Im Mai diesen Jahres legte die Ex-Juso-Vorsitzende und gegenwärtige Ministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles, den Gesetzentwurf zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) vor, großspurig »Gesetz zur Bekämpfung von Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen« genannt, welches es nach Intervention der Arbeitgeber, des CSU-Vorsitzenden Seehofer und der Kanzlerin tatsächlich nicht ist. Im September erfolgte die erste Lesung im Bundestag, im November sollen die Parlamentarier das Gesetz verabschieden. Damit folgt Nahles einer Vereinbarung im Koalitionsvertrag, in der es eigentlich um eine Verbesserung der Bedingungen für Leiharbeiter gehen sollte, die ihre eigene missliche Lage oft als »moderne Sklaverei« beschreiben. Es ging eigentlich um Re-Regulierung der Deregulierung und Schaffung eines großen Niedriglohn-Sektors im Zuge der Schröderschen Agenda-Politik. Im Übrigen ist der Begriff »Leiharbeit« beschönigend, denn tatsächlich werden keine Arbeitskräfte »verliehen«, sondern vermietet: Mietarbeiter, wenngleich sachlich korrekt, wäre wohl inhaltlich zu entlarvend, wie Michael Kittner in der Einleitung zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz in der »Arbeits- und Sozialordnung«, 40. Auflage, schreibt. Fast eine Million Leiharbeiter gibt es in Deutschland inzwischen, hauptsächlich in den großen Industriebetrieben der Metall- und Elektroindustrie zwecks Senkung der Lohnkosten um rund 40 Prozent und Verschärfung der Konkurrenz. Die Zeitarbeitsbranche, so schreibt die Bundesagentur für Arbeit, »ist von hoher Dynamik geprägt. Im zweiten Halbjahr 2015 wurden 691.000 Beschäftigungsverhältnisse neu abgeschlossen und 717.000 beendet. Mehr als die Hälfte der Leiharbeitsverhältnisse endet nach weniger als drei Monaten. Die Bruttoarbeitsentgelte in der Zeitarbeit liegen deutlich unter den im Durchschnitt über alle Branchen erzielten Entgelten.« (Arbeitsmarktberichterstattung, Juli 2016)
Andrea Nahles lobt ihr Gesetz als »Tarifpolitik vom Feinsten«, der DGB und die IG Metall bewerten den Gesetzentwurf insgesamt positiv. Bei der Leiharbeit sieht der Vorsitzende der IG Metall, Jörg Hofmann, die Tarifvertragsparteien gestärkt. »Die bisher erreichten tariflichen Regelungen können weitergeführt und auf Grundlage des Gesetzes noch verbessert werden.« Damit ist der wunde Punkt angesprochen. Im § 9 Absatz 2 des AÜG wird der Grundsatz der Lohngleichheit festgeschrieben: »Unwirksam sind Vereinbarungen, die für den Leiharbeitnehmer schlechtere als die für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts vorsehen«. Die Umgehungsmöglichkeit für diesen Equal-pay-Grundsatz wird gleich mitgeliefert: »Ein Tarifvertrag kann abweichende Regelungen zulassen.« Zunächst durch Tarifverträge der Christlichen Gewerkschaft für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) um ihren Lohn geprellt, schloss bald auch die DGB-Tarifgemeinschaft nur leicht bessere Tarifverträge ab, in der Metallindustrie inzwischen mit Branchenzuschlägen. Im Jahr 2010 hat das Bundesarbeitsgericht der CGZP die Tariffähigkeit aberkannt. Wären zu diesem Zeitpunkt die Tarifverträge der DGB-Tarifgemeinschaft gekündigt worden, gälte der gesetzliche Grundsatz der Lohngleichheit, der so nur ein Papiertiger ist. Ganz praktische Auswirkungen können aktuell bei Volkswagen beobachtet werden: Nach 36 Monaten Beschäftigung als Leiharbeiter werden für einige von ihnen die Leiharbeitsverträge um weitere 24 Monate verlängert. Die Bilanz wird am Ende lauten: Fünf Jahre lang arbeiten Leiharbeiter bei gleicher Tätigkeit mit geringerem Entgelt, weniger Rechten und unsicherer Beschäftigungsaussicht; Stammarbeitsplätze werden mit austauschbaren Mietarbeitern vernichtet.
Mag Wompel von LabourNet Germany schreibt dazu: »Kann Tarif denn Sünde sein? Viele von uns glauben, Tarifverträge dienen der Besserstellung der Lohnabhängigen gegenüber der gesetzlichen Regelung – ob in Sachen Gehalt, Arbeitszeit oder sonstiger Arbeitsbedingungen. Das sollten sie unbedingt und immer noch. Doch bereits seit Ende der 1970er und verschärft der 1980er Jahre fingen einige Belegschaften an, beim Wort »Tarifverhandlungen« die Geldbörse festzuhalten, denn immer üblicher wurden Absenkungen erkämpfter Standards durch gesetzliche Tarifvorbehalte, Differenzierungsklauseln und Standortvereinbarungen. Die Tarifverträge in der Leiharbeit sind dennoch besonders pikant, denn sie verhindern das auf europäischer wie nationaler Ebene festgeschriebene Equal-pay-Gebot – ein echter Schmuddeltarif eben.«