Nun ist Peer Steinbrück als Kanzlerkandidat inthronisiert. Die Linke – die in Parteiform gegossene, aber auch das gesamte politische Spektrum in Gewerkschaften und Bewegungen, das sich links von der SPD sieht – hat die Nominierung überwiegend mit Zufriedenheit aufgenommen. »Kaum einer der Redner«, berichtet die junge Welt vom Parteitag der hessischen Linkspartei, »versäumte es, der SPD für dessen Nominierung als Kanzlerkandidat zu danken.«
Begründet wird dies mit dem berechtigten Hinweis darauf, daß dieser Mann wie kaum ein anderer für die Politik der Agenda 2010, die Politik Gerhard Schröders, stehe und darüber hinaus seit seiner Zeit als Finanzminister der CDU/SPD-Koalition ein Teil des Merkelsystems sei. Wolfgang Hübner, stellvertretender Chefredakteur des neuen deutschland, begründete diesen Gedanken so: »Steinbrück ist die Gewähr dafür, daß Rot-Grün ... keine linke, nicht einmal eine linksliberale, sondern eine modern und ökologisch angehauchte neoliberale Regierung wird ... Das eröffnet für die Linke politische Räume und Möglichkeiten – zumal dann, wenn die Krise … stärker und spürbarer auf Deutschland übergreift ...«
Aus diesen Sätzen weht uns der Geruch der Mechanik entgegen, die leider im politischen Denken der Linken in Deutschland um sich greift. Politik ist aber kein Nullsummenspiel sich verengender oder erweiternder Räume. Politik ist vor allem Bewegung, ist also niemals statisch, sondern immer nur dynamisch zu denken und zu begreifen.
Hier vor allem lauert die Gefahr auch für die Linkspartei. Sie gedeiht – wie ihre Schwesterpartei in Griechenland – dann, wenn die Gesellschaft widerhallt vom Lärm politischer Demonstrationen, Streiks und Aktionen. Sie verkümmert oder stagniert – wie ihre Schwesterpartei in den Niederlanden – dann, wenn Politik im wesentlichen in Parlamenten und den Redaktionsstuben und Studios stattfindet, die gedruckte Seiten und Sendungen ausstoßen, für die sich das geneigte Publikum interessiert, die es sich aber passiv zu Gemüte führt.
Die Gegenspieler, die herrschenden Kreise aus Konzern- und Bankenspitzen, die Steinbrück der SPD seit einem Jahr nahegelegt und nun seine Inthronisation bekommen haben, sind nicht blöde. Sie haben sich ausgerechnet, welche Wirkung diese Nominierung vor allem in den Betrieben unseres Landes auslöst. Und diese Wirkung droht einzutreten: Steinbrück, ist von ihnen zu hören, bedeutet, daß sich nichts ändert. Egal, ob es nun zu einem SPD-Kanzler, vielleicht gar mit Hilfe einer – welcher Treppenwitz! – von der Schröder-Partei wieder ins Parlament gehievten FDP kommt oder zu einem SPD-Vizekanzler unter der eisernen Lady der deutschen Politik: Das Ergebnis wäre vor allem, daß es bei der Agenda-Politik und dem Kriegführen bleibt.
Steinbrück ist so die Garantie dagegen, daß in diesem Lande ein hoffnungsvoller Sog für eine Wende zu sozialem Fortschritt und konsequenter Friedenspolitik entstehen könnte. Er ist der feste Riegel, der den »Wind of Change« draußen läßt, der uns im muffigen, arrogant auf Südeuropa niederblickenden Deutschland resigniert zurücklassen soll. Ohne die Hoffnung »Jawohl, es kann anders werden – wir können das!« wird sich aber in diesem Lande die Stimmung nicht entwickeln, in der eine Partei gedeihen kann, die aus der gegenwärtigen Dauerrezession einen Ausweg nach links erkämpfen kann.
Es gibt dagegen nur ein Gegenmittel: Die Konzentration auf die Entfaltung von außerparlamentarischen Bewegungen möglichst unter Einbeziehung der Betriebe. Nur wenn von dort weit mehr als die 40.000 Menschen der UmFAIRteilen-Aktionen bereits im Frühjahr und Frühsommer Aktionen durchführen, besteht eine Chance, daß das Konzept »Den Widerstand lähmen durch den Steinbrück-Riegel« nicht aufgeht. Eine Wahlstrategie der Linkspartei, die sich vor allem auf das Verschieben statischer Wählerpotential-Blöcke konzentriert und nicht die Entfaltung von Bewegung in den Mittelpunkt stellt, wird hinsichtlich ihrer eigenen Wahlziele scheitern.