Im Werk des 90-jährigen Gerhard Kurt Müller (GKM) erleben wir an Tiefe, Würde und Ernsthaftigkeit Zeugnisse humanistischer Kunst. Menschen mit Augensinn können seine Kunst als ein kostbares Erbe begreifen und ihn als »bildmächtigsten Künstler«, wie ihn Eckhart Gillen in seiner Laudatio rühmte. Wer von den Museen im Lande über würdige und angemessene Orte für eine Ausstellung verfügt, sollte diese Gemälde, Skulpturen und Zeichnungen unbedingt zeigen. Aber das ist immer noch Wunschdenken. Mit Ausnahmen; dazu gleich.
In Leipzig fand sich für GKM nur der knappe Raum in der GKM-Stiftung, aber kein offizieller Ort. Das Museum der bildenden Künste lässt das künstlerische Potential der Leipziger Kunstszene im Depot verschwinden, blind für die Weltkunst in der eigenen Stadt, die fortgesetzt intellektuell und politisch diskreditiert wird. Die lapidare und konstruktive Form, die alle GKM-Werke von den 60er Jahren bis heute prägt, ist einzigartig.
Mit 17 Jahren ging Gerhard Kurt Müller zur Wehrmacht, erlebte in Frankreich einen Kesselkrieg. Das Seelendrama des jungen Soldaten konnte in französischer Kriegsgefangenschaft mit der Lektüre des 1916 erschienenen Romans »Le Feu« (»Das Feuer«) von Henri Barbusse eine klare Richtung erhalten. Denn wie Barbusse den Ersten Weltkrieg in den Schützengräben schonungslos darstellt, griff tief in ihn ein und wurde prägend für seine antimilitaristischen Kriegsbilder. Nach dem Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig wurde er deren Direktor von 1964-66. Ab Mitte der sechziger Jahre gestaltete er, wie auch Sitte, Heisig, Tübke, die Geschichte als Resultat jahrhundertewährender Kämpfe. Manchmal kam dabei der Gedanke des Scheiterns. Eindrucksvolle Historienbilder vom Kampf der internationalen Arbeiterbewegung und von den Weltkriegen, mit klaren Formen. Wenige Motive genügen, um die Gemeinschaft oder den Kampf der Menschenklassen zu kennzeichnen. Beeindruckend das kompositorisch bewirkte dichte Bei- oder Gegeneinander in symmetrischer Form. Müller schuf Ereignisbilder als Sinnbilder des Bündnisses der internationalen Gemeinschaft, für die es kein fremdes Leid gibt; er würdigte die Interbrigadisten.
Lobenswert präsentiert (nur noch bis 23.10.2016) als eine Ausnahme das Angermuseum Erfurt Gerhard Kurt Müllers »Zeichnen, das Zeichen setzt! Und Maßstäbe!« (Dieter Gleisberg), über 40 Zeichnungen »La Grande Guerre« von 2002/03, dazu Skulpturen und das im eigenen Besitz befindliche Gemälde »Knabe und Trommler«, 1983/84. Das Essentielle seiner Kunst sind vor allem zupackende Bilder des Kriegs, in dem Wut vehement frei wird und Angst in Gräben treibt, wo alle Leidenschaften aufbrechen, ungestüm frei werden, die Hilfe für den anderen, die Liebe angesichts des Todes zu fliegender Eile drängt, der verheerende Granateneinschlag, die still ragenden Menschenstümpfe, die Paarung im grimmigen Kampfe. So strukturell verwandt die kleinen Bilder sind, jedes fasst ganz in sich ein einzelnes Geschehen präzise in seiner Stimmung. Dabei waren für Gerhard Kurt Müller die Shelter-Drawings von Henry Moore zwar auch vom Gehalt, doch vor allem von den »angewandten technischen Mitteln« (GKM), Feder, Ölpastell und Aquarell, anregend gewesen.
Für eine andere Ausnahme sorgt das Lindenau-Museum Altenburg, denn kurz nach Erfurt eröffnete es zur Begeisterung einer Riesenschar von Kunstfreunden die großartige Grafikschau »Mit meinen Freunden – Peter Schnürpel«. Hier setzte sich das Museumskollektiv hinweg über die Meinung der Direktorin Julia M. Nauhaus. Allerdings wurde ihr Vertrag nicht verlängert. Vom neuen Direktor, Roland Krischke, wird mehr Verständnis für »einheimische« Qualität erhofft.
Großzügig hat der Jubilar, Schnürpel wurde 75, seine Freunde in die ihm zugedachte Personalausstellung einbezogen, welche die Vitalität des Leipziger Kunstraumes bestätigt. Die Auswahl der Werke zeigt das Beste der Grafik von Michael Morgner, Gerhard Kurt Müller, Rolf Münzner, Walek Neumann, Thomas Ranft, Gil Schlesinger, Reiner Schwarz, Dietmar Vettermann und Peter Schnürpel. Dieser zeichnet keine Sport-Bilder, seine strebenden und zusammenbrechenden Läufer sind existentielle Symbole, so wie »Schreitender + Aufsteigender« von Michael Morgner und wie der »Einradfahrer« von Rolf Münzner, der rasend schnell das Rad tritt, doch kein Stück voran kommt, ein Sisyphos.
Das Spektrum künstlerischer Ausdifferenzierung strahlt in einer Meisterschaft auf, die im handwerklichen Können begründet ist und mit Professionalität fasziniert und überzeugt.
Als Maxime seines Wirkens, das auch für die anderen Freunde gelten könnte, zitierte Gerhard Kurt Müller bei seinem Dankesgruß aus Goethes »Maximen und Reflexionen«: »Den Stoff sieht jedermann vor sich; den Gehalt findet nur der, der etwas dazu zu tun hat, und die Form ist ein Geheimnis den meisten«.
»Gerhard Kurt Müller. Exposition. Malerei, Skulptur, Zeichnung«, Gerhard-Kurt-Müller-Stiftung, Leipzig, Berliner Straße 69, 1. Etage (Straßenbahnlinie 9, Haltestelle Apelstraße), Dauerausstellung, Mi 15-18 Uhr (und nach telef. Vereinbarung 0341-6015149). »Mit meinen Freunden – Peter Schnürpel«, Lindenau-Museum Altenburg, bis 20. November, Di-Fr 12-18 Uhr; Sa, So, feiertags 10-18 Uhr; Katalog 15 €