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Der Hausmeister und der Geheimrat  (Monika Köhler)

In Hamburg sind zur Zeit Bilder von Sammlern ausgestellt, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Der eine, Bernhard August von Lindenau (1779–1854), war Jurist, Wissenschaftler, Politiker und sächsischer Beamter, Geheimrat und Minister. Der andere, Wilhelm Werner (1886–1975), gelernter Tischler, stieg vom Aufseher in der Hamburger Kunsthalle zum Werkmeisterassistenten auf. Er wurde Freund und Helfer der Künstler, genannt: »der gute Werner«. Das Bucerius Kunst Forum zeigt »Die Erfindung des Bildes – Frühe italienische Meister bis Boticelli« (bis 8.1.2012, Katalog 24,80 Euro) – die Hamburger Kunsthalle »Die Sammlung des Hausmeisters Wilhelm Werner« (bis 15.1.2012, Katalog 20 Euro).

Renaissance-Ausstellungen allüberall: in Berlin, in München, in Dresden. Die vierzig Tafelbilder im Bucerius Kunst Forum kommen aus dem Lindenau-Museum im thüringischen Altenburg. Von Lindenau sah seine Sammlung als Bildungsort. 1848 formulierte er in einem Katalog seine Beweggründe: »die eigene Vorliebe für alt-griechisch-mediceisch-italienische Kunst« und der Erhalt »einer höheren, geläuterten Bildung des Geschmacks« in seiner Vaterstadt. »Die Jugend zu belehren, das Alter zu erfreuen, dahin ging der Zweck meines Sammelns.« Und so saß er auch im Frankfurter Paulskirchen Parlament, unschlüssig, wohin er tendieren sollte, nannte er sich: »Feind der Revolution und der Reaction.« Aber 1837 hatte er sich als sächsischer Staatsminister für den Ankauf von Goyas »Caprichos« für das Dresdner Kupferstich-Kabinett eingesetzt.

Zurück zu den frühen Bildern der Renaissance. Diese, oft kleinen, Tafeln stammen fast alle von Altären, die im 17. Jahrhundert zersägt, zerlegt und auf viele Orte verteilt wurden. Waren es anfangs Kultbilder der religiösen Frömmigkeit, auf Goldgrund gemalt, ohne Perspektive, die Heiligen durch Nimbus hervorgehoben, so wurden die – oft gleichen – Geschichten aus der Bibel nun als Abbilder der Wirklichkeit dargestellt, mit Licht und Schatten – der Heiligenschein nur zart angedeutet. Doch waren die Bilder vorher keine Malerei? Die »Geißelung Christi« von Guido da Siena (um 1270/80): viel Goldhimmel, zwei Schergen in starrer Haltung, wie eingefroren, Christus mit Gloriole, sein Oberkörper mit roten Flecken übersät, nicht Wunden – die Ikonographie des Blutes. Luca Signorelli dagegen in seinem Tafelbild (von 1508) führt die Geißelung in einem dunklen Innenraum vor. Christus mit sehr heller Haut, edel, unbeschädigt, kein Blut fließt. Sechs Männer, nur mit Lendenschurz bekleidet, zeigen so viel Muskeln her, als hätten sie im Bodybuilding-Studio trainiert.

Dann das Abendmahl. Es gibt Gelegenheit, zwölf goldene Scheiben über Christus und seine Jünger zu setzen. Nur Judas, abseits sitzend, hat keinen Nimbus, sein Kopf bleibt frei. Die Hostie schwebt über dem Kelch. Agnolo Gaddi schuf diese »Einsetzung des Abendmahls« um 1390 in leuchtenden Farben. Nicht nur Schergen halten Schlaginstrumente in den Händen – auch Heilige. Fra Angelico da Fiesole gibt seinem Bernhard von Clairvaux (um 1440) eine züchtigende Rute in den Arm. Da hilft kein Heiligenschein, kein Goldgrund oder das Buch mit den Ordensregeln. Wunderbar innig: »Madonna mit Kind« (um 1467), ganz von Gold umgeben. Das Bild von Liberale da Verona, im Stil von Ikonen gemalt. Sein blondgelockter Jesusknabe – zum Verlieben süß. Sandro Botticellis »Madonna mit Kind und Engeln« (aus den 1490er Jahren) sitzt vor blauem Hintergrund, kein Gold, mit Ausnahme des Nimbus über Maria, die irritiert wegschaut. Weil der kleine Jesus an ihrem Ausschnitt nestelt?

