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Titel2211

Ida Fink aus Zbaraz  (Heinrich Hannover)

Ruth Liepman, die für mich unvergeßliche Züricher Literaturagentin, die als Überlebende rassischer und politischer Verfolgung ein besonderes Gespür für gute, aber ungenügend beachtete Literatur jüdischer Schriftsteller hatte, hat mich vor vielen Jahren auf Ida Fink und ihr Buch »Eine Spanne Zeit« (Unionsverlag Zürich, 1983) aufmerksam gemacht, das ich damals zutiefst erschüttert gelesen habe. Die Autorin erzählt in mehreren Kapiteln von der Angst der in Polen lebenden Juden vor dem Terror der einmarschierten deutschen Uniformträger, von Razzien, Deportationen, Erschießungen. Die – wohl unter Mitwirkung der Autorin zustandegekommene – deutsche Übersetzung des auf polnisch geschriebenen Urtextes durch Klaus Staemmler ist ein literarisches Meisterwerk, das oft mit nüchterner Andeutung der unmenschlichen Grausamkeit des Geschehens auskommt und den Leser doch tief in die Angst, die Wut und die Trauer der dem mörderischen Terror ausgesetzten Menschen hineinzieht. Man kann nicht aufhören zu lesen, obwohl die Gefühle, die das Buch auslöst, kaum erträglich sind.

So endet das erste Kapitel des Buches, in dem immer wieder die Spannung vor dem Schrecklichen, das kommen wird, aufscheint: »Sie beugte sich vor, verharrte über ihn geneigt und bewachte die letzten Augenblicke seines ruhigen Schlafs. Die Morgendämmerung reifte, und die Sonne erhob sich. Vor fünfzehn Minuten hatte der Krieg begonnen.«

Bei mir als Ankläger eines faschistischen Massenmörders (im Verfahren wegen des Mordes an Ernst Thälmann) und lebenslanger Verteidiger angeklagter Antifaschisten, der erfahren hat, wie der Nazigeist in der bundesrepublikanischen Justiz fortlebt, hat besonders der von Ida und Bruno Fink selbst ins Deutsche übersetzte Schauspieltext »Der Tisch« tiefen Eindruck hinterlassen. Ein Staatsanwalt verhört Überlebende eines Massakers, bei dem über tausend Menschen erschossen wurden, und fragt nach unwesentlichen Details wie der Größe eines Tisches, an dem die selektierenden Gestapomänner gesessen haben. 25 Jahre nach der Aktion können die Zeugen darauf nur unsichere und widersprüchliche Antworten geben, die prompt für Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen genutzt werden und Material für den offensichtlich angestrebten Freispruch der Täter liefern. Ida Fink überläßt es dem Leser, die durch Höflichkeit und scheinbare Sachlichkeit getarnte Zielrichtung des Vernehmenden selbst zu erkennen und den Ausgang des Verfahrens zu erraten. Ein Stilmittel, das auch in anderen Kapiteln wiederkehrt und zu kritischem Mitdenken auffordert.

Wie kam es, daß ich vor kurzem Ida Finks Buch, das anderthalb Jahrzehnte unberührt in meinem Bücherregal gestanden hatte, noch einmal las? Ich war von einem Kurzurlaub aus dem schönen, heil durch den Krieg gekommenen Güstrow zurückgekommen, einer Stadt, die mir aus Kindertagen und vielen späteren Besuchen vertraut ist. Meine Großeltern haben dort gelebt und waren im Alter Nachbarn des von den Nazis abgelehnten Bildhauers und Schriftstellers Ernst Barlach. Meine Frau und ich hatten wieder einmal Barlachs Bildwerke auf uns wirken lassen und uns an die traurige Endphase seines Lebens unter der Naziherrschaft erinnert, als seine Werke aus der Öffentlichkeit verbannt und als »entartet« diffamiert wurden. Wir hatten im Dom wieder seinen Käthe Kollwitz ähnelnden Schwebenden gesehen, eine Nachbildung des zur Nazizeit eingeschmolzenen Originals. Und lasen auf einer von der Domgemeinde errichteten Stellwand vom Rückgang der jüdischen Einwohnerzahl bis zur Deportation und Ermordung der letzten 16 Güstrower Juden. Sahen Stolpersteine vor Häusern, in denen einst jüdische Menschen gewohnt hatten. Mir fiel wieder ein, daß meine Großmutter nach dem Tode meines Großvaters zunächst im Krönchenhagen gewohnt hatte, einer Straße, in der sich auch die 1938 zerstörte Synagoge befand. Mir ist noch ihr anteilnehmender Bericht im Ohr, daß der Sohn einer mit ihr befreundeten jüdischen Familie die Schule habe verlassen müssen und er seine Mutter gefragt habe »Warum bin ich denn ein Jude?«

