erstellt mit easyCMS
Titel2210

Die Selbstteilung der Deutschen  (Reinhard Leube)

Geheimakte Deutschland. Vor 20 Jahren: Wie Europas Politiker die Einheit Deutschlands verhindern wollten, titelte jüngst Der Spiegel. Nachdem er bislang immer nur Briten, Russen und Franzosen als Gegner der Vereinigung Deutschlands ausgemacht hatte, suchten die Autoren diesmal auch bei den Amerikanern Tendenzen zur Verzögerung der Einheit. Nur beiläufig wird dort erwähnt, daß bis 1990 alle Weltkriegsalliierten auf die juristische Anerkennung der 1945er Grenzen seitens der Bundesrepublik gewartet hatten.

Schon bald nach dem Krieg war bekannt geworden, daß die Amerikaner nicht jeden führenden Deutschen in Nürnberg vor Gericht stellen ließen. Unter denen, die überraschenderweise nach dem Krieg von den Amerikanern als Berater akzeptiert wurden, befand sich Reinhard Gehlen, der spätere Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND). Während des Krieges war er der Chef der Spione an der deutschen Ostfront gewesen; nach dem Krieg ließen sich die Freunde in Amerika von ihm über eine vermeintliche militärische Bedrohung der Welt durch die Sowjetunion informieren.

1971 ließ Gehlen in seinem Buch Der Dienst die Öffentlichkeit wissen, daß er und seine Spione es waren, die sich von den Amerikanern gefangennehmen und nach Amerika bringen ließen, wo sie den Siegern im Westen vermeintliches Insider-Wissen über die militärischen Möglichkeiten der Sieger im Osten und über sowjetische Pläne zur Eroberung des Westens anboten. Erst nach dem Ende des Kalten Krieges 1990 bestand jedoch für die Amerikaner die Möglichkeit, die Informationen von damals zu überprüfen. Sie waren falsch. 2007 schrieb Tim Weiner von der New York Times, der die Geschichte der CIA rekonstruiert hatte: »Doch die Spekulationen der Nachrichtendienstler über die Sowjets waren Bilder, wie sie ein Zerrspiegel zurückwirft. Stalin hatte weder einen umfassenden Plan zur Beherrschung der Welt noch die Mittel, einen solchen durchzusetzen.« Gehlen baute seit 1945 die Sowjetunion als Gegner des Westens auf und sorgte dafür, daß ein Kalter Krieg in Fahrt kam, der den Abschluß eines Friedensvertrages und eine Lösung der deutschen Frage verhinderte. Erst im Sommer 1989 wurden posthum die »Erinnerungen« des BND-Insiders und bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß veröffentlicht, die in unfaßbarer Offenheit die Grundidee der deutschen Schlauberger aussprach: »Wenn wir einen Friedensvertrag schließen, dann verlangt man von uns Reparationen. Da wir aber nicht bereit und nicht in der Lage sind, Reparationen zu zahlen, wollen wir auch keinen Friedensvertrag. Die höhere und die niedere Mathematik der Politik trafen hier zusammen – das Offenhalten der deutschen Frage und das Vermeiden gigantischer Reparationszahlungen.«

Strauß schrieb dort auch, daß Kanzler Adenauer die erreichte Verkrampfung zwischen den Westmächten und der Sowjetunion um viele kleine und große Zwistigkeiten zwischen den drei Westmächten ergänzte. So entstand der gordische Knoten, der die Einheit Deutschlands über Jahrzehnte verhinderte und der westlichen Hälfte des Deutschen Reiches ermöglichte, sich schnell von den Folgen des Krieges zu erholen. Das dortige Wirtschaftswunder war die angenehmere Frucht des Kalten Krieges. Genau dafür mußte der Eindruck aufrecht erhalten werden, man fordere die östliche Hälfte bis hinüber nach Königsberg/Kaliningrad wieder zurück. Bonn wollte noch nicht einmal die DDR. Der Spiegel sagt nur, daß die Alliierten 1990 mit ihrer Zustimmung zur Vereinigung zögerten, läßt jedoch weg, daß Bonn bis 1990 auf ihre Angst vor einem neuen deutschen Reich spekuliert hatte.

Von Reinhard Leube erschien 2009 »Intimfeinde – Die Selbstteilung der Deutschen und der Kalte Krieg«, pro literatur Verlag Augsburg, 328 Seiten, 18 €