Zurück ins reale Leben, zur Sammlung des Hausmeisters Wilhelm Werner. 1919 gründeten junge Künstler die Hamburgische Sezession. Bis 1930 fanden Ausstellungen in der Kunsthalle statt. Dort lernt Werner die Künstler kennen. Er hat eine Dienstwohnung in Souterrain des Altbaus und ist rund um die Uhr da. Er fertigt in der Werkstatt Rahmen, zieht Leinwände auf Keilrahmen, hilft, wo er kann. Die Künstler bedanken sich, indem sie ihm Bilder schenken. So entsteht seine Sammlung von über 500 Werken. Werner bevorzugt gegenständliche Kunst, Landschaften und Stilleben vor allem. Zu einigen Künstlern hat er ein engeres Verhältnis, Heinrich Stegemann gehört dazu. Er zeichnet den Hausmeister, schafft Gemälde von den Schwiegereltern, auch von Werners Frau Anna und von ihrer Tochter Käte. Der Kunsthallendirektor Gustav Pauli kauft Gemälde, um die Künstler zu unterstützen. Bei der Familie Werner im Souterrain steht der Eßtisch für Mitarbeiter und Künstler bereit. Bei Luftangriffen während der Bombennächte hält der Hausmeister Brandwache. Die Kunsthalle steht gefährdet gleich neben dem Hauptbahnhof.

Die Biographien vieler jetzt in Hamburg ausgestellter Künstler ähneln sich. Manche sind Mitbegründer oder Mitglieder der Hamburgischen Sezession. Einige bekommen Aufträge, große Wandbilder für Schulen auszuführen. 1933 werden diese Bilder dann verhängt oder später zerstört – so Werke von Eduard Hopf und Heinrich Stegemann. Im Jahr 1937 werden viele Bilder als »entartet« beschlagnahmt, besonders jene von jüdischen Künstlern. Bomben vernichten später Ateliers und Kunstwerke. Zwei Malerinnen haben vergleichbare Lebensläufe. Beide werden als Töchter jüdischer Kaufmannsfamilien in Hamburg geboren. Beide sind Gründungsmitglieder der Hamburgischen Sezession, beide weilen oft im Ausland. Die eine, Alma del Banco, 1862 geboren, 16 Werke von ihr werden beschlagnahmt (eine Ausstellung im Hamburger Ernst-Barlach-Haus zeigt zur Zeit ihre Bilder). Als sie 1943 den Deportationsbescheid für Theresienstadt erhält, nimmt sie sich das Leben. Die andere, Anita Rèe, 1885 geboren, scheidet im Dezember 1933 aus dem Leben. Der Katalog nennt es »Freitod«. Sieben Gemälde hatte Direktor Pauli von ihr erworben. Ihr Selbstbildnis: ein sorgenvolles junges Gesicht, die Hand in der Geste der Melancholie an der Wange. Nachdem im Juli 1937 eine Kommission in der Kunsthalle erschienen war, um Bilder für die berüchtigte Ausstellung »Entartete Kunst« zu konfiszieren, kam der Hausmeister Werner zu dem Entschluß, die Bilder von Anita Rèe zu retten. Er versteckte sie im Schrank und unter dem Bett seiner Dienstwohnung. Niemand wußte davon – nur seine Frau Anna. Ein gerahmtes Bild des Führers stand zur Tarnung auf einem Tischchen. Nach dem Krieg reihte er unauffällig die Gemälde wieder in den Depotbestand ein und sagte kein Wort. Erst durch seine Frau erfuhr die Kunsthalle davon. Am 31. Oktober 1975 starb Wilhelm Werner, ein besonderer Kunstsammler.