erstellt mit easyCMS
Titel212013

It´s the hegemony, stupid!  (Georg Rammer)

Geheimdienste der »westlichen Wertegemeinschaft« wurden ermächtigt, alle privaten Daten und Internetkontakte aller Menschen auszuforschen, aufzuzeichnen, auszuwerten. »Schon die bisherigen Erkenntnisse lassen den Schluß zu, daß die Aktivitäten unter anderem des US-amerikanischen und des britischen Geheimdienstes auf eine globale und tendenziell unbegrenzte Überwachung der Internetkommunikation hinauslaufen«, stellen die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder fest. Offensichtlich haben sich die Geheimdienste Großbritanniens und der USA durch keinerlei nationale Rechte, internationale Vereinbarungen und auch nicht durch das Völkerrecht oder Menschenrechte behindern lassen. So agieren eigentlich nur verbrecherische Organisationen. Aber die Geheimdienste sind durch ihre Regierungen beauftragt und gedeckt.

Eine Aufklärung wird durch die Regierungen der Hauptakteure USA und Großbritannien, aber auch durch die Bundesregierung massiv behindert, Grund- und Menschenrechte werden als zu vernachlässigende Größen behandelt; wesentliche Grundlagen der Demokratie gar nicht erst thematisiert. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar sagt, Grundrechte seien wohl verletzt; dennoch verweigere ihm das Innenministerium die Auskunft und verhindere damit die Prüfung, berichtet Zeit online.

Eine aufgeschreckte Öffentlichkeit sieht die persönliche Freiheit bedroht. Auffallend wenig wird dabei die Frage gestellt, welchem Zweck die gigantische Überwachung dient. Und viele Kritiker scheinen gar nicht damit zu rechnen, diese Entwicklung der »westlichen Wertegemeinschaft« zum Totalitarismus stoppen zu können; sie beschränken sich darauf, individuelle Abhilfe in Form von mehr Datenschutz zu suchen, der »der Privatheit um der Freiheit willen wieder Geltung verschafft« (Bernd Rheinberg in Blätter 9/13).

Zur Rechtfertigung der weltweiten Überwachung wird häufig das Argument der Terrorbekämpfung herbeigezogen; sogar Rheinberg findet, daß freiheitliche Gesellschaften Todfeinde haben, die »unsere Sicherheit fundamental bedrohen«. Aber: Geht es wirklich nur um »unsere Sicherheit«, und wird Sicherheit nur durch Bomben von Terroristen bedroht?

Ein Wechsel der Blickrichtung eröffnet eine weniger egozentrische Perspektive. Danach haben Menschen auf der ganzen Welt ein Bedürfnis nach und ein Recht auf Freiheit und Sicherheit; sie wollen sicher sein vor Ausbeutung und Not, vor Entwürdigung, Ungleichheit und Gewalt. Und auch Schutz der Privatsphäre gehört dazu – selbst wenn viele Menschen eine kommerzielle Überwachung und Steuerung quasi freiwillig zulassen. Freiheit und Sicherheit werden aber nicht nur von denjenigen bedroht, die von unseren Regierungen als Terroristen verfolgt werden. Es ist bekannt, wieviel Gewalt und Unglück durch rücksichtslose Durchsetzung der Interessen der »Eliten« der westlichen Wertegemeinschaft in die Welt kommt; sehr viele Menschen werden dafür rücksichtslos geopfert. Und sehr viele Menschen auf der Erde fürchten diese Bedrohung viel mehr als die durch El Kaida.

Aber das ohnehin fadenscheinige Argument der Terrorismusbekämpfung wird vollends ad absurdum geführt: Nicht nur die Bürgerinnen und Bürger weltweit stehen unter Generalverdacht, müssen kontrolliert werden; auch die Botschaften anderer Staaten, EU-Institutionen und die UNO werden abgehört und ausgeforscht. Nein, die USA halten die UNO sicher nicht für eine terroristische Organisation; aber die Vereinten Nationen verweigern sich manchmal dem Diktat der hegemonialen Mächte.

Die Geheimdienste werfen nicht für »unsere Sicherheit« klammheimlich Recht und Gesetz über den Haufen, sondern für etwas, was demokratischen Prinzipien und dem Völkerrecht diametral entgegensteht. Sie kämpfen im Auftrag ihrer Regierungen für Hegemonie. Sie agieren für eine wirtschaftliche und strategische Vorherrschaft, die militärisch abgestützt wird. Ihr Auftraggeber ist eine politische Elite in den USA und in der EU, die mit der wirtschaftlichen eng verknüpft ist. Sie gibt vor, allgemeingültige Werte zu verteidigen. Tatsächlich aber mißachtet sie internationale Regeln genauso wie demokratische Grundrechte.

Selbstverständlich funktioniert diese Machtpolitik in formal demokratischen Ländern nur unter Geheimhaltung. Und nur unter Gefährdung der Existenz kann diese manchmal durchbrochen werden. Bradley Manning und Edward Snowden haben dafür gesorgt, Kriegsverbrechen, kriminelle Machenschaften und Menschenrechtsverletzungen zu entlarven. Die Aufdeckung der geheimen Operationen verschiedener Dienste ist für die rücksichtslose Interessenpolitik der größte anzunehmende Unfall. Denn die Strategie zur Erringung hegemonialer Machtstellung basiert auch auf der Fähigkeit, den Schein der Demokratie zu wahren: Die eigenen Interessen als das gesellschaftliche, ja das internationale Allgemeininteresse zu definieren und durchzusetzen.

