Die Festivitäten und Jubelfeiern zum silbernen Jubiläum der deutschen Einheit liegen hinter uns. Es war ein rauschendes Fest in Frankfurt/Main und auf der Fan-Meile in Berlin. Namhaften Persönlichkeiten, Vorkämpfern für die Wiederherstellung eines einheitlichen deutschen Staates, Bürgerechtlern und rechtsamen Bürgerinnen und Bürgern, die die Mauer und das SED-Regime zum Einsturz brachten, wurde Dank gesagt. Nur einer von ihnen ging leer aus: der ehemalige Parlamentarische Staatssekretär der de-Maizière-Übergabe-Regierung, der innerhalb von acht Wochen in vier aufreibenden Verhandlungsrunden mit dem damaligen bundesdeutschen Innenminister Wolfgang Schäuble den rund 1.000 Seiten langen »Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands« (Einigungsvertrag) aushandelte und diesen am 31. August 1990 im Kronprinzenpalais in Berlin, der Hauptstadt der Noch-DDR, unterzeichnete: der Wegbereiter Günther Krause.
Warum wurde ihm nicht die Ehre zuteil, die er sich sauer genug verdiente? Ist denn vergessen, wie rastlos und konsequent er in den Verhandlungen die Interessen des deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staates und seiner Bürgerinnen und Bürger vertrat und selbst dafür stritt, dem geeinten Land eine neue Staatshymne zu geben, wobei »die erste Strophe das Deutschlandlied und die zweite Strophe dann der DDR-Text sein sollten«, wie der ostdeutsche Verhandler wiederholt kund und zu wissen gab. Aus dieser schönen Idee wurde nichts. Der berüchtigte Neinsager Schäuble lehnte sie wie auch Brechts Kinderhymne ab. Derartige Absagen fielen ihm angeblich nicht schwer. In seinen Erinnerungen »Wie ich über die deutsche Einheit verhandelte« behauptete er gar, dass Krause »nie den Drang verspüren ließ, irgendetwas aus der alten DDR in das neue Deutschland retten zu wollen«.
Derartige Behauptungen sind eine üble Verleumdung des rechtschaffenen Verteidigers der Interessen der Beitrittsbürger, denn die Verhandlungen waren kompliziert und drohten gar, zuweilen zu scheitern. In einem Interview mit der Jungen Freiheit gestand Krause, dass »es Punkte [gab], bei denen wir so hart verhandelt haben, dass der Vertrag daran hätte scheitern können … Nehmen Sie etwa die Frage des – laut DDR-Sprache – Schwangeren-Unterbrechungsrechts, beziehungsweise des – gemäß BRD-Sprache – Abtreibungsrechts.« Man wagt es gar nicht, sich vorzustellen, welche Folgen es gehabt hätte, wenn an dieser Meinungsverschiedenheit der Einigungsvertrag nicht zustande gekommen wäre. Möglicherweise würde die DDR noch heute fortbestehen! Glücklicherweise einigte man sich dank der Elastizität Krauses auf einem Kompromiss, nach dem die DDR-Fristenregelung noch zwei Jahre fortbestehen sollte.
Krause erwies sich eben als ein durch und durch elastischer, weitsichtiger Verhandlungsführer, der sich folgerichtig auch in der Volkskammer mit Verve für die Annahme des mit Mühe und Schweiß ausgearbeiteten Einigungsvertrages einsetzte: »Mit diesem Einigungsvertrag können die Bürgerinnen und Bürger der Deutschen Demokratischen Republik erhobenen Hauptes der Bundesrepublik Deutschland beitreten.« Einwände, dass mit dem Vertrag dem untergehenden Staat einseitig das gesamte Rechtssystem der BRD übergestülpt wird, wies er wortgewaltig und mit geschliffenen Formulierungen zurück: »Die Verhandlungen mit der Bundesrepublik Deutschland sind von Anfang an im Geiste einer sich entwickelnden Partnerschaft geführt worden, und ich muss darum werben, dass es weniger darum ging, Vertragspartnerverhandlungen gegeneinander, mit einer Zielstellung des Gegeneinanders zu realisieren, sondern vielmehr darum ging, aus zwei eine Situation zu machen, um im Einssein die bessere Zukunft vorzubereiten.« (»Zur Sache. Themen parlamentarischer Beratung. Auf dem Weg zur deutschen Einheit«, Hg. Deutscher Bundestag, Band 15/90)
Aber Krause konnte auch einfach, geradezu volkstümlich argumentieren. In einer Fernsehdiskussion mit der ehemaligen Wirtschaftsministerin in der Modrow-Regierung, Christa Luft, wies er deren schwere Bedenken gegen die Währungsunion mit der überzeugenden Bemerkung zurück: »Ich freue mich schon darauf, nach dem 1. Juli mit meinen Kindern jeden Abend eine Büchse Ananas essen zu können. Die wird dann nämlich ganz billig sein.« Fortan wurde er von vielen im Noch-DDR-Volk dankbar und liebevoll »Ananas-Krause« genannt.
