erstellt mit easyCMS
Titel2118

Die AfD im Parlament  (Christoph Butterwegge)

Die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) reiht seit rund fünf Jahren einen Wahlerfolg an den nächsten. Nach der Hessen-Wahl ist sie in allen Landesparlamenten, im Bundestag und im Europäischen Parlament vertreten. Dies bedeutet einen epochalen Bruch im deutschen Parteiensystem, zumal das außer ihr nur CDU/CSU und SPD über einen längeren Zeitraum geschafft haben. Auch der Parlamentarismus hat sich stark gewandelt, weil AfD-Fraktionen ihn als öffentliche Bühne ihrer Agitation und Propaganda missbrauchen.

 

Man kann in diesem Zusammenhang von einer rechtspopulistischen Doppelstrategie sprechen: Einerseits wird außerparlamentarisch Druck gemacht, indem die AfD zusammen mit den »Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes« (Pegida) als einer rassistischen Straßenbewegung und rechten »Wutbürgern« der »Bürgerbewegung pro Chemnitz« – wie in dieser sächsischen Stadt am 27. August geschehen – Demonstrationen unter Beteiligung von organisierten Neonazis veranstaltet; andererseits erhebt die Partei im Parlament den Anspruch, eine bürgerlich-seriöse Kraft zu sein, obwohl ihre Abgeordneten im Bundestag wie in manchen Landtagen sehr aggressiv, konfrontativ und provokativ auftreten.

 

Hinsichtlich seiner Dimensionen, Erscheinungsformen und Wirkungsebenen lassen sich vier Spielarten des Rechtspopulismus unterscheiden, die sich auch in den programmatischen Dokumenten, parlamentarischen Initiativen und Reden der AfD beziehungsweise ihrer Abgeordneten finden und zu deren (Wahl-)Erfolgen nicht unwesentlich beigetragen haben dürften:

Da ist erstens der Sozialpopulismus. Während sich die AfD als Verteidigerin des Wohlfahrtsstaates darstellt, bezieht sie Stellung gegen »Drückeberger«, »Faulenzer« und »Sozialschmarotzer«, die gar nicht »wirklich« arm seien, sondern die Gesellschaft rücksichtslos ausnutzen. Hartz-IV-Empfänger/innen klagen demnach »auf hohem Niveau«, obwohl sie das Steuergeld »hart arbeitender Bürger« verprassen. Rechtspopulisten nutzen den unterschwellig vorhandenen, oft in der politischen und medialen Öffentlichkeit geschürten Sozialneid gegenüber noch Ärmeren – in diesem Fall: den »arbeitsscheuen« Erwerbslosen, Sozialhilfeempfänger(inne)n
und Asylbewerber(inne)n –, um von den eigentlichen Verursachern der sich vertiefenden Kluft zwischen Arm und Reich abzulenken.

 

Den zweiten Typ des Rechtspopulismus kann man als Kriminalpopulismus bezeichnen. Dieser richtet sich gegen Straf(an)fällige, plädiert energisch für »mehr Härte« der Gesellschaft im Umgang mit ihnen und nimmt besonders Drogenabhängige, Bettler/innen und Sexualstraftäter ins Visier. Er mobilisiert die »anständigen Bürger« gegen den »gesellschaftlichen Abschaum« und inszeniert seine Kampagnen auf dem Rücken sozial benachteiligter Minderheiten. Häufig genug spielt die Boulevardpresse dabei eine unrühmliche Rolle als Sprachrohr einer intoleranten und illiberalen Mehrheitsgesellschaft.

 

Drittens ist es Nationalpopulismus zu nennen, wenn die kulturelle Identität und/oder der christliche Glauben als entscheidendes Merkmal hingestellt wird, das es Deutschen erlaubt, auf »die Anderen« herabzublicken, sie abzuwehren und Politik gegen sie zu machen. Hier steht der staatliche Innen-außen-Gegensatz beziehungsweise die angebliche Privilegierung von Zuwanderern gegenüber den Einheimischen oder die »kulturelle Überfremdung« im Mittelpunkt. Die zunehmende Pauperisierung breiter Bevölkerungsschichten, übrigens vor allem ethnischer Minderheiten, wird nicht etwa als Konsequenz ihrer Diskriminierung (zum Beispiel im Bildungsbereich sowie auf dem Arbeitsmarkt) und einer ungerechten Verteilung der gesellschaftlichen Ressourcen, vielmehr als Resultat der zu großen Durchlässigkeit beziehungsweise Aufhebung der Grenzen für Migrant(inn)en thematisiert und die Angst vor einer »Überflutung« oder »-fremdung« durch diese regelrecht kultiviert. Man bemüht rassistische Ressentiments gegenüber Asylsuchenden, anerkannten Flüchtlingen und »Illegalen«, das heißt illegalisierten Migrant(inn)en, während die heimischen Profiteure des sich vertiefenden Wohlstandsgefälles von Kritik weitgehend verschont bleiben.

