Swanley ist eine Kleinstadt in der Grafschaft Kent, gut 20.000 Einwohner, an der Peripherie von Greater London gelegen. Die verkehrsreichen Autobahnen M 20 und M 25 sind nah und entlassen periodisch lange Autoschlangen auf die High Street. Ansonsten ist es ein ruhiger Ort, an dem es sich mit englischer Gelassenheit gut leben lässt.
Noch um die Jahrtausendwende war die Stadt eine Domäne der Labour Party. Die hatte etliche profilierte Leute im Stadtrat, unter anderem zwei Lehrer und einen hohen Beamten der Londoner Metropolitan Police. Dann kam der Absturz. Der amtierende Stadtrat setzt sich zusammen aus elf Konservativen, zwei Labour-Leuten, zwei Unabhängigen und einem UKIP-Ratsherrn. Auf der nächsten Selbstverwaltungsebene, dem District Council in Seven Oaks, ist es noch dramatischer: 48 Konservative, zwei Liberaldemokraten, zwei UKIP, ein Unabhängiger und ein (!) Labour. Im Unterhaus wird das Gebiet von Verteidigungsminister Sir Michael Fallon vertreten.
Doch die konservative Idylle trügt, so sehr sie sich lokal etabliert haben mag. England ist im Umbruch. Camerons Brexit-Referendum war der erste kapitale Fehler der Tories. Mit ihrem Neuwahl-Coup setzte Theresa May noch einen drauf, verlor die Mehrheit ihrer Partei und regiert nun, zu hohem Preis, mit Hilfe der nordirischen DUP. Verbohrt klammert sie sich an ihr Amt als Premierministerin. Doch schon werden im Hintergrund die Fäden gezogen, die über kurz oder lang zu ihrer Ablösung führen könnten. Vor allem einer bringt sich als Nachfolger in Stellung: der exzentrische, clowneske Außenminister Boris Johnson. Dass unter diesen Vorzeichen die ohnehin komplizierten Brexit-Verhandlungen stocken, ist nicht erstaunlich. Ein Austritt ohne Abkommen wird zu einer realistischen Vision.
Das ist indessen nur die eine Seite der politischen Situation. Unter dem zunächst belächelten und bekrittelten Jeremy Corbyn hat sich die Labour Party in erstaunlicher Geschwindigkeit wieder erholt. Die Mitgliederzahlen steigen und steigen. Abgedriftete Gewerkschaften finden zur Partei zurück. Viele junge Leute bringen Begeisterung und Kampfeswillen ein. So hat Labour schon bei der Neuwahl am 8. Juni landesweit erhebliche Zugewinne verbuchen können. Und das Wunder geht weiter: Eine Umfrage von YouGov ergab kürzlich, dass sich nur noch 39 Prozent der Befragten für die Konservativen, aber 43 Prozent für Labour aussprachen (unentschieden: 31 Prozent). Noch hielten 36 Prozent May, 33 Prozent Corbyn für den besseren Premier, doch wenig später hatte sich das Ergebnis praktisch umgekehrt.
Anfang Oktober hat der konservative Parteitag in Manchester die Schwäche und die wachsende Nervosität der Tories offenbart. Maliziös merkt Labour an, dass sich die Konservativen plötzlich Labour-Kernthemen zu eigen machen, etwa den lange vernachlässigten sozialen Wohnungsbau. Ja, die alte Labour Party ist zurück und besetzt die politischen Themen. Und sie kämpft, so ihr Wahlspruch auf dem Parteitag von Brighton, »Für die Vielen, nicht die Wenigen«. Da könnte unsere SPD etwas lernen.