Die größten Feinde dieser Geheimhaltung und der Definitionsmacht sind die Whistleblower. Sie kollaborieren in der Tat mit dem Feind (wie die Anklage gegen Manning ursprünglich lautete). Denn der Feind ist die aufgeklärte Öffentlichkeit. Deren Loyalität könnte zusammenbrechen, wenn die geheimen Aktionen an die Oberfläche kommen. In diesem »Katastrophenfall« werden schnell auch mal Prinzipien internationalen Rechts gebrochen wie im Fall der erzwungenen Landung der bolivianischen Präsidentenmaschine. Oder die »freie Presse« wird Repressalien ausgesetzt, durchsucht und zur Vernichtung der Datenträger gezwungen, die das Ausmaß der Bespitzelung beweisen.

Das ist die Sicherheit, die sie meinen. Die nach Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich plötzlich sogar als »Supergrundrecht« über allen anderen Grundrechten stehen soll. Die Hauptpfeiler dieser »Sicherheit« sind Geheimhaltung und Kontrolle von Personen und Institutionen, die die Interessen der hegemonialen Mächte in Frage stellen. Denn die Regierungen in Deutschland, Frankreich, Australien, England und den USA handeln in wichtigen Fragen gegen die überwiegende Meinung der Bevölkerung. Und in zentralen Themen wird dem Volk fundierte Information einfach vorenthalten, Akten werden vernichtet, wichtige Themen zur Geheimsache erklärt, etwa bei NSU und NSA, Krieg und Bankenrettung.

Die Regierungen setzen auf eine Form der Infantilisierung. Die Menschen sollen sich kein eigenes Urteil bilden können. Fundierte Entscheidungen über eigene Belange werden durch das Vorenthalten notwendiger Informationen unmöglich gemacht. Bürgerinnen und Bürger werden in der Illusion gehalten, gehört und beteiligt zu werden, obwohl sie nur vorgefaßte Entscheidungen abnicken sollen, gelenkt von einer wirtschaftlich-politischen Elite. Es ist die Methode der »schlechten Eltern«: Die Kinder werden zur Beschäftigung und Ablenkung vor die Glotze gesetzt, sie bekommen bei Wohlverhalten Süßigkeiten, und wenn die Position der Eltern fragwürdig wird, heißt es, Schluß jetzt mit der Diskussion. Die beabsichtigte Wirkung dieser »Erziehung« ist die Personalisierung und Entpolitisierung des öffentlichen Lebens. Kanzlerin, Innenminister, Kanzleramtschef, aber auch ein Großteil der Medien handeln bei den kriminellen Akten der Geheimdienste nach dieser Methode: Erstens ist die Geheimhaltung notwendig, zweitens dient sie unserer Sicherheit und drittens keine weiteren Diskussionen. Nur dadurch wird erreicht, daß fast täglich antidemokratische, gegen Völker- und Menschenrecht verstoßende Akte von Regierungen und Geheimdiensten bekannt werden, aber politisch weiterhin business as usual betrieben wird.

So bleibt die Erkenntnis: Die weltweite Überwachung und Kontrolle bieten die Garantie, präventiv jeden Widerstand gegen hegemoniale Ansprüche und gegen die rücksichtslose Durchsetzung der »Eliten«-Interessen aufzudecken und zu eliminieren.

Das Engagement zum Schutz der Privatsphäre und für das Grundrecht auf Vertraulichkeit, gegen präventive Überwachung ist notwendig, ist Teil des Einsatzes gegen die Aushöhlung und Abschaffung der Demokratie. Aber es muß eingebettet sein in den Kampf gegen Hegemonieansprüche. Ist Datenschutz die Lösung? Den werden die Machthaber nicht einmal ignorieren, um mit Karl Valentin zu sprechen. Die Suche nach Verschlüsselungsverfahren, die nicht geknackt werden können, wie sie etwa Reiner Metzger in der taz fordert, kann eine individuelle Absicherung bieten, läßt aber das System unangetastet. Kontrolle der Geheimdienste? Sie ist eine Illusion, zumal sie politisch nicht gewollt wird, nicht in Deutschland und schon gar nicht in Großbritannien oder den USA. Übrigens wäre sie auch technisch immer schwieriger, da etwa die NSA eine Vielzahl privater Vertragsfirmen beschäftigt.

Es bedarf einer politischen Garantie der Grund- und Menschenrechte. Sie sind längst nicht Realität, und die »westliche Wertegemeinschaft« mißachtet sie in eklatanter Weise. Es gilt die Frage zu diskutieren, was getan werden muß, um denjenigen Widerstand entgegenzusetzen, die die freiheitliche demokratische Grundordnung mißachten und dabei sind, eine marktkonforme Demokratie und – wie die USA und die EU-Großmächte – eine weltumspannende Hegemonie durchzusetzen.