Der Titel »Wir sind die Guten. Ansichten eines Putinverstehers oder wie uns die Medien manipulieren« ist mit einem Augenzwinkern versehen, ironische Replik – sonst würden die Autoren den russischen Präsidenten Putin gleich anfangs wohl kaum so beschreiben: »Für seine übelsten Scherze, die er unter der Hand und bei vermeintlich ausgeschaltetem Mikrofon macht – zum Beispiel über den ehemaligen israelischen Präsidenten Mosche Katzaw, der 2006 wegen Vergewaltigung vor Gericht stand: ›Er ist ein toller Hecht. Hat zehn Frauen vergewaltigt. Das hätte ich nicht von ihm erwartet. Wir beneiden ihn alle‹, erntet der Supermacker in gewissen Kreisen noch Respekt.«
Mathias Bröckers und Paul Schreyer, als freie Journalisten unter anderem für die taz, Telepolis und Global Research tätig, untersuchen nach einem kurzen Abriß der Geschichte der Ukraine die Fragen: Woher kommen das westliche und das deutsche Interesse an der Ukraine? Wie konnte es dazu kommen, daß sich ein gescheitertes Abkommen mit der EU inzwischen zu einer der gefährlichsten Krisen in Europa entwickelt hat? Und vor allem: Wer ist schuld?
Seit Beginn der Krise ist den Autoren bewußt, daß dieser Konflikt komplizierter ist, als man denkt, und den Frieden ganz Europas bedroht.
Bröckers und Schreyer schrieben ihren Text von April bis August dieses Jahres – ohne je die Ukraine besucht zu haben. Sie arbeiten die geopolitische Wichtigkeit des Donezk-Beckens und die Machenschaften des CIA heraus, um sich dann ausführlich der Berichterstattung der bundesdeutschen »Leitmedien« zu widmen und deren Rolle im Konflikt zu hinterfragen. Statt unabhängig zu berichten, seien sie längst selbst zu einer urteilenden Partei geworden. Die Autoren gehen aber noch einen Schritt weiter, sprechen von einem »Gleichklang« der Leitmedien und Lobbynetzwerke, von »Medien im Kriegsmodus«, die angesichts des MH17-Absturzes eher instrumentalisieren statt aufzuklären.
Es geht um Weltherrschaft, um Rohstoffpolitik und um die Versorgungssicherheit des Westens. Als Schnittstelle im Machtpoker wird die Rolle des 1961 gegründeten Atlantic Councils beleuchtet, einer transatlantischen Denkfabrik, die fernab der Öffentlichkeit im Beisein wichtiger politischer und wirtschaftlicher Entscheidungsträger die Strippen zieht – »eine Struktur, die oberhalb von Regierungen schwebt, die Amtsträger einlädt, empfängt und assoziiert, die Medien mit Experten und Material versorgt. Merkel darf eine Laudatio halten, Barroso bekommt einen Preis ... Die Sponsoren selbst bleiben dezent im Hintergrund.«
Im Fall von »Wir sind die Guten« wollen sich Bröckers und Schreyer in der Tradition Karl Kraus‘ verstanden wissen, der vor über 100 Jahren klarstellte: »Wie wird die Welt regiert und in den Krieg geführt? Diplomaten belügen Journalisten und glauben es, wenn sie’s lesen.« Kraus geißelte 1914 die Manipulation der Massen in Kriegszeiten, die ihn dazu brachte, »den Journalismus und die intellektuelle Korruption, die von ihm ausgeht, mit ganzer Seelenkraft zu verabscheuen«.
Am Beispiel der Ukraineberichterstattung gelangen die Autoren zu dem Fazit, daß die Art und Weise, wie Medien heutzutage versuchen, die Massen zum Krieg zu motivieren, sich im letzten Jahrhundert kaum verändert hat, schlimmer noch: »Die Methoden und Mechanismen, mit der die Massen zum Krieg animiert werden, (...) sind durch die Allgegenwart von Funk, Fernsehen und Internet nur verstärkt und beschleunigt worden: Die Herstellung von Realität findet in Echtzeit, im Liveticker statt.«
Etwas altersmilde fällt das von der deutschen Sozialdemokratie begründete Schlußplädoyer der Autoren für eine genuin europäische Sicherheitsarchitektur aus, unter Einbeziehung Rußlands. Sie raten dazu, an das außenpolitische Erfolgsmodell anzuknüpfen, das Egon Bahr 1963 durch die Formel »Wandel durch Annäherung« in seiner Tutzinger Rede prägte, wobei Bröckers und Schreyer Deutschland in der Schlüsselrolle sehen, »eine Alternative zu entwickeln gegen eine neue Politik der Stärke, die keine Perspektiven hat – außer der nuklearen Apokalypse eines Dritten Weltkriegs«.
Einige Urteile sind streckenweise etwas holzschnittartig und pauschal formuliert, wenn es etwa zur Rolle der Partei Bündnis 90/Die Grünen heißt, daß die Partei »seit Joschka Fischers Ja zum Angriffskrieg auf Jugoslawien ins Olivgrüne mutierte und seitdem außenpolitisch stramm auf Seiten des US-Imperiums marschiert«. Es sei daran erinnert, daß es auf einem von G. Seyfried gezeichneten Wahlplakat für ein Direktmandat Ströbeles einst hieß: »Ströbele wählen heißt Fischer quälen!«
Dies tut dem Informationsgehalt der in Eile geschriebenen Streitschrift, zugleich medienpolitische Abhandlung samt konkret-politischem Handlungsvorschlag, aber kaum Abbruch. Schonungslos wird am Beispiel der Medienberichterstattung die Doppelmoral des Westens offengelegt, wenn es abschließend heißt: »Wir sind nicht die Guten, die die Stabilität der Weltordnung garantieren, wir sind die Schlechten, die die Weltunordnung garantieren, wir sind die Schlechten, die die Weltunordnung vorantreiben. Wir sind die Häßlichen, weil wir dabei vor Gewalt und Krieg nicht zurückschrecken, und wir sind die Verräter, wenn wir auf unseren Fahnen die Werte des Humanismus schwenken, doch unsere Panzer, Drohnen und Raketen allein der Agenda der Macht und des Profits folgen.«
Mathias Bröckers/Paul Schreyer: »Wir sind die Guten. Ansichten eines Putinverstehers oder wie uns die Medien manipulieren«, Westend Verlag, 208 Seiten, 16,99 €.
Christoph Ludszuweit, 1954 in Nienburg/Weser geboren, 79er Instandbesetzer, Mitglied des früheren Stechapfel-Tonverlages, von 1983 bis 1988 und 1994 bis 1999 Lektor an der University of Nigeria, Nsukka und an der University of Namibia, Windhoek, lebt seit 2000 wieder in Berlin, wo er als DaZ-Lehrer, Flüchtlingsberater und freier Journalist arbeitet.