Gerhard Engel hatte zuletzt die Biographie des Wortführers der Bremer Linksradikalen vorgelegt (»Johann Knief – ein unvollendetes Leben«, 2011). Nun folgte von ihm die Lebensgeschichte eines Schriftstellers, dessen Wirken in wichtigen Jahren sich im Umkreis der Bremer Linksradikalen vollzog: Rudolf Franz (1882–1956).
In Köln geboren, studierte Franz nach dem Schulabschluß an mehreren Universitäten Germanistik. In Berlin kam er mit dem Theaterkritiker Alfred Kerr in Kontakt. Ihn beeindruckten und beeinflußten der sozialdemokratische Soziologe Robert Michels, der Parteijournalist Konrad Haenisch, vor allem aber die Persönlichkeit Franz Mehrings. Ihn gewann er später zum Freund, ebenso den Bremer Knief, dazu Wilhelm Pieck und Hermann Duncker. Früh zur Sozialdemokratie gestoßen, versuchte Franz, sich als Parteijournalist zu etablieren. Er verfaßte Beiträge für sozialdemokratische Zeitungen, darunter den Vorwärts, aber auch für bürgerliche Blätter. 1907 wurde er Lehrer an der zentralen Parteischule der SPD, im Folgejahr wechselte er nach Bremen, wo er für die von dem Reichstagsabgeordneten Alfred Henke geleitete Bremer Bürgerzeitung (trotz ihres Namens sozialdemokratisch) zu schreiben begann. In der Hansestadt dominierten in der Partei die Linken, die sich selber als Linksradikale verstanden, weil sie am revolutionären Charakter der Sozialdemokratie festhielten und den Revisionismus und Opportunismus bekämpften. Am 1. Juli 1914 verpflichtete der Vorwärts Rudolf Franz in Berlin. 1917 trat er zur USPD über, deren Verschmelzung mit der KPD 1920 er mittrug. In Leipzig schrieb er für die kommunistische Sächsische Arbeiter-Zeitung, geriet aber mit der Bezirksleitung in Konflikt, wodurch seine Mitarbeit an der Zeitung beendet wurde, sogar seine journalistische Tätigkeit überhaupt und seine Parteimitgliedschaft (Ausschluß 1926). Hier treten die Schwierigkeiten zutage – der Intellektuellen mit der Arbeiterbewegung, der Arbeiterbewegung mit den Intellektuellen –, die Clara Zetkin in ihrem Vortrag »Die Intellektuellenfrage« (1924) einleuchtend beschrieb. Schließlich beschäftigte ihn die Leipziger Stadtverwaltung, bis er 1933 entlassen wurde. Bis 1945 schlug Franz sich als Korrektor durch. Wahrscheinlich trat er nach dem Krieg wieder der KPD bei. Jedenfalls wurde er 1946 Mitglied der SED. Allerdings verweigerte sich ihm die neu entstehende sozialistische Presse, so daß er sich in Leipzig dem Amt für Kunst und Kunstpflege zur Verfügung stellte und seinen Beitrag zum Wiederaufbau des Museumswesens der Stadt leistete.
Gerhard Engel charakterisiert Franz als einen »intellektuellen Revolutionär, der mit der Feder, mit den Mitteln der Bildung und der Kultur focht« und in der Arbeiterpresse »die mächtigste Waffe der Partei« sah. Rudolf Franz verwandte seine Kraft besonders auf das Feuilleton, das er nicht zuerst dem Unterhaltungszweck unterordnete, sondern »mit weltanschaulich-kämpferischem Format« ausgestattet wissen wollte. Franz wollte dem Proletariat die Kunst und vor allem die Bühne erschließen; sein Buch »Theater und Volk«, 1912, gilt als letzte wesentliche Stellungnahme zu ästhetischen Fragen aus der deutschen Vorkriegssozialdemokratie. Seine zustimmenden Äußerungen zu Andersen-Nexö, aber auch zu Ibsen, dem er zugleich kritisch begegnete, zeigen seinen klaren Blick für literarische Werte. Aus seiner eigenen dichterischen Produktion heben sich revolutionäre Lyrik und Satire heraus (Proben sind dem Buch beigegeben). Sein satirisches Credo ähnelt dem seines Wiener Zeitgenossen Karl Kraus, wenn Franz schrieb: »Konsequent und löblich handelt nur der Satiriker, der nicht nur herunterreißen, sondern niederreißen will; der eine Sache bloßstellt, um sie zu vernichten, weil er sie für schlecht und schädlich hält.« Die Literatur- und Sprachwissenschaft seiner Ära unterzog er schärfster Kritik, sie sei bloß noch ein »Anhängewagen der hohenzollernschen Staatskarosse«. Als ihr Hauptdefizit sah er ihre Weigerung, die historisch-materialistische Methode zu integrieren.
Wenn dem immer noch nicht untergegangenen Affekt gegen die Arbeiterbewegung in Deutschland die Bemühung entspricht, nicht nur ihre historischen Erfolge in der Praxis zu bestreiten, sondern – falls möglich – ihr reichhaltiges Schrifttum dem Vergessen zu überliefern, so wirkt dem eine Wissenschaft entgegen, die sich energisch der Geschichte der Arbeiterbewegung widmet, ihrer Praxis, ihren Theorien, ihren Protagonisten. Gerhard Engel leistet hierzu mit seinem Buch wie mit früheren Forschungen Vorbildliches.
Gerhard Engel: »Dr. Rudolf Franz (1882–1956). Zwischen allen Stühlen – ein Leben in der Arbeiterbewegung«, edition bodoni, 206 Seiten, 18 €