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Porträt eines Zeitungsalltags  (Victor Grossman)

Die New York Times (NYT), die ehrwürdigste und wohl wichtigste Zeitung in den USA, auch weltweit mit an der Spitze, wird nun von Arte und WDR fast vier Stunden lang gefeiert (am 6./7. November »Mission Wahrheit – Die New York Times und Donald Trump«, 4 Teile). Das 1851 gegründete Journal war und ist faszinierend. Es stellt nicht nur an das Hirn gewisse Ansprüche, für die gewichtige Sonntagsausgabe ist auch Muskelkraft gefragt. Die NYT bietet Vieles: von breitester Auslandsberichterstattung bis zum klügsten Kreuzworträtsel. Artikel wurden nicht selten zum Politikum, besonders darum geht es der Regisseurin Liz Garbus, die ein Jahr lang NYT-Reporter begleitete.

 

Dabei darf man ungewöhnliche Aufnahmen von New York und Washington genießen. Besonders interessant sind Einblicke in das Innenleben des Zeitungshünen mit seinen mehr als tausend Mitarbeitern.

 

In einer Episode sieht man die Schreckensszenen mit Faschisten in Charlottesville vor einem Jahr, ähnlich wie Chemnitz, doch weit schlimmer. Man darf danach die glatten Worte von Steve Bannon durchschauen, einem der Hintermänner der amerikanischen Rechten, der jetzt rechte Parteien bei der Wahl zum Europäischen Parlament unterstützen will – mit von ihm finanzierten »War Rooms« (Einsatzzentralen).

 

Solche Berichte erinnern daran, dass die NYT ein paar Mal für überraschende Enthüllungen gesorgt hat. 1971 wagte sie es, die »Pentagon Papers« zu veröffentlichen, Geheimdokumente über die kriminellen Machenschaften der USA im Vietnamkrieg, die Daniel Ellsberg als Kopien aus dem US-Verteidigungsministerium herausgeschmuggelt hatte. Im selben Jahr publizierten NYT und Washington Post FBI-Dokumente, die bewiesen, dass das amerikanische Vorbild des deutschen »Verfassungsschutzes« mit kriminellen, gar tödlichen Methoden gegen linke Organisationen vorgegangen war (und möglicherweise weiterhin vorging). Die NYT war auch eine der wenigen Zeitungen, die einen Teil von Snowdens Enthüllungen veröffentlichten. Vor einem Jahr stellte die Zeitung den sexuell übergriffigen, mächtigen Harvey Weinstein bloß, was zur weltweiten Me-Too-Kampagne führte. Die Kampagne gehört zu den fortgesetzten NYT-Angriffen gegen Donald Trump. Trump seinerseits sieht in der NYT seinen größten Feind und attackiert sie unaufhörlich, wobei er stets die Bezeichnung »die pleitereife« vor ihren Namen setzt.

 

In zäher Konkurrenz zu ihrer Rivalin Washington Post, ebenfalls eine Trump-Gegnerin und ebenso zäh gegen rote Zahlen in einer zunehmend zeitungsunfreundlicheren Welt kämpfend, schlägt die Zeitung zurück, neulich mit einem Exposé über Trumps Vergangenheit im Immobiliengeschäft. Doch in der Fernsehreportage kommt auch die Widersprüchlichkeit der NYT zum Vorschein. Was wählt sie als Hauptangriffsziel bei Trump? Die Russland-Frage! Damit schlägt sie sich auf die Seite der großbankenfreundlichen Demokraten um Hillary Clinton und treibt eine beängstigende Hass-Kampagne gegen Putin und Russland voran. Es ist gut möglich, dass Trumps Leute (und auch Familienangehörige) bei den Russen sondiert haben, auch (oder besonders?) aus kommerziellen und finanziellen Gründen. Falls das zutrifft, wären sie nicht die ersten, die im Ausland Wahlhilfe gesucht und über künftige Beziehungen verhandelt hätten.

 

Der Fernsehbeitrag lässt völlig unerwähnt, dass die NYT immer wieder Beziehungen zu CIA pflegte und beim Vorantreiben des Irakkriegs und anderen Konflikten eine führende Rolle spielte. Ihr Herz schlug auch für etliche Diktatoren in Lateinamerika.

 

Die ehemalige »Old gray lady« (»alte graue Dame« wurde die NYT genannt, ehe auch sie bunte Bilder akzeptierte) agiert widersprüchlich. Nicht selten zeigt sie sich mit den Aggressivsten, ob Demokraten oder Trump-Beratern, freundlich verbunden. Wenn sie gegen Trump, gegen Korruption oder Rassismus im Lande zu Felde zieht – ist ihre Expertise willkommen! Wenn sie USA-Kraftmeierei oder die Konfrontation mit Russland schürt: Seid auf der Hut!