Nordrhein-Westfalen ist mit 18 Millionen Einwohnern das bei weitem größte Bundesland Deutschlands. Hier leben drei Millionen mehr Menschen als derzeit auf dem Territorium aller fünf neuen Bundesländer und Ostberlins. Die bevorstehende Landtagswahl im Mai 2010 läßt daher das politische Berlin schon jetzt nervös werden. Das gilt auch für die Partei Die Linke, die es in NRW auf 8.400 Mitglieder und bei der Bundestagswahl auf 12,4 Prozent gebracht hat. Sie könnte noch zulegen und die knappe Mehrheit der bisherigen Landesregierung aus CDU und FDP in Frage stellen. Die SPD, die das Ruhrgebiet jahrzehntelang als ihren sicheren Gutsbesitz ansah, aber spätestens mit Schröders und Steinmeiers Agenda 2010 ihr Ansehen verspielt hat, kam bei der Bundestagswahl nur noch auf für sie schmähliche 23 Prozent, weniger als die Hälfte in ihren guten Zeiten.
Die NRW-Linke steht deshalb unter dauernder Schmähkritik der großen Medienkonzerne. Von Bild bis WAZ ereifern sie sich über »Altkommunisten«, »Marxisten und Sektierer«. Der Spiegel leistete sich einen verleumderischen, miserabel recherchierten Bericht über eine »Wahlkampfbegleitung« mit Ulla Jelpke, die innenpolitische Sprecherin der Linkspartei im Bundestag. Doch ob die Herrschaftsmedien mit Unterstellungen und übler Nachrede den gewünschten Erfolg haben, bleibt abzuwarten. Zuvor hatten sie versucht, die Linken totzuschweigen, was nicht gelang, die Wähler durchbrachen die Schweigemauer. Wenn jetzt mit Dreck geschleudert wird, könnte das erst recht ins Gegenteil umschlagen. Die WählerInnen und vor allem jene, die bei den jüngsten Wahlen in großer Zahl zu Hause blieben, könnten durch so viel Lärm wach werden und vielleicht mal hinschauen, was Die Linke vorschlägt, um die Sozial- und Umweltverhältnisse im Land zu verbessern.
Im Landtagswahlprogramm für 2010 hat Die Linke in NRW auf 54 Seiten ungewöhnlich präzise ausgearbeitet, wie die Landespolitik mit konsequent solidarisch-demokratischer Politik umgesteuert werden könnte: »Umverteilen« von oben nach unten, »Sozialer und ökologischer Umbau«, unentgeltliche »Bildung« und »Kultur für alle«, »Aktive Demokratie verwirklichen«, »Linke Politik von und für Frauen«, »Kein Fußbreit dem Faschismus«, »Konsequent gegen Krieg« – das ist schon eine linke Alternative zu den bestehenden Verhältnissen, eine »Agenda 2020«. Die Gesamtpartei könnte diesen Text als Vorlage für ein Parteiprogramm nehmen, das immer noch aussteht.
Irritierend ist allerdings, daß sich Gregor Gysi als Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag offenbar gern von Journalisten in deren Schmutzkampagne einspannen läßt. Ob in FAZ, FAS oder Spiegel, überall taucht Gysi auf und erteilt den NRW-Linken mahnende Ratschläge. In Bild lautete die Überschrift »Gysi geißelt Programm seiner NRW-Genossen«; dort wurde er mit den Worten zitiert, es müsse »klar sein, daß eine Diktatur mit uns nicht mehr machbar ist, unter keinen Umständen. Und daß wir gegen sie kämpfen würden, selbst wenn sie sich links nennt.« Im Bericht der Westfälischen Nachrichten sah Gysi eine Linksdiktatur drohen, weil die Düsseldorfer »Beton-Linken« unter anderem die »Verstaatlichung der Energiekonzerne« und »die 30-Stundenwoche bei vollem Lohn« fordern. War demnach die BRD in ihren ersten Jahrzehnten, als noch alle Stromkonzerne staatlich waren, eine Diktatur? Und hat die Bundesagentur für Arbeit den Weg in die Diktatur beschritten, wenn sie jetzt in der Krise Betrieben mit Kurzarbeit Lohnzuschüsse zahlt, damit der Nettolohn der Arbeitnehmer nicht noch tiefer einbricht?
Aber so genau wollen es die Attackenreiter nicht wissen. Ihnen genügen ein paar herausgepickte Schlagwörter, um zu skandalisieren: Die Linke wolle sogar »ein Recht auf Rausch« durchsetzen! Wie differenziert die Autoren des Wahlprogramms auf einen humanen Umgang der staatlichen Stellen mit dem Drogenproblem orientieren, bleibt in den Berichten unerwähnt. Dagegen wollen diese aufgeregten Kritiker jetzt offenbar »Rausch« generell unter Strafe stellen. Ob sie das schon mit den Weinbauern und Bierbraukonzernen oder den Karnevalisten abgestimmt haben?
Der Genosse Gysi allerdings hat sein Engagement gegen Staatsbetriebe schon beim Eintreten in die rot-rote Regierungskoalition in Berlin bewiesen. Damals hat er mit dafür gesorgt, daß die städtischen Wasserwerke teilweise an private Investoren verkauft werden konnten. Und wenn die Berliner jetzt über mangelnde Qualität des Wassers und von Jahr zu Jahr steigende Preise mosern, so können sie doch froh sein, zumindest bezüglich des Leitungswassers in der »Freiheit« angelangt zu sein.