 

Die vierte Form des Rechtspopulismus kann man Radikalpopulismus nennen, weil er mit den »Altparteien« das politische System für alle Übel der Gesellschaft verantwortlich macht. Sofern eine Rechtspartei neben den genannten Themen die »Systemfrage« in den Mittelpunkt rückt und sich vor allem die verbreitete Enttäuschung über ihre etablierten Konkurrentinnen auf dem »Wählermarkt« und die Entfremdung vieler Bürger/innen gegenüber dem bestehenden Regierungs- beziehungsweise Parteiensystem zunutze macht, also das, was fälschlicherweise »Politikverdrossenheit« und »Wahlmüdigkeit« genannt wird, erreicht die populistische Zuspitzung eine andere Qualität. Der Radikalpopulismus greift die Unzufriedenheit auf und nutzt sie für sich aus, indem er vorgibt, als einzige politische Kraft die Interessen der übergroßen Bevölkerungsmehrheit zu vertreten. Dabei ist die AfD trotz wachsender Zustimmung in Umfragen keine Volkspartei, sondern eine Rechtspartei mit einem starken völkisch-nationalistischen Flügel, deren Mandatsträger meist wirtschaftsliberal argumentieren.

 

Schließlich erfüllt die AfD auch in den Parlamenten alle Kriterien für eine rechtspopulistische Partei. Angefangen beim Sozialpopulismus über den Kriminal- und den Nationalpopulismus bis hin zum Radikalpopulismus sind alle Voraussetzungen dafür gegeben:

Erstens: Anfragen, Anträge und Reden der meisten AfD-Abgeordneten lassen das Bemühen erkennen, sich gegenüber der Öffentlichkeit als Befürworter, ja als Schutzherren des Sozialstaates zu profilieren, um finanzschwache Wählerschichten zu erschließen. Allerdings mangelt es diesen Versuchen an Glaubwürdigkeit, da sein »Um-« beziehungsweise Abbau durch neoliberale Reformen und »Sparmaßnahmen« unterschiedlicher Bundesregierungen nicht kritisiert werden, vielmehr ganz im Gegenteil kein Hehl aus der Absicht gemacht wird, dass die soziale Demontage im Falle einer Regierungsbeteiligung der AfD verschärft fortgesetzt würde.

 

Zweitens: Kriminalität wird nicht etwa als gesellschaftliches, sondern als individuelles und reines »Ausländerproblem« dargestellt, das mittels härterer Strafen, besserer Grenzsicherung und einer konsequenteren Ausweisungspraxis zu lösen sei.

 

Drittens: Das als homogene Einheit verstandene »deutsche Volk«, nicht der einzelne Mensch steht im Mittelpunkt des politischen Interesses von AfD-Abgeordneten, und fast alle Themenfelder bringen sie im Parlament mit der nationalen Frage und der »Flüchtlingskrise« als dominantem Querschnittsthema ihrer Partei in Verbindung.

 

Viertens: Mit den »Systemparteien«, die man im Grunde verachtet, verhöhnt und lächerlich zu machen sucht, wird auch das demokratische Repräsentativsystem der Bundesrepublik Deutschland bekämpft, wobei der laute Ruf nach direkt-demokratischen Entscheidungsmechanismen wie Bürgerbegehren und Volksabstimmungen nur ein demagogisches Mittel zu eben diesem Zweck ist. Es geht der AfD dabei keineswegs um mehr Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte für die Mehrheit der Bevölkerung, sondern um das Schüren rassistischer Ressentiments und einen größeren Einfluss dieser Partei auf die Gesellschaftsentwicklung. Denn die AfD-Politiker erheben insofern einen Alleinvertretungsanspruch, als sie behaupten, als einzige den »wahren Volkswillen« zu kennen und zu exekutieren.

 

Prof. Dr. Christoph Butterwegge lehrte bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Kürzlich ist sein Buch »Rechtspopulisten im Parlament. Polemik, Agitation und Propaganda der AfD« bei Westend (Frankfurt am Main, 256 Seiten, 20 €) erschienen.