Keiner versteht die Not der Mitmenschen besser als derjenige, der sie am eigenen Leib erfahren hat. So betrachtet ist Ursula Gertrud von der Leyen die geeignetste Bundesministerin, die man sich vorstellen kann. Was hat sie nicht alles erleiden müssen. Sie entstammt einer kinderreichen Familie, und diese Familien haben es in unserem Land bekanntlich schwer. Freilich, ihr Vater, Ernst Al-brecht, war von 1976 bis 1990 Ministerpräsident des Landes Niedersachsen. Aber auch er mußte sich abstrampeln, um über die Runden zu kommen und seine sieben Kinder zu versorgen. Nachdem er sein Amt verloren hatte, konnte er gerade einmal 1 (eine) DM zusammenkratzen, um von der Treuhand das Stahl- und Walzwerk Thale nebst einer Reihe von Immobilien und Werkswohnungen sowie ein großes Betriebsferienheim und ein Kinderferienlager mit dazugehörigen Ländereien und Wald zu erwerben. Niemand hat ihm dafür aufrichtig Dank gesagt, auch nicht dafür, daß er Jahre zuvor mit wahrem Kärrnerfleiß dafür gesorgt hatte, den nahe zur Grenze der DDR gelegenen Salzstock Gorleben als Endlager für hochradioaktiven Atommüll bereitzustellen. Im Gegenteil: Wegen seiner staatsphilosophischen Begründungen für die Wiedereinführung der Folter, wegen der Erziehungsmethoden in der eigenen Familie (die Kinder, auch die »Röschen« genannte Ursula, wurden zwecks Züchtigung in die Brennesseln geschickt, wie die den Albrechts immer nahestehende Bild-Zeitung berichtete) und wegen seines jägerischen Übereifers bei der Reduzierung des Wildbestands in den niedersächsischen Wäldern erfuhr er viel Anfeindung. Immer hielt er sich trotz aller Mühsal an sein Lebensmotto, das er vor Jahren der taz nannte: »Gutes tun im Sinne Gottes.«
Nach dieser Maxime lebt und arbeitet auch seine Tochter Ursula. Als Medizinstudentin mußte sie kellnern und babysitten, und auch bei der Wahl ihres Ehegatten wählte sie einen steinigen Weg. Sie ehelichtete Heiko von der Leyen, den Nachfahren eines ehemals mächtigen, inzwischen bitter darbenden Uradelsgeschlechtes, mit dem sie, ihren Eltern nacheifernd, sieben Kindern das Leben schenkte und bewies, daß sich Familie und Beruf bei nur ein wenig gutem Willen wunderbar miteinander vereinbaren lassen. Natürlich erfordert das die ganze Frau. Ohne Fleiß kein Preis! Zuweilen, so gesteht sie ein, schafft sie nicht alles. Es fehlt die Zeit zum häufigeren Ausreiten mit den Kindern, und auch die Gartenarbeit wächst ihr über den Kopf, so daß sie, wie sie ebenfalls der Bunten berichtete, das »Gefühl« hat, »daß mein Garten mich jetzt im Frühling überwuchert. Ich kann gar nicht so schnell gucken, wie die Brennesseln nachwachsen. Die sind schneller als ich.« Das will schon etwas heißen, denn Frau von der Leyen ist eine von den Schnellen, auch in ihrer politischen Karriere.
Zu Beginn des neuen Jahrhunderts war sie Mitglied des Rates der Stadt Sehnde, aber schon 2003 wurde sie Sozialministerin in der von Christian Wulff geführten niedersächsischen Landesregierung und schaffte in kurzer Zeit das Blindengeld ab. Nicht einmal drei Jahre später war sie schon Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Als schließlich im November 2009 der Kriegsverleugner und Kurzzeitminister für Arbeit und Soziales Franz Josef Jung zurücktreten mußte, übernahm sie nach einem kurzem Telefongespräch mit der Kanzlerin dessen Stelle im Kabinett. Nur am Amt des Bundespräsidenten schrammte sie kurz vorbei. Schade, denn als Ministerin hatte sie gezeigt, daß »Röschen« scharfe Stacheln hat und sich von keinerlei Angriffen, und seien diese noch so böswillig, von ihrem Ziel, den notleidenden Menschen zur Seite zu stehen und »Gutes zu tun im Sinne Gottes«, abbringen läßt. An solchen hinterhältigen Attacken hat es nicht gemangelt.
