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Titel2116

Verfolgt durch biblisches Heiligkeitsgesetz  (Hartwig Hohnsbein)

Sie haben den westdeutschen Staat als »Unrechtsstaat« erlebt.

 

Sie, das sind die Männer, die wegen ihrer Homosexualität bis 1994 nach § 175 StGB verurteilt wurden und bis heute damit leben müssen, dass die grundgesetzwidrigen Urteile immer noch nicht aufgehoben sind.

 

Zweiundzwanzig Jahre nach Streichung jenes menschenfeindlichen Paragraphen, den das Naziregime 1935 dahingehend verschärft hatte, dass damit auch Todesurteile gefällt werden konnten, sollen demnächst die mehr als 50.000 noch lebenden Opfer »rehabilitiert« werden. So versprach es jedenfalls der Bundesjustizminister Heiko Maas zur Eröffnung des 71. Deutschen Juristentages am 13. September.

 

Es ist gut, dass jene Urteile aufgehoben werden und damit der »Strafmakel« der ehemals Verurteilten beseitigt wird. Nun ist zu hoffen, dass die »Rehabilitation« auch eine ausreichende Entschädigung und Rente umfasst, und es ist wohl auch notwendig, dass der Gesetzgeber in das Grundgesetz einen Passus hineinnimmt, wodurch eine Benachteiligung aufgrund sexueller Identität ein für alle Mal ausgeschlossen bleibt, denn ein Rückfall in die Verfolgung homosexueller Menschen ist sonst jederzeit wieder möglich. In den christlichen Kirchen, die das Verbrechen der Homophobie in der Vergangenheit maßgeblich betrieben, stehen nämlich einflussreiche Teile, die Fundamentalisten, immer noch bereit, die Diskriminierung und Verfolgung homosexueller Menschen auch in der Zukunft fortzuführen.

 

Die Verfolgung homosexueller Menschen begann im »christlichen Abendland« am Ende des vierten Jahrhunderts. Damals, im Jahre 380, hob der römische Kaiser Theodosius die bis dahin verbürgte Religionsfreiheit auf und erhob das Christentum zur alleinberechtigten Staatskirche. Dadurch wurden nicht nur alle anderen Religionen verfolgt, sondern auch die gesamte griechische Philosophie und Dichtkunst geächtet, die olympischen Spiele mit ihrer Flamme als Friedenszeichen verboten, Schulen und Bibliotheken geschlossen und eine neue »Sexualethik« verordnet, die nach den Regeln der neuen Staatsreligion ausgerichtet war. Zur Beurteilung der Homosexualität, damals mit anderen »Widernatürlichkeiten« als »Sodomie« bezeichnet, wurden besonders die Bibelstellen aus dem Römerbrief des Apostels Paulus Kapitel 1, Vers 26 bis 32, und aus dem 3. Buch Mose Kapitel 20, Vers 13 herangezogen. Dieser Vers, ein unumstößliches und zentrales Gebot im »Heiligkeitsgesetz Jahwes« (Kapitel 17 bis 26 Ende, jeder möge diese menschenfeindlichen Verfügungen einmal nachlesen) lautet: »Wenn jemand bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist, und sollen beide des Todes sterben, Blutschuld lastet auf ihnen!« Getreu dieser göttlichen Anordnung verfügte Theodosius, der von den Christen bald als »der Große« gepriesen wurde, als Todesstrafe für Homosexuelle den »Feuertod«. Dieser wurde in den folgenden Jahrhunderten von den Kirchen auch für Abweichler von ihrer heiligen Lehre, für »Ketzer«, für »Hexen« und sonstige unliebsame Minderheiten und »Einzeltäter« wie Michel Servet oder Giordano Bruno gern durchgeführt. Die Anzahl derer, die wegen ihrer Homosexualität im christlichen Abendland je ermordet wurden, ist unbekannt; wir wissen aber, dass ganze Volksgruppen mit dem Vorwurf, sie betrieben solche »Widergöttlichkeiten«, verfolgt und getötet worden sind, wie das zum Beispiel den Albigensern in Südfrankreich im 13. Jahrhundert widerfuhr.