Alles Eindrücke und Erinnerungen, die mich in die Stimmung versetzt hatten, noch einmal nach Ida Finks Buch zu greifen. Und wieder war ich tagelang einer Depression ausgesetzt, die ich durchstehen wollte, um nach dem Ende der Lektüre an Ida Fink zu schreiben, von der ein sehr freundlicher Brief vom 15. Oktober 1995, mit dem sie sich für einen Brief von mir bedankte, immer noch in dem Buch liegt. So kam es, daß ich mich durch einen Blick ins Internet vergewissern wollte, daß Ida Fink noch lebte. Und fand die Nachricht, daß sie am 27. September 2011 in Tel Aviv gestorben ist, zehn Tage bevor ich ihr noch einmal sagen wollte, wie sehr ich ihr Werk und ihre Person hochachte und verehre.

Ida Finks Buch »Eine Spanne Zeit« wird bei Amazon antiquarisch, aber gut erhalten, für zwanzig Cent plus Versandkosten angeboten. Ein beschämendes Zeichen für den herrschenden Zeitgeist, in dem Kriegsrassler wieder Konjunktur haben. Aus Wikipedia ist über ihr Leben zu erfahren:
Ida Fink wurde am 1. November 1921 in dem damals polnischen Zbaraz als Tochter eines Arztes und einer Lehrerin geboren. Beginn einer Musikausbildung am Lemberger Konservatorium. »1941 kam es in dem Ort zunächst zu einem Pogrom der Ukrainer, bei dem vierzig Juden getötet wurden. Im nun zum [deutschen] Generalgouvernement gehörenden Sbarasch wurden die circa 3000 Juden der Kleinstadt und die etwa 2000 jüdischen Flüchtlinge aus (dem von der Sowjetunion besetzten Ost-)Polen in die Zwangsarbeit deportiert, in Judenaktionen ermordet und Ende 1942 ghettoisiert. Die letzten 150 Juden des Ghettos wurden am 19. Juni 1943 von deutschen Polizeieinheiten nahe der Stadt ermordet. Ida Fink und ihre Schwester konnten mit gefälschten Papieren aus dem Ghetto entweichen, wurden aber als polnische Zwangsarbeiterinnen nach Deutschland deportiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ihr Heimatort erneut ukrainisch und Fink übersiedelte nun nach Polen, wo sie heiratete und eine Tochter hatte. 1957 wanderte sie nach Israel aus und wohnte in Cholon. Sie war in einer Musikbibliothek tätig, und für das Forschungsinstitut Yad Vashem interviewte sie Holocaustüberlebende. Später wohnte sie mit ihrer Schwester in Ramat Aviv bei Tel Aviv. Erst 1971 begann sie, ihre Werke zu veröffentlichen. Sie schrieb ausschließlich in polnischer Sprache, obwohl sie mehrere Sprachen beherrschte. Ihre Schriften, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden, befassen sich mit dem Holocaust und der Traumatisierung der Überlebenden.«

Als ich das gelesen hatte, bedrückte es mich um so mehr, daß ich es versäumt hatte, noch einmal mit Ida Fink Kontakt aufzunehmen. Zumal der letzte Satz ihres Briefes von 1995 unbeantwortet geblieben ist: »Vielleicht ergibt sich einmal die Gelegenheit Sie in Israel kennen zu lernen ...?«

