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Die wandelbare Spionin  (Angelika Kettelhack)

»25 Jahre alt, 1,72 Meter groß, schlank, hübsches Gesicht, Locken, Hornbrille, Pullmanmütze« – so wurde Edith Tudor-Hart in einem Polizeibericht von 1933 beschrieben. Danach saß sie einen Monat lang im Gefängnis. Edith war die Tochter des jüdischen Buchhändlers Wilhelm Suschitzky, der einen sozialistischen Buchladen in Wien betrieb. Sie selbst hatte gerade eine Ausbildung bei einem der katholisch-progressiven Montessori-Kindergärten hinter sich. Aber was hatte sie sich denn zu Schulden kommen lassen? Sie war erwischt worden, als sie als Kurier für die Kommunistische Partei Österreichs eine Nachricht in eine Bücherei bringen wollte.

 

1925 war sie erstmals zu einem Praktikum in London gewesen und hatte dort erste politische Kontakte geknüpft. Aber 1928 hatte sie sich zunächst für ein Studium der Fotografie im Bauhaus eingeschrieben und 1931 bereits ein Foto-Essay über die Montessori-Pädagogik veröffentlicht. Aber auch mit einer kritischen Fotoreportage über den Londoner »Caledonian Market«, auf dem viele arme Leute ihr letztes Hab und Gut versetzten, hatte sie großen Erfolg. In der Arbeiter-Illustrierten-Zeitung sowie in Die Bühne erschienen einige Fotografien von ihr. Verlobt war sie schon damals mit dem britischen Medizinstudenten Alexander Tudor-Hart.

 

Nach ihrer Entlassung aus der Haft 1933 floh sie wieder nach London und legte dort den Grundstein zu einem Spionagering, der tausende britische Staatsgeheimnisse an den sowjetischen Geheimdienst KGB weitergegeben hat. Sie soll einen der wichtigsten Spione des 20. Jahrhunderts rekrutiert haben, indem sie dem berühmten britischen Doppelagenten Kim Philby einen wichtigen Kontakt vermittelte. Denn Edith war mit Lizzy Friedmann, der Ehefrau von Philby, befreundet und verschaffte diesem 1934 ein Treffen mit dem KGB-Agenten Arnold Deutsch. Inzwischen hatte sie nebenbei den britischen Arzt und Kommunisten Alexander Tudor-Hart geheiratet und lebte zeitweise in London mit ihm zusammen.

 

Jetzt kommt ein Film über diese wandelbare, unstete, exzentrische, rastlose, aber auch schillernde, grandiose, dynamische und abenteuerliebende Rebellin Edith ins Kino. »Sie war der Star der KGB-Abteilung für Auslandsspionage«, sagt der Geheimdienst-Experte Nigel West im Film »Auf Ediths Spuren«. Regisseur dieses Dokumentarfilms ist der österreichisch-amerikanische Dokumentarist Peter Stephan Jungk, 65. Er ist der Sohn des Publizisten und Zukunftsforschers Robert Jungk. Lange Zeit kannten nicht einmal die Verwandten die Geschichte der Fotografin und sowjetischen Spionin Edith, obwohl sie eine Cousine der Mutter des Filmemachers war. Vielleicht wollten sie aber auch über die geheime Arbeit einer der wichtigsten Mitarbeiterinnen des KGB nichts wissen. Für sie galt Edith immer als die berühmte Fotografin aus den 1930er Jahren, deren wunderbare Schwarz-Weiß-Fotos sie sehr zu schätzen wussten. Und der Regisseur Peter Stephan Jungk war erst 19 Jahre alt, als Edith 1973 in Brighton starb. Damals interessierte er sich noch nicht für das Doppelleben seiner kommunistischen Großtante.

 

Für seine jahrelangen Recherchen und schwierigen Erkundungen innerhalb seiner in Europa verstreuten Familie wurde Peter Stephan Jungk in diesem Sommer beim 23. Jüdischen Filmfestival Berlin & Brandenburg mit dem begehrten Preis »Beste Regie Dokumentarfilm« für »Auf Ediths Spuren« ausgezeichnet. Das filmische Porträt, das Jungk von Edith Tudor-Hart zeichnete, könne, so die Jury, »in seiner emotionalen Kraft niemanden unberührt lassen«.

 

Erst 1995 wurden die wunderbaren Fotoarbeiten der Geheimdienst-Mitarbeiterin wiederentdeckt. Von ihren 4000 Schwarz-Weiß-Negativen, die in der Bildsprache der 30er Jahre die Armut von Kindern und den Alltag von Arbeitern zeigen, wurden bis heute sehr wenige entwickelt, obwohl schon damals Paul Klee und Wassily Kandinsky sich für Ediths Bilder begeisterten.

 

Die Fotografin arbeitete immer mit einer Rolleiflex-Kamera, in die man, etwa auf Hüfthöhe, von oben hineinschaut. Auf diese Weise gelangen Edith meistens unbemerkt sehr natürlich anmutende Aufnahmen. Mit großem Vergnügen zeigt der Chronist Jungk viele dieser Fotos in seinem Film. Aber mit ebenso großem Vergnügen erzählt er auch von den vielen interessanten Beziehungen und Liebes-Abenteuern der Spionin. Akribisch zeichnet er ihren Weg nach, von der Kindheit in Wien über ihre Affäre mit dem Sowjetspion Arnold Deutsch bis zu ihrem Job als Fotografin für die sowjetische Nachrichtenagentur TASS.

 

Kinostart: Donnerstag, 9. November. Verantwortlich als Verleih: BASIS-FILM, Clara Burckner, die sich seit vielen Jahren immer für links-engagierte Filme einsetzt.