 

Wir sollten aber auch vor dem »Reformationsjubiläum« 2017 wissen, dass »die biblische Verdammung der Homosexualität, die zu einer gnadenlosen Verfolgung der gleichgeschlechtlich Veranlagten führte«, so der Theologe Erhard S. Gerstenberger in: »Das 3. Buch Mose«, durch Luther nicht beendet, sondern erweitert wurde (vgl. dazu den Exkurs: Martin Luther: »Homosexuelle ›Begierde‹ als schöpfungstheologisches Kontrastverhalten« in Martin Steinhauer: »Homosexualität als Schöpfungserfahrung«, 1998; dort auch die angeführten Lutherzitate). In der Auslegung jener oben genannten Stelle aus dem Römerbrief verkündete Luther, ganz Fundamentalist, der er in seinen Bibelauslegungen immer war, dass durch die homosexuelle »Begierde«, eine »Befleckung«, die »Abgötterei« verursache und damit »Gott einen Schimpf antue«, »die allergreulichsten Plagen über Land und Leute« kommen. Luther: »Das wissen wir gut.« Solche Plagen als Folgen »homosexueller Unzucht«, das wusste auch der getreue Lutheraner Benedict Carpzov, der als Kirchenrechtler die Folter gegen »Hexen« befürwortete und nun wieder neu zu Ehren kommt (s. Ossietzky 7/2016), sind diese: »Erdbeben, Hungersnot, Pestilenz, Sarazenen (!! H. H.), Überschwemmungen und dicke gefräßige Feldmäuse« (Helmut Thielicke: »Theologische Ethik« III, 1964; vgl. auch Artikel »Verfall und Untergang« in Spiegel 16/1981). Diese göttliche Weisheit aus dem Jahre 1652 wirkte durch die Kirchen in der Gesellschaft 300 Jahre nach.

 

Ich erinnere mich, dass in den 1950er Jahren in einem lutherischen Jugendkreis die Mitglieder vor den »Sünden der Homosexualität« (und ebenso der »Onanie«) und den Folgen daraus wie Krankheiten und Naturkatastrophen gewarnt wurden. Das entsprach auch dem, was die evangelische Kirche in ihrer bis dahin umfangreichsten »Verhandlung« zu »Fragen der geschlechtlichen Sittlichkeit« Ende 1932 verbindlich festgelegt hatte. Der Absatz 5 darin steht unter der Überschrift: »Homosexuelle Vergehen sind schwere Sünde und müssen strafrechtlich verfolgt werden«. Drei Jahre später konnte das NS-Regime an diesen frommen Wunsch anknüpfen. Dazu wurde der § 175 StGB novelliert; was bisher ein Vergehen war, wurde nun als »Verbrechen« bezeichnet. Mit Hilfe dieses so verschärften Paragraphen wurden zwischen 1935 und 1945 schätzungsweise 57.000 Männer verurteilt, davon 6000 Männer zu KZ-Haft. Von diesen sind dort mindestens 3000 ermordet worden.

 

Die Kirchen sind wegen ihrer jahrtausendlangen Hetze mitschuldig am Tode dieser NS-Opfer und aller homosexuellen Opfer aus früheren Zeiten. Ein »Schuldbekenntnis« dazu wäre ebenso wie die geplante staatliche Rehabilitation der noch lebenden Opfer überfällig. Dazu müssten sie noch eine Erklärung abgeben, alle jene, die in ihren Reihen weiterhin die »Homophobie« fördern, etwa mit Hinweis auf das »Heiligkeitsgesetz« im Alten Testament, mittels eines erweiterten Disziplinarrechts aus der kirchlichen »Dienstgemeinschaft« auszuschließen. Gleichzeitig wären jene oben zitierten Bibelstellen, die so viel Unheil über die Menschheit gebracht haben, als menschenfeindlich zu ächten, was dann in neuen Bibelausgaben kenntlich zu machen wäre. Die Aufnahme eines Passus ins Grundgesetz, wodurch, wie oben schon angeregt, eine Benachteiligung auf Grund sexueller Identität ausgeschlossen wird, würde eine solche notwendige Ächtung erleichtern, ja zwingend machen.