»Aus den Träumen eines Küchenmädchens« lautet der Titel unseres Films, der eine ungewöhnliche Entstehungsgeschichte hat. Er entstand in 13 Jahren. Nebenbei. Manchmal. Zwischendurch. Über die 2012 verstorbene Schauspielerin Käthe Reichel gibt es schon Filme und Bücher. Unser Film mit dem Untertitel: »Annäherung an Käthe Reichel« hat eine Länge von 200 Minuten. Wir, das sind die Schauspielerin Petra Kelling, der Regisseur Richard Engel und die Dramaturgin Christine Boyde, waren uns einig, daß in der üblichen Art, sagen wir in zehn Dreh- und fünf Schnitttagen, von Käthe Reichel nur vorgeformte Geschichten und Meinungen festgehalten werden könnten.
Wir wollten Käthe Reichel begleiten, ohne ein bestimmtes Zeitbudget. Also mieteten wir Filmtechnik und die dazugehörige Mannschaft an. Das war kostspielig, und schnell waren unsere Ersparnisse verbraucht, ohne daß wir ausreichend Material »im Kasten« hatten. Wir wollten aber unbedingt weiterdrehen, denn Käthe Reichel hatte schon begonnen, uns nicht mehr zu beachten.
Zufällig kam uns die technische Entwicklung zu Hilfe. Wir kauften eine dieser kleinen, japanischen, digitalen, semiprofessionellen Kameras und lernten, sie zu bedienen. Anfangs mit großen Verlusten, natürlich. Wir machten ab diesem Moment keinen »richtigen« Film mehr, sondern einen »Privatfilm«, ohne einen kommerziellen Produzenten. Nachdem wir Petra auch vom Mikro-Halten entbunden hatten, nahm Käthe die Dreherei nicht mehr wahr. Die Männer ihrer Freundinnen waren sowieso nicht Bestandteil des »Inneren Kreises«, der war mit einem Projekt beschäftigt: 100 Häuser für Ai-Tu. Ich durfte begleiten, immerhin. Käthe wollte den Bau von Häusern für ein vietnamesisches Dorf ermöglichen. Dafür sammelte sie Spenden, und als Gegenleistung spielte sie ein Stück von Brecht, »Die heilige Johanna der Schlachthöfe«. Alle Rollen allein.
Da wir einen »Privatfilm« drehten, waren wir nicht mehr an einen zeitlichen Rahmen gebunden. Der Zeitgeist konnte in unser Material eindringen, ohne sich an einen Drehplan zu halten. Scheinbar waren wir Teil und Nutznießer einer globalen digitalen Revolution: der Ausbreitung des Internets mit unendlichen Möglichkeiten demokratischer Mitwirkung und Kommunikation. Aber dieser unendlichen Möglichkeiten hatten sich längst die Geheimdienste bemächtigt, die damit die Deutungshoheit über alle Lebensbereiche erlangten: Wer darf leben? Wer darf Krieg führen? Wer wird geschützt? Daß die totale Überwachung in den globalen Bürgerkrieg führt, haben der »Arabische Frühling«, der »Maidan« und der »National-Sozialistische Untergrund« schon mal vorgeprobt.
Käthe Reichel hat die »Schöne neue Welt« nach dem »Epochebruch« 1989 schon vorausgesehen und in ihren großen politischen Reden und Büchern öffentlich benannt als ein »Demokratisches Auschwitz in Freiheit ohne Stacheldraht« für die Mehrheit der Erdbevölkerung.
Nicht nur für das Globale, auch für den Schutz des »Privaten« hat Käthe Reichel gekämpft bis hin zum Recht auf persönliche Tabus und Geheimnisse. Insofern war Käthe Reichel als leidenschaftliche Atheistin religiös. Ohne einen heiligen Bereich, ohne Respekt keine menschliche Gesellschaft. Mucksmäuschenstill hatte es bei ihren »Johanna«-Vorstellungen zu sein. Und Käthe führt uns auch vor, wie sie durch mehrfaches Abschreiben eines dichterischen Textes ihre »Unschuld« vor dem Text bewahrt.
»Glück ist Hilfe« – diese Brecht-Worte waren ihr Lebensmotto. Wir erleben schmerzlich, wie Käthe Reichel altersbedingt die Fähigkeit verlor, selbstbestimmt zu leben. Am Ende brauchte sie selber Hilfe.
Am 26. Oktober um 17 Uhr ist die Premiere des Films »Aus den Träumen eines Küchenmädchens« im Berliner Kino »Babylon«, Rosa-Luxemburg-Straße 30.