Als sie zum 1. Januar 2007 das Erziehungsgeld abschaffte und das sogenannte Elterngeld einführte, wurde sie scharf attackiert. Statt zu würdigen, daß diese Neuregelung die gut verdienenden Leistungsträger begünstigt, warf man ihr vor, sozial Schwache zu benachteiligen. Und als einige Medien sie gegen diese Anschuldigungen in Schutz nahmen, wurde kritisiert, daß die Artikel nicht von Journalisten, sondern mit Steuermitteln von der Werbefirma Schlenker Public Relations verfaßt worden waren. Was für eine Krümelkackerei! Heftig, aber letztlich unberechtigt, wurde sie auch angegriffen, als sie kurz danach ankündigte, Kinder und Jugendliche als Testkäufer einzusetzen, um den Verkauf von Zigaretten und Alkohol an Minderjährige aufzudecken. Leider scheiterte diese famose Idee am Widerstand derer, die angeblich um das Wohl der Kinder besorgt sind. Nicht anders erging es ihrem Vorhaben, Webseiten mit kinderpornografischem Inhalt zu sperren. Kritiker bestritten die Wirksamkeit einer solchen Maßnahme, die, wie sie behaupteten, die Tür zu einer viel weitergehenden Zensur im Internet öffnen könnte. Die Kritiker schreckten nicht einmal davor zurück, die bewährte Demokratin als »Zensursula« zu beschimpfen und ihr den ehrverletzenden Preis »Big Brother Award« zu verleihen. Selbst ihr Vorschlag, die »Hartz-IV«-Gelder von ihrem amoralischen Namensgeber zu befreien und in das wohlklingende »Basisgeld« umzubenennen, wurde abgeschmettert.
Einen Höhepunkt erreichte die schändliche Hetze gegen die verantwortungsbewußte Arbeitsministerin nach Bekanntwerden des 82-Milliarden-Sparpaketes der Bundesregierung und der neuen »Hartz-IV«-Sätze. Obwohl die soziale Glanzleistung das gemeinsame Werk von CDU/CSU und FDP ist, wurde vor allem ihr eine Politik zu Lasten der Ärmsten der Armen vorgeworfen. Auch ihre Hinweise auf das Lohnabstandsgebot (Löhne müssen niedrig und die Aufwendungen für Arbeitslose immer noch viel niedriger als die niedrigsten Löhne bleiben) und auf die Einführung eines Bildungspaketes brachten die Schmähredner nicht zur Ruhe. Dabei zeigt doch gerade das Bildungspaket in Höhe von 700 Millionen Euro jährlich, daß es der Frau Ministerin bitterernst ist mit der allseitigen Förderung der rund 2,3 Millionen Kinder von »Hartz-IV«-Beziehern und 300.000 Geringstverdienern. Aus gutem Grund nennt sie deshalb das Paket einen »Riesenschritt für die Bildungs- und Aufstiegschancen der Kinder«. Die Euro-Summen sind tatsächlich beeindruckend: wie bisher schon pro Jahr 100 für Schulbedarf und 30 für einen Schulausflug sowie 10 im Monat für Musikunterricht, Mitgliedschaft in Sportvereinen und andere Freizeitaktivitäten. Das kann sich doch sehen lassen! Trotzdem hagelt es Kritik, das Paket wird gar als Mogelpackung bezeichnet. Wie ungerecht! Weiß doch niemand besser als die kinderreiche Frau von der Leyen, wie wunderbar es ist, wenn der eigene Nachwuchs für 10 Euro im Monat privaten Musikunterricht erhält, Reiten lernt oder sich in einem Sportclub ertüchtigt. Aller Besserwisserei und Kritik zum Trotz: Sozialursula ist die menschliche Güte in Person. Die Frage, wie sie wurde, wie sie ist, hat sie in einer von Bild veröffentlichten Gratulation zum 75. Geburtstag ihres Vaters selbst beantwortet: »Lieber Papa, das habe ich von Dir gelernt.«