erstellt mit easyCMS
Titel2116

Wie bitte?  (Ralph Dobrawa)

Wenn junge Menschen während ihrer Ausbildung Ehrgeiz und Enthusiasmus zeigen, so ist das grundsätzlich nicht zu beanstanden. Vielfach zwingen sie allerdings die äußeren Bedingungen dazu, besser sein zu wollen als ein Mitstreiter, der immer auch als Mitbewerber für eine künftige Anstellung angesehen wird. Das hat leider dazu geführt, dass gegenseitige Unterstützung und Solidarität während der Ausbildungszeit – besonders an Hochschulen und Universitäten –seltener geworden sind. Ein bedauerlicher Befund, vor allem aus Sicht von uns Älteren, die wir doch eine Zeit erlebten, in der gegenseitige Unterstützung und Hilfe etwas völlig Selbstverständliches waren.

 

Das heutige »Ellenbogenverhalten« gebiert leider auch Auswüchse, die unbegreiflich sind. Mit einem solchen Fall hatte sich unlängst der Anwaltsgerichtshof des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen zu beschäftigen. Eine junge Juristin hatte die Zulassung zur Anwaltschaft begehrt, die ihr aber wegen vorangegangenem unwürdigen Verhalten versagt wurde. Was war geschehen? Die junge Frau war nach Abschluss ihrer universitären Ausbildung als Referendarin einer Behörde der Staatsanwaltschaft zur Ausbildung zugewiesen worden. Die in dieser Zeit von ihr erbrachten Leistungen waren jeweils durch den entsprechenden Ausbilder – einen Staatsanwalt – zu beurteilen. Eine solche Beurteilung erhielt sie auch, war jedoch mit ihr nicht einverstanden. Der Ausbilder sah allerdings keine Veranlassung zur Abänderung. Offensichtlich sah sich die Referendarin leistungsmäßig in einem anderen Licht. Nunmehr schlug das Ganze um und geriet zu einem mehr als fragwürdigen Verhalten. Sie schrieb dem Staatsanwalt: »[...] Alles andere hätte mich sehr gewundert, denn Menschen, die miteinander Kaffee trinken und gemeinsam zum Mittag essen, pissen sich nicht gegenseitig ans Bein, nicht wahr? [...] Sie sind ein provinzieller Staatsanwalt, der nie aus dem Kaff rausgekommen ist, in dem er versauert. Ihr Weltbild entspricht dem des typischen deutschen Staatsbürgers von 1940. Mit Ihrem Leben und Ihrer Person sind sie so zufrieden, wie das Loch im Plumpsklo. Als Sie mich vor sich hatten, sind sie vor Neid fast erblasst. Ich konnte Ihren Hass geradezu sinnlich wahrnehmen. Am liebsten hätten Sie mich vergast, aber das ist ja heute out. Also taten Sie das Einzige, wozu Ihnen Ihre begrenzte Position die Möglichkeit bietet: Sie stellten mir ein wirres Zeugnis aus, das an jeder Realität vorbeigeht. Nun, ich beglückwünsche Sie zu diesem strahlenden Sieg, genießen Sie ihn aufrichtig, kosten Sie ihn bloß richtig aus – denn während es für mich nur ein unerhebliches Ärgernis ist, (welches mich, zugegeben ziemlich in meinem Rechtsempfinden berührt), ist es für Sie der Höhepunkt Ihres Lebens. Etwas Schöneres wird Ihnen während ihrer armseligen Existenz nie erfahren [sic!]. [...]«

 

Angesichts so ungeheuerlicher Behauptungen und Beleidigungen stellte der betreffende Staatsanwalt erwartungsgemäß Strafantrag. Die Juristin war jedoch weiterhin von der Richtigkeit ihres Tuns überzeugt und wandte sich an die zuständige Oberstaatsanwältin. Auch dieser teilte sie abschließend per Mail unter anderem mit: »Ich bestaune die Praxis der Staatsanwaltschaft ..., Rechtsbrüche zu verfolgen, ohne sich selber an das Recht zu halten. Sollte das eine Frage der inneren Einstellung sein, gehören Sie nicht in den Justizdienst. Sollte das intellektuell bedingt sein, so besuchen Sie doch noch einmal eine Grundstudiumsvorlesung.« Auch hier ist der Tenor deutlich davon geprägt, zu verletzen und zu beleidigen.

 

Der Außenstehende wie auch der juristisch Vorgebildete vermag nicht nachzuvollziehen, was diese junge Frau veranlasste, nach Absolvierung eines mehrjährigen juristischen Studiums sich in einer solchen Weise zu äußern. Welcher kranke Ehrgeiz muss hier eine Rolle gespielt haben, welche Auffassung von sachlicher Klärung war hier auch nur ansatzweise gegeben? Dies umso mehr, als die ihr erteilte Beurteilung offensichtlich nicht so schlecht gewesen sein kann, da sie späterhin auch die Referendarzeit zumindest so erfolgreich abschloss, dass sie Assessorin wurde und damit auch die Voraussetzungen für den Antrag auf Zulassung zur Anwaltschaft hatte.

 

Als die Dinge für sie ernst wurden, versuchte sie nunmehr ihre Schreiben als »rechtspolitische Auffassung« zu deklarieren, die nichts mit ihrer künftigen Aufgabe als Rechtsanwältin zu tun hätten. Dennoch sei ihr Verhalten falsch gewesen. Ungeachtet dessen lehnte die zuständige Anwaltskammer die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ab unter Hinweis darauf, dass bei ihr die Gefahr bestehe, »dass sie ihre Stellung als Rechtsanwalt und als Organ der Rechtspflege nicht zur ordnungsgemäßen Berufsausübung nutzen werde. Aus den unprofessionellen Äußerungen und dem respektlosen Umgang mit anderen ergebe sich die Unfähigkeit, als Teil der Rechtspflege mit anderen, gegebenenfalls übergeordneten Organen adäquat zu agieren und die Funktion der Rechtspflege sicherzustellen.« Die hiergegen gerichtete Klage wurde durch den nordrhein-westfälischen Anwaltsgerichtshof mit Urteil vom 30. Oktober vergangenen Jahres abschlägig beschieden. Er attestierte der jungen Frau, einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht würdig zu sein; sie sei für den Anwaltsberuf untragbar. Das in den Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer Nr. 2/2016 auf Seite 91 und im Anwaltsblatt Nr. 6/2015, S. 520, veröffentliche Urteil (Az.: 1 AGH 25/15) macht leider auch deutlich, dass es offenbar Defizite bei der Ausbildung junger Menschen gibt, was die gegenseitige Unterstützung und Hilfe ebenso anbetrifft wie den zwischenmenschlichen Umgang. Die noch immer anzutreffende Erscheinung der Erziehung zum »Einzelkämpfer« kann leider Fehlverhalten mit sich bringen, wie in dem vorstehenden Fall geschildert. Dies völlig unabhängig davon, dass eigentlich schon immer galt: Lehrjahre sind keine Herrenjahre.