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Titel2114

Grauen des Geistverlassenen  (Peter Arlt)

Als das deutsche Militär die Kathedrale von Reims beschoß, wurde es auf dem USA-Plakat »Destroy this mad brute« als Affe mit Stahlhelm und blutverschmierter Keule, auf der das deutsche Wort »Kultur« stand, dämonisiert. Romain Rolland fragte die Deutschen: »Seid Ihr die Enkel Goethes oder Attilas?«, und Henri Bergson rief zum »Kampf der Zivilisation gegen die Barbarei« auf. Im Gegenzug zeigte eine deutsche Karikatur, wie sich französische Soldaten hinter den Bildern des Louvre verschanzten und führte das deutsche Plakat »Wir Barbaren!« belehrend auf, daß in Deutschland für Schulwesen, Bücherproduktion oder Alphabetisierung Geld ausgegeben wird und wer als Militarist von 1700 bis 1914 mehr Kriege führte: England, Frankreich oder Preußen? Dieser Krieg der Propaganda war auch ein Krieg der Bilder, ein Medienkrieg, ausgefochten besonders auf Plakaten, deren Originale eine Ausstellung in Arnstadt zeigt. Denn wie viele andere Sammlungen dokumentierte auch das Schloßmuseum den Krieg mit Plakaten für Kriegsanleihen oder Buntmetallsammlung, mit Bekanntmachungen, Künstlerflugblättern, Nagelschilden, Lebensmittelkarten und Tagebüchern. Unter dem Titel »Das Grauen hinter schönen Bildern«, weniger schön als verlogen, zeigt Arnstadt zum Beispiel ein Plakat für eine Rote-Kreuz-Sammlung, das den Eindruck erweckt, als würde der verletzte Soldat mit einem persönlichen Pfleger aus dem Kriegsschauplatz herausgeführt. In einer nationalistischen Lithographie läßt Max Liebermann Hercules seinen Speer in den russischen Bären stoßen.

Von den größeren der vielen Ausstellungen zum Ersten Weltkrieg – auf die Aschaffenburger aus der Sammlung expressiver Kunst von Gerhard Schneider sei hingewiesen – thematisiert die Klassik Stiftung im Neuen Museum Weimar, den »Krieg der Geister«. 450 Exponate zeigen Weimar als Symbolort deutscher Kultur vor und nach 1914, als Wallfahrtsort der deutschen Nation, einbezogen als Sinnbild deutscher Sprache und Einheit die Wartburg, die zu Sachsen-Weimar-Eisenach gehörte. Weimar wurde, nicht zuletzt durch fälschliche Umdeutungen Goethes und Elisabeth Förster-Nietzsches und durch die größenwahnsinnige Würdigung der »weltgeschichtlichen Bedeutung des deutschen Geistes« von Rudolf Eucken 1914, ein Hort für den Krieg. Danach stieg es während der ersten deutschen Republik als Ort des Neuanfanges in Politik und Kunst auf, wie die stilpluralistischen Bilder der Weimarer Kunstschule und später des Bauhauses mit den eindrucksvollen Bildern von Albin Egger-Lienz »1915«, 1915, und Gert H. Wollheim »Im Schützengraben«, 1918, vor Augen führen. Im Widerstreit dagegen präfaschistische Umtriebe mit glorifizierenden Kriegsdenkmälern, von denen der Entwurf des monumentalen Reichsehrenmals glücklicherweise nicht realisiert wurde.

1914 wendet sich der Geist der Herrschenden in der Weimarischen Zeitung auffordernd »An das deutsche Volk!« (Wilhelm) und »An die deutschen Frauen!« (Auguste Viktoria).

Da feierte Harry Graf Kessler den Krieg als »größte Erfahrung im Leben«, während er seine pazifistische Gesinnung erst gegen Ende des Krieges erwarb. Eine Grunderfahrung gegensätzlicher Bewertung, von vielen erlebt, wie vom Komponisten Max Reger, der 1914 die Partitur »Vaterländische Ouvertüre« schrieb, doch dann, zur Besinnung gebracht, ein unvollendet gebliebenes Requiem, mit dem er sich von der Kriegsbegeisterung abwandte. Zudem die ambivalenten Bilder von Walther Klemm oder Max Thalmann (»Parade« und »Hunger«, beides 1917). Ebenso in Arnstadt bei einem Kriegsanleihen-Plakat Karl Sigrists, darauf eine mit Zweig im Schnabel fliegenden Taube des Friedens, knapp 30 Jahre vor Picasso, die von einem Adler darüber entweder geschützt oder bedroht wird.

