich länger arbeiten, während viele andere, die unter überlangen und immer stressigeren Arbeitstagen stöhnen, lieber kürzer arbeiten würden.
Kurze Vollzeit mit vollem Lohn- und Personalausgleich, so jüngst die Forderung einer bundesweiten Arbeitszeit-Arbeitsgruppe der Gewerkschaft ver.di, wäre die menschenfreundliche und auch ökonomisch gebotene Lösung.
Doch auch die Teilzeit-Falle ließe sich entschärfen. Dafür gibt es seit einigen Monaten sogar ein durchgerechnetes Politik-Modell, das allerdings auch von seinen Protagonisten überraschend klandestin behandelt wird. Der Deutsche Gewerkschaftsbund in Bremen, wo sich die örtlichen Gewerkschaften schon seit Jahren in Betrieben wie etwa den Stahlwerken oder der Becks-Brauerei für Experimente mit sozial lebbarer Arbeitszeitverkürzung engagieren, hat das Modell als erster auf seine Fahne geschrieben. Diskutiert wird es unter dem Kürzel »BFAU«. Dahinter verbirgt sich der Entwurf zu einem »Gesetz zur Beschäftigungsförderung durch Arbeitsumverteilung«. Das klingt kompliziert, baut aber auf nur fünf leicht verständlichen Eckpfeilern auf und ist geeignet, mit einer verbesserten Form von Teilzeit einen Beitrag zu leisten, um Erwerbslosigkeit, vor allem die Langzeiterwerbslosigkeit von gering qualifizierten Menschen, abzubauen; ausgebildete Jugendliche in Erwerbsarbeit zu bringen; familienfreundliche und altersgerechte Arbeitszeiten zu ermöglichen; den unfreiwillig in Teilzeit oder den nur geringfügig Beschäftigten zu erlauben, ihre bezahlte Arbeitszeit aufzustocken, und gleichzeitig den mit zu langen und zu stressigen Arbeitszeiten geplagten Menschen das Recht zu geben, ihre Erwerbsarbeitszeiten für eine überschaubare Zeit zu verkürzen, ohne Altersarmut und inakzeptable Einbußen beim Lebensstandard hinnehmen zu müssen.
Der Fachanwalt für Arbeits- und Tarifrecht, Ralf Trümner, hat das Gesetz entworfen; dessen Eckpfeiler sind:
Alle Beschäftigten erhalten das Recht, ihre wöchentliche Erwerbsarbeitszeit um mindestens zehn Prozent und maximal 50 Prozent zu verringern.
Die Arbeitgeber sind verpflichtet, die freiwerdenden Stellenteile durch die Einstellung von Arbeitslosen oder ausgebildeten Jugendlichen zu besetzen oder aber Zeitwünsche von Teilzeitbeschäftigten zu erfüllen, die länger arbeiten wollen.
Die Verkürzung der Arbeitszeit erfolgt nicht mit vollem Lohnverlust wie heute; vielmehr wird ein nach Einkommenshöhe gestaffelter Ausgleich für den Nettolohn und für die Beiträge zur Sozialversicherung gezahlt und zwar in Höhe von 70 Prozent für höhere, 80 Prozent für mittlere und 90 Prozent für untere Entgeltgruppen. Das Geld käme von der Bundesagentur für Arbeit, die im Gegenzug Ausgaben für Erwerbslosigkeit sparen würde.
Wo die Grenze zwischen unteren, mittleren und höheren Einkommen jeweils verliefe, unterläge der Mitbestimmung von tripartistisch besetzten Branchenkommissionen aus Gewerkschaft, Arbeitgeberverband und Bundesagentur.
Alle dürfen dieses Arbeitszeitmodell in Betrieben mit mehr als 15 Beschäftigten für mindestens zwei und maximal sechs Jahre in Anspruch nehmen – und zwar mit garantiertem Rückkehrrecht auf die ursprüngliche Arbeitszeit.
Fachanwalt Trümner hat sich bei seinem Entwurf an den positiven Erfahrungen orientiert, die ein ähnlich konstruierter Beschäftigungsförderungstarifvertrag ermöglicht hat, mit dem die IG Metall und die Metallarbeitgeber in Niedersachsen 1998 Neuland betreten hatten. Ein Modell, das trotz seiner Erfolge im Jahr 2000 beendet werden mußte, weil der damalige Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) sich weigerte, einen Fonds steuerfrei zu stellen, aus dem die Tarifparteien dieses Arbeitszeitmodell finanzierten hatten. Ein Modell, das damals überproportional häufig von Beschäftigten in unteren Lohngruppen, darunter vielen Frauen, in Anspruch genommen worden war.
Doch obwohl Trümner im Auftrag nicht ganz einflußloser Akteure tätig geworden ist – der ver.di-Tarifgrundsatzabteilung, der Bremer Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten (NGG), des Forums Arbeit in Bremen, der dortigen Arbeitnehmerkammer und mit Unterstützung der IG Metall Tarifgrundsatzabteilung – wird mit seinem Gesetzentwurf bisher keine Politik gemacht. Gewerkschaften und Opposition lassen das Kampffeld Zeit weiter unbesetzt. Da freuen sich Kristina Schröder und Co., prekäre Teilzeit mit dem schönen Etikett »familienfreundlich« als angeblich alternativlos verkaufen zu können.
Im Mai 2011 erschien als Ossietzky-Sonderdruck das »Manifest zur Überwindung der Massenarbeitslosigkeit«, mit dem Heinz-J. Bontrup und Mohssen Massarrat Vorschläge präsentieren, die über das o.g. Modell hinausreichen.