ühten sich sechs Kandidaten seit Juni in einem landesweiten Wahlkampf, die Wähler für sich zu gewinnen. Nicht nur Parteimitglieder durften abstimmen, sondern auch jeder, der sich zum linken Lager bekannte und die Gebühr von einem Euro entrichtete. Im zweiten Wahlgang ging es nur noch um die Stichwahl zwischen Martine Aubry, Vorsitzende der Parti socialiste (PS) und Tochter des EU-Veteranen Jacques Delors, und dem früheren Vorsitzenden der PS und ehemaligen Lebensgefährten der glücklosen Präsidentschaftskandidatin Segolène Royal, mit der er vier Kinder hat. Knapp drei Millionen Franzosen haben sich an den Vorwahlen beteiligt – ein unerwartet großer Erfolg.

Warum Hollande? – Er hat im Gegensatz zu seinen Konkurrenten ein großes Bündnis gegen Sarkozy propagiert, was der allgemeinen Stimmung (»tout sauf Sarkozy« – alles, bloß nicht Sarkozy) entspricht. Außerdem wollten viele Parteimitglieder, denen der Schock von 2002 noch in den Knochen sitzt, als der PS-Kandidat Jospin gegen den Rechtsradikalen Le Pen unterlag, auf Nummer sicher gehen. Hollande, der noch nie ein Ministeramt inne hatte und wenig Ecken und Kanten hat, verdankt seinen Erfolg der France profonde, dem ländlichen Frankreich, in den Großstädten lag Aubry vorn. Sein Wahlkreis ist die Corrèze, ein Departement im südöstlichen Zentralmassiv, wo auch Expräsident Chirac seine Hochburg hatte. Der Bürgermeister der Hauptstadt Tulle ist das genaue Gegenteil des Schaumschlägers und Egomanen Sarkozy, ein Genießer, der sich erst für seine Kandidatur einer radikalen Abmagerungskur unterzogen hat und die Reden und Gesten des anderen François, seines großen Vorbilds Mitterrand, zu imitieren versucht. Sein politisches Programm ist vage, er predigt Sparen und Schuldenabbau: »Die Schulden sind der Feind der Linken und Frankreichs.« Nur den massenhaften Stellenabbau im Bildungswesen will er zumindest teilweise wieder rückgängig machen. Gegen die Arbeitslosigkeit will er jedem Arbeitgeber, der jemanden unter 25 oder über 55 einstellt, die diesbezüglichen Sozialabgaben erlassen. Den hohen Anteil an Atomstrom will er nur sehr langsam reduzieren, an einen Ausstieg denkt er nicht. Damit vertritt er die nunmehr klassischen Positionen einer systemimmanenten Sozialdemokratie, wie man sie nahezu überall in Europa antrifft. Als der alte Präsident Jacques Chirac unlängst in seinem früheren Wahlkreis verlauten ließ, er werde für Hollande stimmen, war das rechte Lager zwar schockiert, aber nicht alle sahen darin einen senilen Fauxpas.

Wenn Hollande im Mai 2012 Präsident werden sollte, wird dies kein Triumphzug zum Panthéon werden, wie es bei Mitterrand 1981 der Fall war. Für Sozialreformen wird kein Geld da sein, und vielleicht sind die Franzosen inzwischen so ernüchtert, daß es ihnen schon genügt, den Bling-Bling-Präsidenten los zu sein. Doch in den sechs Monaten bis zur Wahl kann noch eine neue Finanzkrise alle Prognosen zu Makulatur werden lassen.
Das Weltfinanzsystem stellen inzwischen auch andere in Frage, und Globalisierungsgegner sind sie allemal: Der Front National könnte im Ernstfall von einem abgewirtschafteten System profitieren, das an seinen hilflosen Reparaturversuchen zugrunde geht. Umfragen zufolge hat die Linke bereits mehr als ein Drittel ihrer klassischen Wählerschaft an die Le-Pen-Partei verloren. Je mehr sich die klassischen Parteien angleichen, desto mehr Wähler bleiben am Wahltag zu Hause – oder sie wählen »mal was ganz anderes«. Eine europäische Tendenz, die auch dem Sieger der »primaires« gefährlich werden könnte.