Die Weimarer Protagonisten traten ihren vaterländischen Dienst an der intellektuellen Heimatfront an. Aufgeklärte Geister hätten von Weimar aus dem nationalen Größenwahn mit Verweis auf Johann Gottfried Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit entgegentreten können, in denen er zeigt, daß das Menschengeschlecht »nicht nur durch ihre eigene, sondern durch die gemeinschaftliche Vernunft ihres ganzen Brudergeschlechts (glücklich)« wird.

Damals hatte kein Weimarer versucht, mit der Verehrung des Engländers William Shakespeare am Orte oder mit der französischen Malerei und Plastik in den Weimarer Sammlungen dem nationalistischen Haß auf beide Völker Einhalt zu gebieten. Statt dessen wurde in Jena das patriotische (!) Bild »Auszug der Jenaer Studenten« von Ferdinand Hodler verdeckt, weil der Schweizer Maler den »Genfer Protest« gegen die deutsche Beschießung der Kathedrale von Reims unterzeichnete. Und Fritz Mackensen distanzierte sich von Auguste Rodins Plastik »Eva«, 1881, welche er selbst 1912 für die Weimarer Kunsthochschule erworben hatte, und verlangte, sie zu entfernen. In der aktuellen Ausstellung bildet sie mit Rodins Männerfigur »Das eherne Zeitalter«, 1875/76, den Höhepunkt.

Aus den Archiven fehlen die Bilanz der Toten und die Bilanz der Gewinne der Rüstungsindustrie. Zwar wird auf die revolutionäre Folge eingegangen, aber in den »Krieg der Geister« jenes Aufbegehren von Karl Liebknecht ebensowenig einbezogen wie die Ablehnung weiterer Kriegskredite durch 43 der 110 SPD-Reichstagsabgeordneten, die aus der SPD ausgeschlossen wurden und mit dem Spartakusbund die USPD bildeten. Dagegen präsentiert Arnstadt diese kürzlich entdeckten, zur Revolution 1919 auf die Tapete geschriebenen Verse: »Der Krieg ist für die Reichen / der Mittelstand muß weichen / und die Armen liefern die Leichen.«

Dem Gedicht Alfred Kerrs »Die Wende hat begonnen« und dem Aufruf Richard Dehmels »Einzige Rettung« (Vorwärts, 22. Oktober 1918), die geistverlassen den Einsatz aller Opfermutigen verlangten, sollte man, da dazu die Enkel Goethes in Weimar nicht auf den Plan traten, mit Käthe Kollwitz begegnen. Sie forderte im Vorwärts vom 30. Oktober 1918: »Es ist genug gestorben! Keiner darf mehr fallen! Ich berufe mich gegen Richard Dehmel auf einen Größeren, welcher sagte: ›Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden!‹« Der Größere war Goethe. Zu seinem Satz aus dem Lehrbrief schuf sie eine leider nicht gezeigte Grafik, auf dem eine Alte ihre Arme und Hände beherrschend über drei Jungen spreitet. Es war ihr Testament, das ihre Skulpturengruppe »Die Trauernden Eltern« fortführte, die sie zum Tod ihres Sohnes Peter 1914 in Flandern schuf und von ihr zur Trauer für alle deutschen und ausländischen Gefallenen gedacht war. Deren Nachbildung hat eben die Deutsche Kriegsgräberfürsorge in der russischen Stadt Rschew aufstellen lassen, wo Kollwitz‘ Enkel Peter 1942 ums Leben kam. Dort stehen die Skulpturen in einem Friedenspark an den Gräbern der deutschen und sowjetischen Gefallenen des Zweiten Weltkrieges als eine eindringliche Mahnung gegen Krieg, die einen Bogen zwischen den beiden Weltkriegen spannt und Ost und West verbindet.

»Krieg der Geister«, Weimar, Neues Museum, bis 9. November, mittwochs bis montags 10 bis 18 Uhr; »Das Grauen hinter schönen Bildern«, Arnstadt, Schloßmuseum, bis 26. Oktober, dienstags bis sonntags 9.30 bis 16.30 Uhr