Am 9. November 1938 abends brannte die Synagoge in der Prinzregentenstraße in Berlin-Wilmersdorf. Wir wohnten gegenüber in der Waghäuseler Straße 7. Kleingärten lagen zwischen dem Wohnhaus und der Synagoge mit ihrem großen, runden Kuppeldach.
Vier Jahre war ich damals, spürte die Hitze an den Fensterscheiben, hörte das Schreien von Menschen, schrie und weinte selbst, aus Angst vor dem nicht Fassbaren, mir Unbegreiflichen.
Dieser neunte November ist in meiner Erinnerung lebenslang eingebrannt. Es war die sogenannte Kristallnacht im Nazi-Jargon.
Später ein Stern in Gelb. An Menschen.
Zwei kleine Freunde aus dem nahen Park, ein Junge und ein Mädchen, mit denen ich immer gespielt hatte, während sich unsere Mütter unterhielten, sah ich dann plötzlich nicht mehr wieder ... Sie sind verreist, sagte meine Mutter nur. Ob es die Wahrheit war?
Alles verstand und begriff ich erst nach dem 8. Mai 1945.
Jahrzehnte später. Dort, wo zuvor die Synagoge gestanden hatte, waren Wohnhäuser errichtet worden. Eine gut sicht- und lesbare Gedenktafel an einem der Häuser erinnert an das Geschehen.
Die Kleingartenkolonie feiert 2019 ihr Hundertjähriges. Die Prinzregentenstraße heißt weiterhin so. Der Name des letzten Rabbiners oder eines ermordeten jüdischen Mitbürgers aus dem Bayrischen Viertel wäre angebrachter.
Eines Morgens in den neunziger Jahren klebte an meinem Auto wie an anderen in der Erich-Weinert-Straße in Prenzlauer Berg ein gelber Zettel, Aufschrift: JUD. Auf anderen JUDE und der Davidstern. Zwei Polizisten gingen achselzuckend weiter. Zwei Tage zuvor hatten sich einige Hunderttausend mit Kerzen in den Händen zum »Nie wieder!« versammelt. Sie erinnerten an die Hitlersche sogenannte Machtergreifung am 30. Januar 1933. Aber: Wer vergab sie denn, die Macht, so dass er sie »ergreifen« konnte?
Nach diesem Datum wurde offenbar, was mit Mitbürgern in der Nachbarschaft geschah. Ärztinnen und Ärzte oder Zahnärztinnen und Zahnärzte praktizierten nicht mehr. Es war ihnen verboten, da sie Juden waren. Zwischen 1933 und 1945 verlor jeder zehnte deutsche Zahnarzt seine berufliche Existenz.
1998 promovierte der Kieferorthopäde Michael Köhn, hoch anerkennenswert, über die Thematik »Zahnärzte 1933-1945, Berufsverbot – Emigration – Verfolgung«. Von den 574 verfolgten Berliner Kolleginnen und Kollegen konnten 233 emigrieren. Zwei erschütternde Schicksalswege nennt er für jene, die nicht auswandern konnten. Der überwiegende Teil, davon 99 namentlich ermittelt, wurde in den Konzentrationslagern ermordet oder setzte Anfang der vierziger Jahre seinem Leben selbst ein Ende.
Seit dem 1. Oktober 2008 mahnt deshalb im großen Saal der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) in der Georg-Wilhelm-Straße nahe dem S-Bahnhof Berlin-Halensee eine Gedenktafel an diese Kollegen. Wahrhaftiges und berührendes Erinnern.
Die KZV Berlin war bundesweit die erste, die ein solches Gedenkprojekt umgesetzt hat. Ihr Vorstandsvorsitzender Jörg-Peter Husemann bekannte sich im Namen des gesamten Vorstands sowie der Vertreterversammlung ausdrücklich zu der gesellschaftspolitischen Verantwortung, die dem Berufsstand aus der Vergangenheit erwachsen sei: »Unsere Standesgeschichtsschreibung umging dieses dunkelste Kapitel. Diesem Vergessen zu begegnen und es aufzubrechen, mache sich die Berliner Zahnärzteschaft nun endlich auch auf den Weg.« Die Namen sollten nicht in Vergessenheit geraten, ebenso wenig wie die Millionen anderer Opfer des sogenannten Dritten Reiches. Husemann: »Wir sind es den Opfern des Naziregimes schuldig, diese Verantwortung zu leben und nicht nur als leere Worthülse zu gebrauchen.«
Realität 2018 mit Blick auf den 9. November: höchst alarmierend. Der braune Virus erfasste ab 1990 in Gänze das zusammengeflickte Deutschland, den stigmatisierten Osten. Das Establishment beließ es beim Entsetztsein. Rechts konnte 2017 gar bundestagsfähig werden. Die schwindsüchtigen Koalitionäre CDU/CSU, SPD sowie Grüne und Liberale in Bund wie Ländern verorten den Feind der freiheitlich-demokratischen Grundordnung weiterhin links! Jüngster Beweis: Dessau – Kotau vor AfD und Neo-Nazis, kein Konzert der Punk-Band »Feine Sahne Fischfilet« im Bauhaus.