Dankbar war auch Bundeskanzler Helmut Kohl. Er machte ihn zum Bundesminister für besondere Angelegenheiten und später zum Bundesverkehrsminister. Was für ein Aufstieg vom Diplomingenieur im Wohnungsbaukombinat in Rostock zum Mitglied der Bundesregierung im geeinten Vaterland! Doch wo Erfolg ist, sind Neider nicht fern. Sie nutzten kleine Fehlgriffe des jungen ostdeutschen Ministers, um ihn zu Fall zu bringen. Ihm wurde vorgeworfen, rechtswidrigen Einfluss auf die Vergabe von Raststättenlizenzen in Ostdeutschland genommen und geduldet zu haben, dass sich Ehepartnerin Heidrun ihre Putzfrau zu 70 Prozent aus öffentlichen Fördermitteln bezahlen ließ. Verübelt wurde ihm auch, dass er die Kosten eines privaten Umzuges in Höhe von gerade einmal 6.390 DM aus der Bundeskasse begleichen ließ. Ob dieser Bagatellen warf ihn Kohl aus dem Kabinett. Undank ist der Welten Lohn!
Die politische Karriere war perdu. Doch der Kämpfer Krause gab nicht auf. Er stürzte sich ins Immobiliengeschäft. Leider riss auch hier seine Pechsträhne nicht ab. 2009 wurde er vom Bundesgerichtshof wegen Betrugs und Insolvenzverschleppung rechtskräftig verurteilt.
Ungeachtet des Undankes von Kohl und Schäuble sowie des erlittenen Leides lässt der tapfere Schmied der Einheit auch weiterhin nichts auf den Einigungsvertrag kommen. In dem schon erwähnten Interview für die Junge Freiheit betonte er: »Neben meinem Hochzeitstag ist der Tag der Deutschen Einheit für mich der wichtigste Tag des Jahres … Die Wiederherstellung des Vaterlandes war ein patriotischer Akt, und ich bin stolz, dass ich meinen Teil dazu leisten konnte.« Und Journalisten von Springers Bild konnten sich persönlich davon überzeugen, dass sogar der Füller, mit dem er vor über 25 Jahren den Einigungsvertrag unterschrieb, ein Montblanc Meisterstück mit Platinfeder, noch immer auf seinem Schreibtisch liegt. Stolz und wehmütig wird er auch an den gemeinsamen Besuch mit Lothar de Maizière bei Helmut Kohl in dessen Urlaubsort am Wolfgangsee zurückdenken. Auch der Altkanzler hat das Beisammensein nicht vergessen und erinnerte sich: »Bis tief in die Nacht saßen wir ... noch zusammen. Ich erinnere mich, dass sich Günther Krause ans Klavier setzte und herrliche Melodien spielte, zu denen wir nach einigen Schoppen Wein gemeinsam sangen.« Welche Töne Krause dem Piano entlockte und ob sie nach Kohls Lieblingslied »Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt« das beliebte Volkslied »Wahre Freundschaft soll nicht wanken« oder gar das Deutschlandlied sangen, ist nicht bekannt.
Schade, es wäre ein winzig kleines Detail gewesen, um das Bild des Günther Krause abzurunden. Aber lohnt es sich überhaupt, an ihn, der auf der politischen Bühne längst keine Rolle mehr spielt, zu erinnern? Vielleicht doch, es kann schließlich nützlich sein, sich hin und wieder zu erinnern, welche Lichtgestalten geholfen haben, die Große Friedliche Freiheitsrevolution voranzutreiben und den Anschluss der DDR-Bevölkerung an die BRD auszubuchstabieren.